Ein Reformer unter Reformern
Zum Tod von Prof. Dr. Rudolf Cohen, ehemaliger Rektor der Universität Konstanz
Prof. Dr. Rudolf Cohen, ehemaliger Rektor der Universität Konstanz und Professor für Klinische und Differenzielle Psychologie, ist am 30. April 2018 im Alter von 85 Jahren verstorben. Rudolf Cohen war von 1996 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 Rektor der Universität Konstanz – als Nachfolger von Prof. Dr. Bernd Rüthers und Vorgänger von Prof. Dr. Gerhart v. Graevenitz. Für seine herausragenden Verdienste für die Wissenschaft und für die Entwicklung der Universität Konstanz wurde Rudolf Cohen mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.
„Die Universität Konstanz trauert um Rudolf Cohen. Mit ihm verliert sie einen weitsichtigen Rektor, einen großartigen Wissenschaftler und einen hoch geachteten Menschen. Sein entschlossener Einsatz war wegweisend für die gesamte Universität“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Rektor der Universität Konstanz, und führt aus: „Als Rektor leitete Rudolf Cohen die Universität mit klugem Kopf in einer Ära der strukturellen Neugestaltung und Modernisierung, als in seiner Amtszeit eine neue Grundordnung der Universität ausgearbeitet und in Kraft gesetzt wurde. Als Wissenschaftler prägte er entscheidend die inhaltliche Ausrichtung der Klinischen Psychologie an der Universität Konstanz und initiierte die wichtige Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Psychiatrie Reichenau. Mit visionärem Blick gründete er bereits 1969, nur wenige Jahre nach der Grundsteinlegung der Universität, die Forschungsstation am Zentrum für Psychiatrie und initiierte die Zusammenarbeit mit den Kliniken Schmieder, die beide bis heute für die psychologische Forschung der Universität Konstanz maßgeblich sind. Als Mensch war und bleibt Rudolf Cohen hoch geschätzt für seine unermüdliche Energie und Schaffenskraft, für seine wissenschaftliche Neugier, seine Lust am Diskutieren und am offenen Meinungsaustausch. Ohne Rudolf Cohen stünde die Universität Konstanz nicht an der Stelle, an der sie heute steht“.
Rudolf Cohen studierte von 1953 bis 1959 in München und Hamburg, wo er 1961 auch promoviert wurde. Nach Abschluss einer Habilitation 1968 übernahm er die Leitung der Arbeitsgruppe für Klinische Psychologie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. 1969 nahm Rudolf Cohen den Ruf auf die Professur für Klinische und Differenzielle Psychologie an der drei Jahre zuvor gegründeten Universität Konstanz an und baute dort vor allem die Klinische Psychologie entscheidend auf und aus. Sein Engagement für den Fachbereich Psychologie, aber auch für die strukturelle Entwicklung der gesamten Universität Konstanz war wegweisend. Rudolf Cohens Überzeugung vom experimentellen und psycho-physiologischen Zugang zum Verständnis psychischer Störungen war entscheidend für die inhaltliche Orientierung der Klinischen Psychologie an der Universität Konstanz. Da Konstanz über keine medizinische Fakultät verfügt, setzte sich Rudolf Cohen unmittelbar für eine Zusammenarbeit mit psychiatrischen Kliniken und neurologischen Rehabilitationszentren in Forschung und Lehre ein. Er gründete die universitäre Forschungsstation am heutigen Zentrum für Psychiatrie Reichenau noch im Jahr seines Amtsantritts und initiierte die Kooperation mit den Kliniken Schmieder. Beide Kooperationen sind bis heute entscheidende Grundlage der Forschung und Lehre im Fach Klinische Psychologie an der Universität Konstanz. Weit über Konstanz hinaus genoss Rudolf Cohen ein hohes Ansehen. Trotz ehrenvoller Rufe an zahlreiche renommierte psychologische Institute blieb er Konstanz bis zu seiner Emeritierung treu.
Als Rektor prägte Rudolf Cohen die Universität Konstanz durch sein unermüdliches Nachdenken um die bestmögliche strukturelle Zukunft der Universität. Geradezu beispielhaft hierfür ist die Reformierung der Grundordnung der Universität in Rudolf Cohens Amtszeit. Bei der Bildung und Umsetzung der Planungskommission, die sich „fast wie eine Gründungskommission einer neuen modernen Universität“ verstehen solle, gab er Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß völlig freie Hand: „Dabei soll nichts, was ist, als heilig gelten“, leitete er die Kommission zu einem Neudenken der Strukturen an, völlig frei von gedanklichen Fesseln und Beschränkungen. Mit dieser Weitsicht und der Bereitschaft, Problemen auf den Grund zu gehen und auch unbequeme, aber notwendige Entscheidungen zu treffen, gelang Rudolf Cohen eine Reformierung der Reformuniversität – eine Modernisierung, von der die Universität Konstanz bis heute profitiert.
Auch über die Grenzen von Konstanz hinaus war Rudolf Cohen wissenschaftspolitisch engagiert. Seit 1978 setzte er sich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aktiv für Wissenschaftsentwicklung ein, von 1992 bis 1996 als ihr Vizepräsident. Rudolf Cohen war Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina sowie Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Über ein Jahrzehnt lang war er Mitherausgeber der Zeitschrift für Klinische Psychologie und engagierte sich ferner im Beirat zahlreicher weiterer Fachzeitschriften.
31 Jahre lang wirkte Rudolf Cohen an der Universität Konstanz als Forscher, Hochschullehrer, Strukturentwickler und schließlich als ihr Rektor. Privat war Rudolf Cohen als passionierter Opernfreund bekannt und als Mensch, der es niemals müde wurde, sich immerzu weiterzubilden und neue Horizonte zu suchen. Aus dem Rektorat der Universität Konstanz ebenso wie als aktiver Forscher und Lehrer aus dem Fachbereich Psychologie schied er mit den Worten „Ich will noch viel lernen“.