Grafik: Ergebnis der Studie

Stress­test für den Födera­lismus

Bundesweite Studie der Universität Konstanz zur öffentlichen Wahrnehmung des Corona-Krisenmanagements

Sollte Deutschland in der Krisenbewältigung zentral agieren oder sollten die einzelnen Bundesländer situationsangepasst jeweils eigene Maßnahmen treffen? Eine repräsentative Studie der Universität Konstanz zur öffentlichen Wahrnehmung des Corona-Krisenmanagements mit bundesweit rund 3.000 Teilnehmenden zeigt: Auch wenn der Föderalismus als prinzipiell hinderlich für effektives Krisenmanagement betrachtet wird, so wird implizit das individuelle Vorgehen der Bundesländer doch seitens der Bürgerinnen und Bürger wertgeschätzt. „Der Föderalismus ermöglicht situationsangepasstes Handeln – und das scheint von der Bevölkerung honoriert zu werden“, schildert Prof. Dr. Steffen Eckhard, Juniorprofessor für öffentliche Verwaltung und Organisationstheorie an der Universität Konstanz und Leiter der Studie.

Kritische Haltung gegenüber föderal umgesetztem Krisenmanagement
„Im Verlauf der Corona-Krise machten sich Bemühungen bemerkbar, den Ländern Zuständigkeiten zu entziehen und dem Bund mehr Steuerungskompetenzen zuzusprechen. In Politik und Medien wurde befürchtet, dass der Verwaltungsföderalismus zu einen ‚Kompetenz-Wirrwarr‘ und großen Disparitäten führen würde“, erläutert Steffen Eckhard und führt aus: „So wurde medial wiederholt auf das Risiko verwiesen, dass Vertrauen und Akzeptanz in die Politik sinke, wenn die Maßnahmen zu unterschiedlich ausfallen.“

Die Ergebnisse der bundesweiten Studie von Steffen Eckhard und Alexa Lenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für öffentliche Verwaltung und Organisationstheorie an der Universität Konstanz, spiegeln diese kritische Haltung gegenüber einem föderal umgesetzten Krisenmanagement zunächst wider: Nur rund ein Viertel der Befragten beurteilt das föderale System als hilfreich in der Bewältigung der Corona-Situation, 40 Prozent bewerten den Föderalismus hingegen als klar kontraproduktiv für das Krisenmanagement.

Föderales Krisenmanagement auf den zweiten Blick doch im Vorteil
„Generell wird der Föderalismus in Deutschland von der Bevölkerung also eher als ungeeignet für effektives Krisenmanagement gesehen“, so Alexa Lenz. „Auf den zweiten Blick ergibt sich aber ein differenzierteres Bild: Zwischen den Bundesländern liegen erkennbare Unterschiede in den Zustimmungswerten zu den verordneten Maßnahmen vor.“ Die Auswertung der Studie zeigt, dass die Corona-Verordnungen in Bundesländern mit niedriger Infektionszahl kritischer bewertet werden als in stärker betroffenen Ländern. „Für das Krisenmanagement könnte es sich somit insgesamt lohnen, die Vorteile des Föderalismus zu nutzen und die individuelle Ausgangssituation eines jeden Bundeslandes bei der Gestaltung der Maßnahmen zu berücksichtigen“, schlussfolgert Lenz.

Vertrauensvorschuss nur bedingt gewährt
Die fortlaufende Studie von Eckhard und Lenz ermöglicht einen differenzierteren Blick auf das öffentliche Bild bezüglich des Corona-Krisenmanagements. Die aktuelle erste Auswertungsphase der Befragung konzentriert sich auf den frühen Zeitraum der Corona-Verordnungen vom 26. März bis 6. April 2020, als zunehmende Beschränkungen des öffentlichen Lebens eintraten. So zeigen die Analysen von Eckhard und Lenz, dass der vielzitierte „Vertrauensvorschuss“ in Politik und Verwaltung nur bedingt gewährt wurde: Während zu Beginn der Krise die Maßnahmen zwar eine hohe Akzeptanz erfuhren, waren die Bürgerinnen und Bürger zeitgleich wesentlich skeptischer gegenüber dem zukünftigen Krisenmanagement und geplanten, aber noch nicht umgesetzten Maßnahmen.

Insbesondere Personen, die ihre wirtschaftliche Existenz bedroht sahen, fühlten sich ungleich behandelt. Rund 50 Prozent der Befragten teilten in der frühen Phase des Krisenmanagements die Ansicht, dass die Effekte auf die Wirtschaft zu wenig berücksichtigt wurden. „Werden die Befragten jedoch direkt auf ein potenzielles Dilemma zwischen Gesundheitsschutz und dem Schutz der Wirtschaft angesprochen, so ist das Votum in der deutschen Bevölkerung eindeutig: Selbst in der Gruppe der wirtschaftlich am stärksten bedrohten Personen sprechen sich noch rund 62 Prozent für die Priorisierung der Gesundheit aus“, zeigt Steffen Eckhard auf.

Faktenübersicht:

  • Bundesweite, repräsentative Studie der Universität Konstanz zur öffentlichen Wahrnehmung des Corona-Krisenmanagements.
  • Leitung: Prof. Dr. Steffen Eckhard, Juniorprofessor für öffentliche Verwaltung und Organisationstheorie an der Universität Konstanz, sowie Alexa Lenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für öffentliche Verwaltung und Organisationstheorie an der Universität Konstanz.
  • Fortlaufende Studie, erste Befragungsphase vom 26. März bis 6. April 2020 mit rund 3.000 Teilnehmenden (N=3.077, 51,5 Prozent Frauen, Altersdurchschnitt 50 Jahre).
  • Zur Einordnung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Befragung die Corona-Fallzahlen exponentiell anstiegen und umfassende Maßnahmen bereits in Kraft getreten waren, deren Wirkung auf die Pandemie aber völlig offen war.
  • Die Studie ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojektes „Entstehung und gesellschaftliche Wirkung hybrider Organisationen im lokalen Krisenmanagement“ (Sprecher: Prof. Dr. Wolfgang Seibel, Universität  Konstanz) in Kooperation mit der ETH Zürich (Dr. Florian Roth).