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Bedrohte Sprachen und Diskriminierung

Was aussterbende Sprachen mit Ungleichheit und Diskriminierung zu tun haben: neue Forschungsergebnisse der Universität Konstanz und der Kristianstad University.

Alle zwei Wochen stirbt eine der geschätzt 7.000 weltweiten Sprachen aus. Schätzungen zufolge wird nur ca. die Hälfte unserer heutigen Sprachen im kommenden Jahrhundert noch gesprochen werden. Wenn nun am 21. Februar der „Internationale Tag der Muttersprache“ der UNESCO begangen wird, ist gerade eine weitere Sprache im Begriff zu sterben.

Was bedeutet es für eine Sprachminderheit, wenn ihre Sprache verloren geht? In einer Studie zeigen ForscherInnen des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz deutliche Zusammenhänge mit Diskriminierungserfahrungen auf. SprecherInnen von Minderheitensprachen erfahren weltweit Benachteiligungen in Gesellschaft, Bildung und Beruf – insbesondere dann, wenn sie ihre Sprache öffentlich sprechen.

Aus einem Ländervergleich zwischen Norwegen und Schweden schlussfolgert die Studie politische Handlungsmodelle: Die Förderung der Sprache und Kultur einer Minderheit sei demnach ein wirksamer Hebel, um Diskriminierung abzubauen – sozioökonomische Maßnahmen allein seien nicht ausreichend.

Mehr Anerkennung, weniger Diskriminierung

Die Studie erfolgte am Beispiel der Bevölkerungsgruppe der Samen in Norwegen und Schweden. In beiden Ländern bilden die Samen eine gesellschaftliche Minderheit und der Gebrauch der samischen Sprache ist gleichermaßen rückläufig. Norwegen erkennt aber das Samische, zumindest in Teilen des Landes, als offizielle Landessprache an und repräsentiert sie im Alltag; Schweden tut dies in geringerem Maße.

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass in beiden Ländern Samen signifikant mehr Diskriminierung erleben als die Mehrheitsgesellschaft. Am ausgeprägtesten sind die Diskriminierungserfahrungen bei Personen, die Samisch in der Öffentlichkeit sprechen. Im Vergleich zwischen den Ländern wird deutlich, dass schwedische Samen, die ihre indigene Sprache häufig nutzen, am stärksten von Diskriminierung betroffen sind.

Unzureichende Möglichkeiten, Samisch in der Schule zu lernen und zu sprechen, sowie administrative Hürden führen dazu, dass Samisch-Sprechende außerhalb ihrer Familie nur sehr wenige Gelegenheiten haben, ihre Sprache zu nutzen. Solche Barrieren können zu einer Form von struktureller Diskriminierung werden. Samen in Schweden schildern in der Befragung ihren Eindruck, die Sprachpolitik ihres Landes halte sie davon ab, ihre Muttersprache zu lernen und zu beleben.

Dass die Anerkennung und Verankerung der Sprache im Alltag positive Effekte auf die gesellschaftliche Stellung der Minderheit zeigt und in der Folge Diskriminierung reduziert, ist ein Kernergebnis der Studie: „Die Diskriminierung von Sprachminderheiten ist sehr häufig mit der mangelnden Wertschätzung für deren Sprache verbunden. Erfolge in Norwegen zeigen: Indem eine Minderheitensprache stärker in die Öffentlichkeit integriert wird, zum Beispiel durch mehrsprachige Beschilderungen im Alltag, kann Diskriminierung erfolgreich entgegengewirkt werden“, unterstreicht das Forschungsteam des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz.

Als Maßnahme gegen Diskriminierungserfahrungen und wahrgenommene Ungleichheiten empfehlen die Forschenden deshalb eine Sprachpolitik, die entschieden die Anerkennung und Wertschätzung der Samischen Sprachen verfolgt.

Faktenübersicht:

  • Das Policy Paper “Why language matters: Inequality Perceptions among the Sámi in Sweden and Norway” basiert auf den Ergebnissen aus zwei Forschungsprojekten in Norwegen und Schweden:
    • Einerseits der „Nordic Peoples Survey“, eine Umfrage des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ in Norwegen und Schweden im Sommer 2021 mit rund 5.400 Teilnehmenden (2.396 in Norwegen, davon 44,7 Prozent Samen, und 3.020 in Schweden, davon 28 Prozent Samen.)
    • Andererseits wurden die Ergebnisse des „Nordic Peoples Survey“ mit qualitativen Daten aus Interviews mit Samisch-Sprechenden verknüpft, die Yair Sapir (Kristianstad University) 2020 durchführte.

Das Policy Paper ist eine Publikation des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz. Die AutorInnen sind Anika Lloyd-Smith, Fabian Bergmann, Yair Sapir, Rusen Yasar und Tanja Kupisch.