Drei Arbeitsplätze
New Work Zones. Bild: Philipp Uricher

Technostress und die Rolle des Sozialstaats

Welchen Einfluss hat der Sozialstaat darauf, wie sich „Technostress“ auf unsere individuelle Gesundheit und soziale Ungleichheit auswirkt? Forschende des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz kommen zu dem Schluss: Neben einem höheren Einkommen helfen auch sozialstaatliche Maßnahmen, die tägliche Auseinandersetzung mit Technologie als weniger stressvoll wahrzunehmen.

Der technologische Wandel ist im Begriff, die Arbeitswelt in ihrer bisherigen Form grundlegend zu verändern – auch mit Konsequenzen für die soziale Ungleichheit. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Digitalization, Automation and the Future of Work in Post-Industrial Welfare States“ untersucht vor diesem Hintergrund in einem kürzlich veröffentlichten Forschungsaufsatz den Einfluss des technologischen Wandels auf die Gesundheit – den sogenannten Technostress. Darunter verstehen die Forschenden die Auseinandersetzung von Individuen mit den sich ständig verändernden Informations- und Kommunikationstechnologien sowie den damit einhergehenden kognitiven und sozialen Anforderungen.

Das interdisziplinäre Team mit WissenschaftlerInnen aus der Organisations- und Managementforschung sowie den Politikwissenschaften geht der Frage nach, inwiefern sozioökonomische Hintergründe und Sozialsysteme von Wohlfahrtsstaaten die Beziehung zwischen technologischem Wandel und Gesundheit beeinflussen. Methodisch stellen sie dazu einen Zusammenhang zwischen persönlichem Einkommen, technologischem Stress und wohlfahrtsstaatlichen Regelungen in einem Datensatz mit fast 25.000 Teilnehmenden aus 24 OECD-Ländern her. Das ermöglicht Erkenntnisse darüber, wie soziopolitische Kontexte die individuelle psychologische Wahrnehmung beeinflussen.

Ann Sophie Lauterbach, Doktorandin am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz, erklärt: „Anhand der Leistungen im Fall von Arbeitslosigkeit können wir beispielsweise feststellen, dass Leistungen von Sozialstaaten Stresslevel durch technologischen Wandel reduzieren. Je umfangreicher die Sozialleistungen eines Wohlfahrtsstaats sind, desto weniger anfällig scheinen die Menschen auf Technostress zu reagieren.“ Dieser Effekt wird in der Studie durch eine verringerte Angst vor Überforderung oder auch einem potenziellen Jobverlust durch qualifiziertere Personen erklärt.

Das unterstreicht die Bedeutung staatlicher Unterstützung bei der Bewältigung der modernen Arbeitswelt: Wohlfahrtsstaaten mit großzügigen arbeitsmarktpolitischen Unterstützungsmaßnahmen können die subjektive Wahrnehmung von Technostress deutlich verringern. „Problematisch dabei ist“, so Lauterbach, „dass dadurch Ungleichheiten in der öffentlichen und individuellen Gesundheit verstärkt werden können.“ Menschen aus nord- und westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten und mit einem hohen Einkommen seien psychologisch besser gewappnet, die Herausforderungen der Digitalisierung und des technologischen Wandels zu bewältigen.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: Lauterbach et al. (2023): „Can welfare states buffer technostress? Income and technostress in the context of various OECD countries.”, PLoS ONE 18(12): e0295229.
    DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0295229
     
  • Datengrundlage des Papers sind Original-Erhebungsdaten in Zusammenarbeit mit der OECD.
     
  • AutorInnen:
    • Ann Sophie Lauterbach ist Doktorandin am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz und forscht zum Thema „New Work Environments and their Impact on Employee Well-being“. 
    • Tobias Tober ist Postdoctoral Researcher im Projekt „Digitalization, Automation and the Future of Work in Post-Industrial Welfare States”.
    • Florian Kunze ist Inhaber der Professur für Organizational Behavior und Principal Investigator des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“.
    • Marius R. Busemeyer ist Professor für Politikwissenschaften und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality”.
  • Das Clusterprojekt „Digitalization, Automation and the Future of Work in Post-Industrial Welfare States” untersucht das Zusammenspiel von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bei den vielseitigen Herausforderungen der Digitalisierung und Automatisierung.