Im Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung der Universität Konstanz erforschen WissenschaftlerInnen Themen intensiv aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Das Bild zeigt die ehemaligen Konstanzer Bischofsvilla am Ufer des Seerheins in der das ZKF seinen Sitz hat. Bild: Universiät Konstanz

Infrastrukturen neu denken

Öffentlicher Auftakt des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung (ZKF) der Universität Konstanz am 29. Juni 2022 um 18.00 Uhr im Konstanzer Konzil

Von Verkehrsflüssen über Energieversorgung bis hin zur Verbreitung und Rezeption ästhetischer Gegenstände: Ohne ermöglichende Infrastrukturen läuft im heutigen Alltag nichts. Und doch werden sie meist als selbstverständlich betrachtet, es sei denn, sie funktionieren nicht mehr oder werden mutwillig zerstört. Der an der New Yorker Columbia University lehrende Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Bruce Robbins wird in seinem Vortrag „Elevator Pitch. Gratitude for Infrastructure, and Beyond“ (Elevator Pitch. Dankbarkeit für Infrastruktur und darüber hinaus) einen kritischen Blick auf die neoliberale Privatisierung öffentlicher Güter werfen, die uns laut Robbins für funktionierende Infrastrukturen dankbar sein lässt. Infrastrukturelle Fiktionen in der Literatur könnten dagegen, wie bei dem Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro und bei Colson Whitehead (Autor von „Underground Railroad“), unseren Sinn für das Öffentliche weiten und Infrastrukturen wieder als Teil des Gemeinwohls zur Geltung bringen.

Der Vortrag findet am 29. Juni 2022 um 18.00 Uhr im Konstanzer Konzil (in englischer Sprache) statt und bildet den Auftakt zu einem neuen Forschungsschwerpunkt des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung (ZKF), der sich mit Infrastrukturen aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive beschäftigt. Gleichzeitig tritt das Zentrum nach einer intensiven Aufbauperiode und vielen zumeist virtuellen Veranstaltungen erstmals in einem größeren, festlichen Rahmen an die Öffentlichkeit.

Ein kulturwissenschaftliches Profil
Das Zentrum mit Sitz in der Bischofsvilla am Konstanzer Seerhein knüpft an die große Tradition kulturwissenschaftlicher Forschung an der Universität Konstanz an, die seit den 1990er Jahren mit mehreren Sonderforschungsbereichen, Forschergruppen und Graduiertenkollegs sowie dem Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ zahlreiche institutionelle Höhepunkte erreichte. Gefördert durch das Land Baden-Württemberg bündelt das ZKF langfristig kulturwissenschaftliche Forschungen in Konstanz, treibt neue fächerübergreifende Kooperationen voran und unterstützt den wissenschaftlichen Nachwuchs. Aktuell gehören 90 Wissenschaftler*innen dem Zentrum an.

„Uns liegt sehr daran“, so Prof. Dr. Christina Wald, Literaturwissenschaftlerin und Gründungsdirektorin des Zentrums, „das interdisziplinäre Gespräch zu vertiefen und neue Konstanzer Kolleg*innen sowie internationale Gäste eng in unsere Arbeit einzubeziehen. Unsere Postdocs unterstützen wir ganz besonders, etwa indem wir Forschungsaufenthalte im Ausland finanzieren. Zugleich versuchen wir uns nach der corona-bedingt oft virtuell gestalteten Aufbauphase nun wieder stärker der Konstanzer Stadtgesellschaft zu öffnen, zum Beispiel durch unsere eigenen Veranstaltungen und Kooperationen mit dem Theater. Jüngst haben wir auch eine Ausstellung zur Konstanzer Kolonialzeit unterstützt.“ 

Demgemäß vertieft das Zentrum die Vernetzung der kulturwissenschaftlichen Forschenden in Konstanz untereinander und mit internationalen Gästen zu wechselnden, auch gesellschaftlich relevanten Schwerpunkten. Neben „Kulturen der Plausibilisierung“ (seit 2019), die beispielsweise brisante Themen wie Fake News und Halbwahrheiten umfassen, beschäftigen sich die Wissenschaftler*innen des Zentrums nun intensiv mit Infrastrukturen. 

Tiefenbohrung in infrastrukturelle Phänomene
Die Flutkatastrophe im Ahrtal, lahmgelegte Lieferketten während der Corona-Pandemie und zerstörte Versorgungswege im Krieg in der Ukraine führen beispielhaft vor Augen, welche Folgen Infrastrukturkrisen haben können. Allein mit Verweis auf weiteren technologischen Fortschritt, darüber sind sich die beteiligten Forscher*innen einig, lassen sich diese Krisen weder angemessen beschreiben noch beheben. Dies trifft in ähnlicher Weise auch auf Phänomene zu, mit denen sich Kulturwissenschaftler*innen üblicherweise beschäftigen: Welche Geschichten wir uns erzählen, ist davon abhängig, welche Gattungen und Narrative uns zur Verfügung stehen. Erst sie ermöglichen, hierbei technischen Infrastrukturen ganz analog, das Erzählen. „Wir wollen“, so Prof. Dr. Kirsten Mahlke, eine der Initiator*innen des neuen Schwerpunkts, „kulturwissenschaftlich tiefer bohren, Bedeutung und Scheitern von Infrastrukturen grundlegender und ganzheitlicher verstehen.“ 

Die Konstanzer Gruppe hat bereits eine Reihe von Leitfragen formuliert: Wie und unter welchen Bedingungen wird überhaupt etwas zu Infrastruktur? Welche Bedeutung haben Infrastrukturen für uns? Welche Rolle weisen wir ihnen zu? Wie interagieren materielle und immaterielle Eigenschaften von Infrastrukturen? Welche historischen Funktionen hatten sie? Gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen wollen die Forscher*innen des ZKF in den nächsten Jahren Grundlagenarbeit leisten, die zugleich unser allgemeines Verständnis von Infrastrukturen verbessert.

Faktenübersicht:

  • Öffentlicher Vortrag „Elevator Pitch. Gratitude for Infrastructure, and Beyond“ von Prof. Dr. Bruce Robbins (Columbia University, New York) am 29. Juni 2022 von 18.00 bis 20.00 Uhr im Konstanzer Konzil.
  • Auftakt des neuen Forschungsschwerpunkts „Rethinking Infrastructure“ am Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung (ZKF) der Universität Konstanz.
  • Das ZKF besteht seit 2019 mit Sitz am Konstanzer Seerhein und entwickelt die kulturwissenschaftliche Forschung der Universität weiter.
  • Aktuell gehören 90 Wissenschaftler*innen dem Zentrum an.