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Archiv der Tierwanderungen in der Arktis

Ein globales Archiv mit über drei Jahrzehnte gesammelten Bewegungsdaten protokolliert Veränderungen im Verhalten arktischer Tiere. Das Datenarchiv ist Teil der Forschungsplattform „Movebank“ des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie und der Universität Konstanz.

Wärmere Winter, frühere Frühlinge, schrumpfendes Eis und mehr menschliche Aktivitäten – die Arktis durchläuft dramatische Veränderungen, die sich auch auf die einheimische Tierwelt auswirken. Forschende aus der ganzen Welt haben jetzt ein Datenarchiv zur Dokumentation von Tierbewegungen in der Arktis und Subarktis aufgebaut. Das Archiv ist Teil der Forschungsplattform „Movebank“, die vom Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und der Universität Konstanz aufgebaut wurde. Mit dem „Arctic Animal Movement Archive“ können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihr Wissen austauschen und gemeinsam untersuchen, wie Tiere auf eine sich verändernde Arktis reagieren. Drei neue Studien aus dem Archiv zeigen großräumige Änderungen im Verhalten von Steinadlern, Bären, Karibus, Elchen und Wölfen in der Region. Sie veranschaulichen, wie das Archiv genutzt werden kann, um größere Veränderungen des Ökosystems zu erkennen. Das arktische Tierbewegungs-Archiv ist verfügbar unter: movebank.org/cms/movebank-content/arctic-animal-movement-archive

Arctic Animal Movement Archive
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachten seit Langem die Bewegungen und das Verhalten von Tieren in der Arktis. Es war jedoch bislang schwierig, bereits bestehende Forschungsdaten dazu ausfindig zu machen und auf sie zuzugreifen. Ein internationales Team unter der Leitung von Sarah Davidson, Datenkuratorin am Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, und Gil Bohrer von der Ohio State University haben deshalb ein von der NASA finanziertes globales Datenarchiv für Studien zur Tierwanderung in der Arktis und Subarktis aufgebaut.

Das Arctic Animal Movement Archive soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler miteinander vernetzen und ihre Zusammenarbeit fördern. Forschende von über 100 Universitäten, Regierungsbehörden und Naturschutzgruppen aus 17 Ländern sind daran beteiligt. „Mit dem Archiv wollen wir eine globale Forschungsgemeinschaft über Institutionen und politische Grenzen hinweg aufbauen“, sagt Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor des Institutes und Honorarprofessor an der Universität Konstanz, der die Forschungsplattform Movebank entwickelt hat. Das Archiv enthält derzeit über 200 Forschungsprojekte mit den Bewegungsdaten von mehr als 8.000 Meeres- und Landtieren von 1991 bis heute.

Verhaltensänderungen von Tierarten in der Arktis
Forschende haben nun verschiedene Studien veröffentlicht, die Daten und Fachwissen mithilfe des Archivs zusammenführen. So stellten Wissenschaftler beim Vergleich der Bewegungen von mehr als 100 Steinadlern von 1993 bis 2017 fest, dass junge Adler, die nach milden Wintern nach Norden ziehen, früher in ihren Brutgebieten eintreffen. Die Ankunftszeit der ausgewachsenen Vögel ist jedoch unabhängig von den Bedingungen an ihren Brutplätzen ziemlich konstant geblieben. Dies beeinflusst das Brutgeschäft und das Überleben der Küken. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir Klimadaten berücksichtigen müssen, die Jahrzehnte umfassen“, sagt Scott LaPoint, Wissenschaftler bei Black Rock Forest.

Eine zweite Studie mit mehr als 900 weiblichen Karibu-Weibchen aus den Jahren 2000 bis 2017 hat ergeben, dass Herden weiter im Norden früher im Frühling gebären, während sich die Geburten der südlicheren Populationen weniger stark verändert haben. „Dass wir die Geburt in einem so großen Maßstab, über Populationen und Unterarten hinweg und über Millionen von Quadratkilometern untersuchen können, ist für eine Tierart in einer so abgelegenen und rauen Umgebung wirklich beispiellos“, erklärt Elie Gurarie von der Universität Maryland.

Eine dritte Analyse, die sich mit den Wanderungsgeschwindigkeiten von Bären, Karibus, Elchen und Wölfen von 1998 bis 2019 befasst, kommt zu dem Schluss, dass die Arten unterschiedlich auf jahreszeitliche Temperaturen und winterliche Schneebedingungen reagieren. „Wie Tiere mit ihren Wanderungen auf veränderliche Wetterbedingungen reagieren, wirkt sich auf den Konkurrenzkampf der Arten und die Räuber-Beute-Dynamik aus“, sagt Peter Mahoney, der seine Untersuchungen an der Universität Washington durchgeführt hat.

Zu den Hunderten von Studien, die bereits im Archiv enthalten sind, kommen immer weitere hinzu. Dies dürfte dazu beitragen, Veränderungen im Verhalten der Tiere  und im arktischen Ökosystem zu erkennen. „Darüber hinaus liefern wir eine dringend benötigte Datenbasis früherer Verhaltensweisen und Wanderungen“, sagt Sarah Davidson. „Damit lassen sich das Wildtiermanagement verbessern, neue Forschungsfragen beantworten und Veränderungen in der Arktis für zukünftige Generationen dokumentieren.“


Faktenübersicht:

  • Das Arctic Animal Movement Archive ist ein neues Datenarchiv für wissenschaftliche Studien, die Tierwanderungen und Tierverhalten in der arktischen Region untersuchen.
  • Das Datenarchiv ermöglicht Forscherinnen und Forschern, ihre Studien und ihr Wissen zentral zusammenzuführen und auf diese Weise Antworten zu finden, wie Tierarten auf Umweltveränderungen in der Arktis reagieren.
  • Das Archiv umfasst Bewegungsdaten von tausenden Tieren aus mehr als drei Jahrzehnten, die durch die Arbeit von hunderten von Forschenden und Forschungseinrichtungen zusammengetragen wurden.
  • Das Arctic Animal Movement Archive ist Teil der Forschungsplattform Movebank, die vom Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie sowie der Universität Konstanz aufgebaut wurde.
  • In einer aktuellen Veröffentlichung in Science nutzen Forschende das Archiv für drei Fallstudien, die Verhaltensänderungen von Tierarten in der Arktis dokumentieren:
    (1) Junge Steinadler treffen nach milden Wintern früher in ihren Brutgebieten ein.
    (2) Karibus gebären im Norden der arktischen Region früher als noch in den 2000er-Jahren.
    (3) Bären, Karibus, Elche und Wölfe reagieren bei ihren Wanderungen auf veränderte Wetterbedingungen.
  • Originalpublikation: Davidson, SC et al. (2020) Ecological insights from three decades of animal movement tracking across a changing Arctic. Science DOI: 10.1126/science.abb7080
  • Die Erstautorin Sarah Davidson ist Datenkuratorin am Konstanzer Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie, ist Principal Investigator am Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz.