Blick auf den Bodensee
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Asketische Familienlosigkeit – ein umstrittenes Thema

Eröffnung der wissenschaftlichen Tagung „Kinless Worlds?“ im Konstanzer Kulturzentrum am Münster

Mit einem Vortrag über „Martin Luther: Vom Mönch zum Familienvater“ wird Prof. Dr. Volker Leppin, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen, am 4. Juni 2015 die internationale Tagung „Kinless Worlds? Familienlosigkeit und asketische Milieus von der Spätantike bis zum Spätmittelalter“ eröffnen. Die Auftaktveranstaltung, die sich ausdrücklich an die interessierte Öffentlichkeit richtet, beginnt um 20 Uhr im Wolkensteinsaal des Konstanzer Kulturzentrums am Münster. Gefördert wird die Tagung vom Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz.

„Über die familienfeindlichen und in diesem Sinn desintegrativen Tendenzen des Christentums ist in den letzten Jahrzehnten viel spekuliert, aber insgesamt erstaunlich wenig systematisch geforscht worden“, stellt Prof. Dr. Gabriela Signori, Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Konstanz, fest. Zusammen mit Dr. Steffen Diefenbach, Juniordozent für politische Kulturen der Antike, organisiert sie vom 4. bis 6. Juni 2015 die Tagung im Konstanzer Kulturzentrum am Münster.

„Meist folgt die Forschung darin Max Weber, der einen strukturellen Gegensatz von christlicher Gemeinde und Sippengemeinschaft behauptet“, erklären die Veranstalter und räumen ein, dass es zwar nicht zu bestreiten sei, dass die im Sinne einer asketischen Ethik normativen Texte – wie zum Beispiel Mönchsregeln – eine Trennung von der Familie einforderten. „Doch es fällt auf“, so die beiden Historiker, „dass selbst sie es gewöhnlich vermieden, ihre Forderungen mit den biblischen Schlüsseltexten zu unterfüttern, auf die sich Weber bezieht.“

Im Zentrum der Tagung steht die Frage, in welchen Formen biblische Forderungen und kulturelle Leitbilder von asketischer Familienlosigkeit aus der Perspektive unterschiedlicher historischer Gesellschaften aufgenommen, angepasst und weiterentwickelt wurden. Vor allem die Wechselbeziehungen zwischen Diskursen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sollen schärfer gefasst werden: Wie beeinflussten diese Rahmenbedingungen den Umgang mit dem biblischen Erbe? In welcher Weise wirkten die Diskurse auf die Positionierung von Asketen und asketischen Gemeinschaften in einer Gesellschaft zurück?

Der Eröffnungsvortrag nimmt Martin Luther als historische Persönlichkeit am Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit in den Blick, die sich in ihrem Leben zunächst zu asketischem Mönchtum berufen glaubte, die Familienlosigkeit des Klerus aber später öffentlich verwarf. Die historischen wie biographischen Hintergründe dieses Wandels, der den öffentlichen Diskurs europaweit befeuern sollte, erörtert Prof. Dr. Volker Leppin, dessen Forschungsschwerpunkt im Spätmittelalter und der Reformationszeit liegt.