(Sprachliche) Vielfalt in der Schule: Zwischen Herausforderung und Bereicherung (Grafik: Pixabay)

„Es ist immer eine Gratwanderung“

Wie kann Mehrsprachigkeit im (Berufs-)schulalltag gelingen? In ihrem Vortrag „Zwischen Sprachverboten und Anerkennung: Zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im schulischen Kontext“ versucht Erziehungswissenschaftlerin Dr. Isabel Dean von der Universität Siegen, darauf eine Antwort zu finden - und leitet damit zugleich in einen spannenden zweiten Teil der Veranstaltungsreihe „Bildungswege“ ein.

Zu einem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Bildungswege“ mit
Dr. Isabel Dean, Universität Siegen

Organisation: Dr. Kathrin Leipold, FGZ Konstanz und Beatrice Salamena, Universität Konstanz

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Normsprache Deutsch in mehrsprachigen Schulen

Dass es in Deutschland Menschen gibt, die mit einer anderen Muttersprache als der Deutschen aufwachsen, ist nichts Neues. Daher scheint es überraschend, dass diese Mehrsprachigkeit vielfach noch nicht in deutschen Schulen angekommen ist: so zumindest die These der Studie „Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule“, erschienen in Neuauflage 2008. In ihrem Buch stellt Autorin Ingrid Gogolin ein Missverhältnis zwischen der Realität von Schüler*innen, die mehr als eine Sprache sprechen, und dem Selbstverständnis deutscher Schulen, deren alleinige Unterrichtssprache in der Regel Deutsch ist, fest, das sich nicht unbedingt förderlich auf den Erfolg des Unterrichts auswirkt. Und auch heute noch treffen Gogolins Befunde auf viele deutsche Bildungseinrichtungen zu, wie Dr. Isabel Dean (Universität Siegen) im Rahmen ihrer eigenen ethnographischen Arbeit beobachten konnte. Während es einerseits Beispiele von Schulen gibt, die einen alternativen Umgang mit der vorhandenen Sprachvielfalt gefunden haben, berichtet Dr. Dean andererseits auch von Fällen, in denen man Deutsch als Normsprache trotz der sprachlichen Diversität der Schüler*innen nach wie vor nicht in Frage stellt.

Sprache und Macht

Die Unterscheidung zwischen einer „Normsprache“ (Deutsch) und „anderen Sprachen“ kann sprachbezogene Diskriminierung zur Folge haben. Doch gibt es sowohl innerhalb des Deutschen als auch die verschiedenen „anderen Sprachen“ betreffend ebenfalls Unterscheidungen, die ein Machtgefälle begünstigen. Beispielsweise spricht man dem Hochdeutschen gegenüber deutschen Dialekten generell eine höhere Wertigkeit zu: Es gilt, die offizielle Sprache zusätzlich in der offiziell anerkannten Weise (Hochdeutsch) zu sprechen. Darüber hinaus wird Mehrsprachigkeit in bestimmten, zumeist westeuropäischen Sprachen wie Englisch oder Französisch oft weniger kritisch beäugt als eine solche in anderen, östlich von Europa gelagerten Sprachen wie Türkisch oder Arabisch. Innerhalb eines bestimmten Kontextes ist die dominante Sprechweise das Ergebnis verschiedener, einander überlagernder Selektionsmechanismen. Die Folge: Nicht-Deutsch-Muttersprachler*innen haben es in Schulen, in denen Deutsch als einzige Unterrichtssprache vorausgesetzt wird, sehr schwer.

Einsprachigkeit vs. Mehrsprachigkeit

Warum wird dann an manchen Schulen noch so viel Wert auf die ausschließliche Verwendung der deutschen Sprache gelegt? Ein Grund dafür ist die Befürchtung, dass Kinder und Jugendliche, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, die Sprache nie vollständig erlernen, wenn man ihnen die Wahl lässt. „Ich habe erlebt: Wenn die Schüler zu lange bei ihrer Muttersprache bleiben, schaffen sie den Sprung nicht, ins Deutsche zu kommen“, bringt sich eine Schulsozialarbeiterin aus dem Publikum ein. Dem entgegnen anwesende Schüler*innen mit Migrationsgeschichte: Das Problem sei vielmehr, dass man sich außerhalb des Unterrichts isoliert und Gruppen von Schüler*innen unterschiedlicher Muttersprachen wenig miteinander in Kontakt kommen. So wird seitens einer anwesenden Auszubildenden die Forderung an Deutsch-Muttersprachler*innen laut: „Einfach mit die Mitschüler sprechen und kein Theater machen!“.

Ein weiterer Grund für die Dominanz des Deutschen in Schulen ist die Annahme, dass das Erlernen eines Inhaltes in mehreren Sprachen zu Verwirrung führt und letztlich nicht gelingen kann. In Widerspruch dazu lässt sich die sogenannte „Interdependenztheorie“ (Cummins 1981) verstehen: Sie besagt, dass verschiedene Sprachen, die ein Mensch spricht, zwangsläufig miteinander verwoben sind. Transfereffekte zwischen zwei Sprachen könnten sich sogar positiv auf den Lerneffekt auswirken. So zitiert Dr. Isabel Dean eine in mehrsprachigen Kontexten arbeitende Lehrerin, deren Erfahrung zeigt: „Sprechen ist wichtig, egal in welcher Sprache.“

Schließlich ist es wohl auch die Angst vor Kontrollverlust gegenüber der Klasse, die Lehrer*innen dazu bewegt, auf Deutsch als alleiniger Unterrichtssprache zu bestehen. Hinzu kommt, dass, je mehr unterschiedliche Sprachen innerhalb eines Klassenverbandes gesprochen werden, desto weniger gegenseitiges Verständnis überhaupt möglich ist. Was also tun?

Gibt es eine Lösung?

Die große Frage ist: Wie kann schulische Mehrsprachigkeit anerkannt werden, ohne Sprachverbote auszudrücken? „Es ist immer eine Gratwanderung“, stellt eine im bilingualen Bereich arbeitende Lehrerin aus dem Publikum fest. Und zeigt damit auf, was auch der Vortrag letztlich folgert: Die eine, perfekte Herangehensweise an Mehrsprachigkeit in Schulen gibt es nicht. Stattdessen ist es Aufgabe der Lehrer*innen, ihre Methoden und Formate beständig an die Bedürfnisse der Schüler*innen anzupassen: Einerseits die Kommunikation untereinander auch im Falle unterschiedlicher Muttersprachen zu ermöglichen. Andererseits jedoch auch nicht zu verhindern, dass junge Menschen Selbstwirksamkeitserfahrungen machen, die vielleicht zunächst einer anderen Sprache als der Deutschen bedürfen.

Als gutes Beispiel für eine entsprechend flexible Herangehensweise kann der Vortrag Dr. Isabel Deans selbst gewertet werden. Die Veranstaltung „Bildungswege“ richtet sich an sein sehr diverses Publikum, das in dieser Vielfältigkeit am 30. Juni 2022 anwesend ist: Neben im Bereich Mehrsprachigkeit und Integration arbeitenden Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen und anderen „am Menschen“ tätigen Personen versammelt der Anlass auch Forschende aus den Sozial- und Erziehungswissenschaften ebenso wie (Berufs-)schüler*innen mit und ohne Migrationsgeschichte. Zwar ist der Vortrag selbst eher bildungssprachlich gehalten und also nicht auf alle Zielgruppen zugleich ausgerichtet. Diese mögliche Verständnishürde wird jedoch mittels einer teilweisen Übersetzung in einfache Sprache durch eine Berufsschullehrerin einerseits sowie einer grundsätzlichen Offenheit für Verständnisfragen und Austausch andererseits überwunden. Das bewusste Miteinbeziehen des Publikums in Form einer Zwischen- und Abschlussdiskussion ermöglicht allen Anwesenden eine aktive Teilhabe, wovon rege profitiert wird. Einmal mehr zeigt sich, dass „Bildungswege“ keine Einbahnstraßen sind: Wir können alle noch viel voneinander lernen.

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Von Eva Günther