Wie Stress und Gewalt den Mensch verändern

Presseinformation Nr. 164 vom 20. November 2012

ERC Advanced Grant für den Konstanzer Neuropsychologen Prof. Dr. Thomas Elbert

Der Konstanzer Neuropsychologe Prof. Dr. Thomas Elbert hat für die Erforschung der systemischen Veränderung des Menschen durch Stress und Gewalterfahrungen erfolgreich einen ERC Advanced Grant eingeworben. Insgesamt 2,4 Millionen Euro stellt der renommierte Förderpreis dem Konstanzer Wissenschaftler über eine Laufzeit von fünf Jahren zur Verfügung, um die persönlichkeitsverändernde Wirkung von traumatischen Erinnerungen zu erforschen, insbesondere auch deren epigenetischen und generationsübergreifenden Auswirkungen.


Prof. Dr. Thomas Elbert

Mit dem ERC Advanced Grant fördert der Europäische Forschungsrat (ERC) etablierte Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher, die wegbereitende und oftmals risikoreiche Pionierforschung durchführen. Ein ERC Advanced Grant gilt immer zugleich als Auszeichnung von herausragenden Forscherpersönlichkeiten. Thomas Elbert konnte sich mit seinem Forschungsprojekt unter mehr als 2.300 Bewerbungen erfolgreich auf einen der ERC Advanced Grants durchsetzen.

Thomas Elberts Forschungsprojekt „MemoTV: Epigenetic, neural and cognitive memories of traumatic stress and violence“ kreist um gravierende, traumatische Erfahrungen von Gewalt und Stress. Solche Erfahrungen, so Elbert, sind nicht nur kognitiv belastende Erinnerungen, sondern schlagen sich tiefergehend im Organismus des Menschen nieder: „Diese Erinnerung kann neuronal gestützt sein, kann aber auch in anderen Systemen verankert sein, insbesondere im epigenetischen Bereich und im Immunsystem“, erklärt Elbert. Diese tiefverankerten Belastungen führen zu einer systemischen Veränderung des Menschen: „Wir werden sozusagen zu anderen Persönlichkeiten, zu anderen Menschen. Wenn Ihre Wohnung ausgeraubt wird, bleibt das nicht nur als Erinnerung, sondern verändert Ihr Verhalten: Sie werden vorsichtiger, schließen die Wohnung mehrfach ab, denken plötzlich viel mehr über Gefahrensituationen nach. Ähnliches gilt für Menschen, die selbst Gewalt ausgeübt haben: Sie können durch den Schrecken friedlicher werden, indem sie sich sagen: Das tue ich nie wieder. Oder sie können aggressiver werden, weil sie Lust an der Gewalt verspürt haben“, führt Thomas Elbert aus.

Gewalt auszuüben sei demnach weitaus mehr als eine Handlung, sie führe zu einer nachhaltigen Veränderung der Persönlichkeit von Täter und Opfer. Thomas Elbert möchte mit seiner Arbeitsgruppe erforschen, inwiefern diese Veränderung sich in der Lesbarkeit des Erbguts im Organismus des Menschen niederschlägt und sogar über Generationen hinweg erhalten bleiben kann. „Diese ‚transgenerationale These‘ ist gewagt, doch erste Studien zeigen, dass traumatische Erfahrungen als epigenetisches Erbe an die nächste Generation weitergegeben werden können. Stress- und Gewalterfahrungen könnten demnach als epigenetische Erinnerung über Generationen hinweg überdauern“, zeigt Elbert auf.

Mit dem Wissen, wie sich traumatische Erfahrungen im Organismus niederschlagen, könnten künftig Traumata wirkungsvoller behandelt werden. „Wir können diese Persönlichkeitsveränderung neu justieren. Wir sind davon überzeugt, dass wir in der Lage sein werden, aus einem kriminellen Gewalttäter wieder ein friedliches Mitglied der Zivilgesellschaft zu machen“, gibt Elbert eine Zukunftsprognose.

Für sein Projekt im Rahmen des ERC Advanced Grants wird Thomas Elbert Feldforschung in Krisengebieten und Regionen durchführen, die viel Leid erlebt haben und einen schnellen Generationswechsel aufweisen: Dies schließt Kindersoldaten im Kongo, die Favelas in Rio de Janeiro sowie die Townships in Kapstadt ein, in denen jeweils Eltern, Kinder und Enkelkinder im Fokus stehen werden. Doch auch die epigenetischen Auswirkungen von häuslicher Gewalt in Deutschland sollen tiefer erforscht werden.

Thomas Elberts Forschungsprojekt baut auf seinem Reinhart-Koselleck-Projekt „Psychobiologie menschlicher Gewalt- und Tötungsbereitschaft“ auf, das die Entstehung und Kontrollierbarkeit menschlicher Gewaltbereitschaft untersucht. Seine Forschung findet in enger Kooperation mit Biologinnen und Biologen der Universität Konstanz statt, insbesondere auch mit Genetikern des Genomics Center Konstanz (GeCKo): „Ich bin sehr glücklich über diesen Austausch, der mit Sicherheit einen Ausschlag für den Erfolg dieses ERC Advanced Grants gegeben hat“, bedankt sich Thomas Elbert bei seinen Wissenschaftspartnern.