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„Eine evidenzbasierte Politik ist auch dann nötig, wenn sie schmerzt“

Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerald Schneider vom Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz spricht im Interview über Ungleichbehandlung im deutschen Asylwesen.

Am heutigen Mittwoch, 27. Januar 2021, berät der Innenausschuss des Bundestags erneut zum Ermittlungsstand um die Praxis der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in der Behandlung von Asylanträgen. Auch der Präsident des BAMF, Dr. Hans-Eckhard Sommer, ist zu diesem Anlass vor den Ausschuss geladen. Der Konstanzer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerald Schneider macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass nach den Ergebnissen seiner Studien Asylsuchende in Deutschland sehr ungleich behandelt werden. Im Interview mit dem Online-Magazin campus.kn der Universität Konstanz erläutert Schneider nun die Bedeutung dieser Forschungsergebnisse.

In zwei Studien von 2017 und 2020 belegt Gerald Schneider anhand öffentlich zugänglicher Zahlen, dass Asylanträge von verschiedenen Außenstellen des BAMF und von örtlich zuständigen Gerichten ungleich behandelt werden: In manchen Regionen Deutschlands wird den Ergebnissen der Studien zufolge der Mehrzahl der Anträge stattgegeben, in anderen die überwältigende Mehrheit abgelehnt – obwohl überall dieselben Maßstäbe gelten sollten. Die genannten Studien ziehen den Schluss, dass es anscheinend zahlreiche Fehlentscheidungen über Asylanträge gebe, was Rechtsunsicherheit entstehen lasse.

Den Ergebnissen dieser Studien hatte das BAMF mehrfach widersprochen. Gerald Schneider hat daraufhin am 21. Januar 2021 eine Replik auf die Position des BAMF in der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik veröffentlicht. Nun erklärt er im Interview die Forschungsergebnisse und appelliert an die Behörde, sie möchte klare Hinweise auf wirkliche Probleme nicht totschweigen. „Eine evidenzbasierte Politik ist auch dann nötig, wenn sie schmerzt“, so Schneider. 

Faktenübersicht:

  • Neue Publikation: Gerald Schneider (2021): Vertrauen ist gut, Replikation ist besser: Für eine evidenzbasierte Asylpolitik – Replik auf Ursula Gräfin Praschma. Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 1/2021: 10-14. 
  • Prof. Dr. Gerald Schneider ist Professor für Internationale Politik an der Universität Konstanz und Principal Investigator des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“. Er forscht zu Entscheidungsfindung in der Europäischen Union, Ursachen und Auswirkungen bewaffneter Gewalt, der politischen Ökonomie internationaler Finanzmärkte sowie dem Umgang staatlicher Institutionen mit Asylsuchenden. 
  • 2017 und 2020 veröffentlichte Gerald Schneider zwei Studien zur Ungleichbehandlung von Asylanträgen in Deutschland:
    1. Gerald Schneider, Nadine Segadlo, Miriam Leue (2020): Forty-Eight Shades of Germany: Positive and Negative Discrimination in Federal Asylum Decision Making. German Politics 29/4: 564-581.
    DOI: 10.1080/09644008.2019.1707810.
    2. Lisa Riedel, Gerald Schneider (2020): Dezentraler Asylvollzug diskriminiert: Anerkennungsquoten von Flüchtlingen im bundesdeutschen Vergleich, 2010-2015. Politische Vierteljahresschrift 58 (1), 21-48.
    DOI: 10.5771/0032-3470-2017-1-23