Studierende aus der Vogelperspektive
Studierende aus der Vogelperspektive

Die Macht des Unausgesprochenen

Die Veranstaltungsreihe „Foyer Forschung“ des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz diskutiert über Tabus und ihre Regeln

Die westliche Welt definiert sich über ihre Offenheit. Und doch gibt es Worte, die man nicht ausspricht, Positionen, die man nicht bezieht, Fragen, die man nicht stellt. Worüber schweigen wir – und aus welchem Grund? In der Reihe „Foyer Forschung“ geht die Diskussionsveranstaltung „Tabus – unausgesprochen stark“ am Donnerstag, 17. November 2016, um 20 Uhr dieser Frage nach. Auf dem Podium sprechen die Ethnologin Tanja Thielemann von der Universität Konstanz und der Linguist Prof. Dr. Hartmut Schröder von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz lädt dazu in das Foyer der Spiegelhalle des Konstanzer Theaters ein.

Sexuelle Vorlieben, religiöse Praktiken, der Tod – worüber spricht man öffentlich, und welche Themen sind bis heute tabu? Schränken uns Tabus stets nur ein, oder leisten sie auch etwas für unsere Gesellschaft? Was versteht man unter einem Tabu? In der Diskussionsveranstaltung „Tabus – unausgesprochen stark“ der Reihe „Foyer Forschung“ diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem Publikum über diese schwer fassbaren Regeln gesellschaftlicher Interaktion.

„Ein Unterschied zwischen direkt verbotenen und tabuisierten Handlungen besteht darin, dass über Verbote durchaus gesprochen werden kann, sie zum Beispiel nach einer rationalen Begründung hinterfragt werden können“, erklärt Hartmut Schröder. „Tabus aber stehen außerhalb jeder Diskussion, da sich die tabuisierte Handlung quasi von selbst verbietet.“

Bis heute spielen Tabus innerhalb von Gemeinschaften eine bedeutende Rolle, denn sie markieren deren Wertehorizont. „Das Selbstverständnis und damit die Identität von sozialen Gruppen wie Familien, Parteien oder auch ganzen Gesellschaften definiert sich darüber, was man als Gruppenmitglied stillschweigend und unhinterfragt zu tun und vor allem zu lassen pflegt“, erläutert Tanja Thielemann. „Wird ein Tabu übertreten, droht der Ausschluss aus der Gemeinschaft, die damit ihre Identität wahrt.“

Die Ethnologin untersucht in ihrem Promotionsprojekt, wie Unternehmen und gemeinnützige Organisationen mit Diversität, unter anderem ethnischer und religiöser Vielfalt, umgehen. In ihrer Feldforschung stieß sie nicht nur häufig auf Sprachtabus, sondern erkannte auch deren kreatives Potenzial: „Sprachtabus fördern Umschreibungen und neue Wortschöpfungen, mit denen tabuisierte Wörter umgangen werden können.“

Tabus sind in ihrer Ausprägung meist kulturspezifisch, weshalb sie in interkulturellen Kontaktsituationen besonders schnell ins Auge fallen. „Folgen eines Tabubruchs in einer fremden Kultur sind oft schwerwiegender als in der eigenen Kultur; denn der Tabubrechende ist sich seines Handelns in der Regel nicht bewusst, und ihm fehlen die Möglichkeiten einer nachträglichen Reparatur“, erklärt Hartmut Schröder. Der Professor für Sprachgebrauch und Therapeutische Kommunikation forscht seit Jahren intensiv über Tabus, gerade in der interkulturellen Kommunikation, und über sprachliche Bewältigungsformen.

„Tabus nur als soziale Hemmnisse zu verstehen, würde ihrer gesellschaftlichen Rolle nicht gerecht“, sagt Dr. Michael Neumann, Literaturwissenschaftler der Universität Konstanz, der die anschließende Diskussion mit dem Publikum moderiert. „Vielmehr müssen wir danach fragen, in welchen konkreten Situationen Tabus exklusiv oder inklusiv wirken.“

Faktenübersicht:

  • Veranstaltung: „Tabus – unausgesprochen stark“.
  • Zeit: Donnerstag, 17. November 2016, um 20 Uhr.
  • Ort: Foyer der Spiegelhalle des Stadttheaters Konstanz, Hafenstraße 12.
  • Veranstaltungsreihe: Das „Foyer Forschung“ ist eine Veranstaltungsreihe des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ und des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz, die in Kooperation mit dem Stadttheater einmal im Semester öffentlich brisante Wissenschaftsthemen in ein städtisches Forum bringt.
  • Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei.