Die Karriere eines Vorurteils
Presseinformation Nr. 126 vom 31. Oktober 2013
Eröffnung des Doktorandenkollegs „Europa in der globalisierten Welt“ mit einem Vortrag von Prof. Dr. Klaus-Michael Bogdal
„Wo beginnt die Steppe?“ Erst an den Grenzen von Europa oder auch im Inneren der Staatengemeinschaft? Prof. Dr. Klaus-Michael Bogdal gibt am Donnerstag, 7. November 2013, um 20 Uhr an der Universität Konstanz eine Antwort auf die titelgebende Frage. Der Vortrag ist offizieller Auftakt zum Doktorandenkolleg „Europa in der globalisierten Welt“.
Seit zwanzig Jahren untersucht Bogdal, Professor für Germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld, welches Bild der Sinti und Roma in der europäischen Literatur gezeichnet wurde. Die Begegnung Europas mit den Sinti und Roma beginnt im Mittelalter, ihre Geschichte wird – mangels eigener Schriftkultur – maßgeblich von Europäern geschrieben und entpuppt sich als Karriere eines Vorurteils über Jahrhunderte hinweg. In der europäischen Literatur werden sie stets als das „Andere“ stilisiert, mal als bedrohliche Räuberbanden, mal als faszinierend schöne und ungebändigte Naturen.
Laut Bogdal nehmen Sinti und Roma damals wie heute eine einzigartige Position in der europäischen Kulturgeschichte ein: „Sie gehören zu denen, die nicht von Anfang an da waren, die man nicht erwartet hat und die deshalb wieder verschwinden müssen. Sie gelten als unheimlich, weil sie ‚überall lauern‘ und nach undurchschaubaren Regeln ‚kommen und gehen‘. Daraus erwächst ein konstantes Moment der Wahrnehmung und Begegnung: Die Ambivalenz von Verachtung und Faszination.“ Sein viel beachtetes Buch „Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung“ wurde dieses Jahr mit dem Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung ausgezeichnet.
Wie werden nicht nur politische Grenzen gezogen und aufrechterhalten, sondern auch soziale und kulturelle Grenzen, Grenzen nach außen und solche im Inneren? Und welche Rolle spielt Grenzziehung für europäische Identitätskonstruktionen? Auch die sieben Doktorandinnen und Doktoranden sowie zwei koordinierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Doktorandenkollegs „Europa in der globalisierten Welt“ beschäftigen sich mit Identifikations- und Grenzziehungsprozessen. Junge Ethnologen, Historiker, Literaturwissenschaftler, Rechtswissenschaftler und Soziologen erforschen Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Europa und seinem „Anderen“. Aus verschiedenen Perspektiven wird außerdem untersucht, wie Souveränitätsregime sich in einer sich globalisierenden Welt entwickeln.
Das Doktorandenkolleg, das der Vortrag von Klaus-Michael Bogdal eröffnet, ist Teil des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“. Dr. Estela Schindel und Dr. Tilmann Heil koordinieren die wissenschaftliche Arbeit des Kollegs in Zusammenarbeit mit den vier Konstanzer Professoren Thomas G. Kirsch, Professor für Ethnologie/ Kulturanthropologie, Kirsten Mahlke, Professorin für Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Methoden, Sven Reichardt, Professor für Zeitgeschichte, und Thomas Weitin, Juniorprofessor für Neuere Deutsche Literatur im europäischen Kontext.