Eine gesamteuropäische Geschichte der Gewalt im 20. Jahrhundert

Die Volkswagen Stiftung fördert das ambitionierte Vorhaben von Pavel Kolář, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz

„Auch wenn der Eiserne Vorhang vor ein paar Jahrzehnten gefallen ist, findet man in der heutigen Geschichtsschreibung oft noch eine Ost-West-Perspektive aus dem Kalten Krieg, gerade was das Thema Gewalt betrifft: Westeuropa wird häufig als normativer Maßstab dargestellt, gegen den osteuropäische Entwicklungen als anders – weniger zivilisiert – kontrastiert werden“, stellt Pavel Kolář fest, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz. Diese Betrachtungsweise sucht er mit seinem neuen Konzept „Violence in East and West – Towards an Integrated History of the 20th Century Europe“ zu überkommen, das Forschung, Lehre und internationale Zusammenarbeit zusammenführt. Die VolkswagenStiftung fördert das Vorhaben im Rahmen der Momentum-Initiative für zunächst vier Jahre mit insgesamt knapp 800.000 Euro.

Dank der Momentum-Förderung wird sein strategisches Vorhaben, so hofft Kolář, verschiedene Tendenzen in der europäischen Geschichtsschreibung zu Gewalt korrigieren können. „Bislang herrschte die Interpretation vor, dass die Gewalt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg allmählich verschwindet. Dagegen gehe ich der Hypothese nach, dass die Gewalt nicht kontinuierlich abnahm, sondern nur ihre Erscheinungsform änderte und weniger sichtbar wurde. Staatliche Gewalt wurde systematisch verschleiert oder verborgen und richtete sich zunehmend gegen soziale Randgruppen“, erklärt Kolář. Dafür sieht er auch in Westeuropa viele Beispiele, etwa von Polizeigewalt, Gewalt an den Grenzen oder Gewalt in Einrichtungen – gegen Kinder oder gegen behinderte Menschen. Diese seien lange Zeit nicht öffentlich kritisiert worden, was deren Verschleierung unterstützt habe. „Um sich zu stabilisieren, setzten sämtliche politische Systeme im vergangenen Jahrhundert auf verschiedene Weise Gewalt ein, sowohl Diktaturen als auch Demokratien“, so der Geschichtswissenschaftler. 

Dabei geht es Kolář nicht nur um politisch motivierte großangelegte Gewalt, sondern auch um die Phänomene, die in einer Gesellschaft tagtäglich passieren. Um dieses Vorhaben in eine vergleichende Geschichte Europas einzubetten, wird er sich intensiv mit weiteren WissenschaftlerInnen austauschen, die zu Gewalt in verschiedenen Regionen Europas forschen. Dazu ist unter anderem ein Fellowship-Programm in Konstanz geplant.

Über Momentum
Die Momentum-Initiative der VolkswagenStiftung richtet sich an WissenschaftlerInnen in einer frühen Phase nach Antritt ihrer ersten Lebenszeitprofessur. Sie soll ihnen in dieser Karrierephase Möglichkeiten zur inhaltlichen und strategischen Weiterentwicklung ihrer Professur eröffnen. Nach erfolgreicher Evaluation der ersten Phase besteht die Option auf eine weitere Förderung für zwei Jahre. Weitere Informationen dazu sind unter www.volkswagenstiftung.de/momentum nachzulesen.

Faktenübersicht:

  • Die VolkswagenStiftung hat das strategische Vorhaben „Violence in East and West – Towards an Integrated History of the 20th Century Europe” von Pavel Kolář, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz, im Rahmen der Momentum-Initiative bewilligt. 
  • Es geht darum, eine europäische Geschichte der Gewalt im 20. Jahrhundert zu schreiben und zu unterrichten, die Ost- und Westeuropa gleichermaßen kritisch betrachtet.
  • Fördersumme: bis zu 794.300 EUR
  • Förderdauer: vier Jahre (mit Option auf Verlängerung um zwei Jahre)
  • Insgesamt wurden in dieser Ausschreibungsrunde 13 Anträge positiv beschieden.