Die Organisation hinter der Tötungsmaschinerie
Auftakt der Kulturwissenschaftlichen Kolloquien des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz
Wie war der Holocaust möglich? Eine Erklärung aus soziologischer Sicht gibt Prof. Dr. Stefan Kühl von der Universität Bielefeld. Sein Vortrag über „Ganz normale Organisationen“ am Mittwoch, 17. Juni 2015, um 18 Uhr bildet den Auftakt zu den „Konstanzer Kulturwissenschaftlichen Kolloquien“ in diesem Sommersemester. Die Veranstaltungsreihe stellt Austausch und Diskussion über spannende kulturwissenschaftliche Fragen in den Vordergrund. Im Juni und kommenden Juli werden zwei Vorträge der Reihe stattfinden – jeweils in Raum Y 311 der Universität Konstanz –, die allen Interessierten offen stehen.
Weswegen waren während der Zeit des Nationalsozialismus so viele Deutsche bereit, sich an der Vernichtung der europäischen Juden aktiv zu beteiligen? „Das Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten wurde über ganz normale Organisationen abgewickelt,“ meint Kühl, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Organisationssoziologie liegt. „Mithilfe soziologischer Theorieansätze bin ich der Frage nachgegangen, wie Personen durch die Einbindung in Organisationen dazu gebracht wurden, Dinge zu tun, die sie sich außerhalb von Organisationen nicht hätten vorstellen können.“
Laut Kühl, der 2014 das Buch „Ganz normale Organisationen“ veröffentlichte, hat gerade die Einbindung in Einrichtungen des NS-Staates Menschen dazu bewegt, sich an Deportationen und Massenerschießungen zu beteiligen: „Die individuellen Motive dafür waren sicher unterschiedlich, ob jemand etwa Befehlen oder dem Gruppendruck nachgab, sich finanzielle Bereicherung versprach oder sich an die Brutalität gewöhnte. Das war für die Organisationen des NS-Staates jedoch letztlich zweitrangig.“
Das zweite Kulturwissenschaftliche Kolloquium in diesem Sommersemester führt thematisch in den Mittelmeerraum der frühen Neuzeit. Der Pariser Historiker Prof. Dr. Wolfgang Kaiser wird am 8. Juli 2015 zum Thema „Wenn drei sich streiten. Rechtsvielfalt und Konfliktregelung im frühneuzeitlichen Mittelmeerhandel“ sprechen. Bis heute ist das Mittelmeer ein Projektionsraum in der europäischen Vorstellungswelt, wo er meist entweder als geopolitische Bühne eines säkularen Konflikts zwischen Christen und Muslimen oder aber – im positiven Sinne – als kosmopolitischer Raum des Zusammenlebens erscheint. Diese „großen Erzählungen und Sinnstiftungen“ will der Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Paris 1 (Panthéon-Sorbonne), Frankreich, unterlaufen, indem er den Blick auf die konkreten Bedingungen, die vielfältigen Institutionen und rechtlichen Traditionen der Handelsplätze richtet. Wie wurden Handelsstreitigkeiten zwischen christlichen, jüdischen und muslimischen Kaufleuten ausgetragen und gelöst? Welche rechtlichen Ressourcen haben die Beteiligten mobilisiert? Dies will der Vortrag, den der Historiker um 18 Uhr in Raum Y 311 der Universität hält, beantworten.