Dynamiken sozialer Schließung in Social-Media-Plattformen

International vergleichende und transnationale Perspektiven auf ­fragmentierte Öffentlichkeiten

Social Media sind geprägt von Hierarchien und Ungleichheit. Starke Positionen sind an den mühsamen Erwerb von Fertigkeiten gebunden. Die Teilhabe an sozialen Medien geht mit Anforderungen an die Teilhabenden, mit Zugangsbarrieren und Verfahren der Grenzziehung einher. Die pluralisierten Öffentlichkeiten in sozialen Medien bilden sich auf diese Weise als fragmentierte (Gegen-)Öffentlichkeiten heraus, die durch je spezifische Exklusionen geprägt sind und sich gerade dadurch Gehör verschaffen können. Das Projekt fragt nach den Dynamiken der Schließung, die in en-gem Wechselspiel, aber auch konträr zur Logik der Konnektivität von Social Media im Zuge von medialen Praktiken Abschottungen vollziehen. Die leitende Frage richtet sich auf den Zusammenhang zwischen Möglichkeiten der Teilhabe in und vermittelt durch Social Media Plattformen und solchen Praktiken der Schließung. Die Ausgangshypothese lautet, dass Gesten der (Selbst-) Exklusion, der Ab- beziehungsweise Ausgrenzung im Inneren und nach außen zentrale Kennzeichen von Netzgemeinschaften sind, die gleichzeitig ihre Macht und Reichweite gewährleisten. Das Projekt verfolgt in medienkulturwissenschaftlicher Perspektive die Leitfrage, inwiefern gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Schließungsdynamiken in Social Media bekräftigt oder angefochten wird.

Es verbindet praxistheoretische und diskursanalytische Methoden und setzt darüber hinaus Digital Methods ein, um Social Media Plattformen empirisch zu erschließen. Im Sinne des medienkulturwissenschaftlichen Ansatzes stehen medienethnographische und qualitative Methoden der Analyse von Praktiken im Vordergrund. In einem analytischen Teilbereich werden ausgewählte Social Media Plattformen (Facebook, Instagram, Twitter) und deutschsprachige Gruppierungen, die sich auf diesen Platt-formen in besonderen Gesten der Abschottung formieren, vergleichend im Hinblick auf ihre Dynamiken sozialer Schließung untersucht. Dies geschieht im engen Aus-tausch mit externen Kooperationspartnern, die bereits international vergleichende Social-Media-Forschung geleistet haben. Auf dieser Grundlage werden die unter-suchten Communities in ihrer Spezifik und in ihrem Gefährdungspotenzial für gesellschaftlichen Zusammenhalt näher bestimmbar.

Dem Strukturwandel der Medienlandschaft kommt durch die zunehmende Relevanz von digital vernetzten Medien ein wichtiger Stellenwert für Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu. Dieser Wandel äußert sich in einer wachsenden Divergenz in der öffentlichen Meinungsbildung. Wie in der Einleitung des FGZ-Gründungsantrags beschrieben, ist ein Effekt dieses Wandels eine wachsende Konsumorientierung. Die Vorgänge in den gewinnorientierten Social Media Plattformen lassen sich in Übertragung des wirtschaftswissenschaftlichen Konzepts des „long tail“ (Chris Anderson) auf die Öffentlichkeitsforschung beschreiben. Nach diesem Prinzip basiert der wirtschaftliche Erfolg virtueller Güter auf der Vermarktung einer Vielzahl von Nischen- anstelle von wenigen Mainstream-Produkten.

In Analogie zu diesem ökonomischen Modell wurde in der Forschung, etwa von Jan-Hinrik Schmidt (FGZ-Hamburg), die Veränderung von Öffentlichkeit beschrieben: Die digitale Vernetzung und die Praktiken sozialer Medien leisten einer Pluralisierung des Meinungsspektrums in divergierende Öffentlichkeiten Vorschub, mit je eigenen Prinzipien der Filterung und Verbreitung von Informationen. Diese vielfältigen und konträren (Nischen-)Öffentlichkeiten sind nun deshalb gesellschaftlich besonders brisant, weil Social Media durch Vernetzung und beschleunigte Verbreitung von Informationen minoritären Stimmen leichter Gehör verschaffen, als dies unter den Bedingungen einer massenmedialen Disposition möglich ist. Vergemeinschaftungen in dieser wirkungsvollen „Peripherie“ erhalten auf diese Weise eine unerwartete Aufmerksamkeit und überraschende Macht, sowohl in den Medienkulturen des Internets als auch in den zunehmend marginaler werdenden „Zentren“ der massenmedial-strukturierten Öffentlichkeit.