(apl.) Prof. Dr. Andreas Lange

Andreas Lange hat an der Universität Konstanz Soziologie und Psychologie studiert (M.A.), mit einer Arbeit zum Kinderleben auf dem Lande bei Prof. Kurt Lüscher 1993 promoviert und war bis 2000 Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt „Gesellschaft und Familie“. 2003 erfolgte die Habilitation, 2007 die Ernennung zum apl. Prof. für Soziologie an der Universität Konstanz. Seit 2003 arbeitet er am Deutschen Jugendinstitut in München in der Abteilung Familie und Familienpolitik und ist dort Grundsatzreferent für Familienwissenschaften. Er beschäftigt sich mit den Themen Familie und Erwerbsarbeit; Familie und Bildung, Lebensführung von Kindern und Jugendlichen sowie mit der Mediatisierung des Alltags. Seit 2008 ist er Mitherausgeber der Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, seit 2003 Mitglied der Redaktion „merz“ Zeitschrift für Medienpädagogik und Mitglied im Sprecherrat der Sektion Soziologie der Kindheit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

Aktuelle Publikationen:


Heitkötter, Martina/Jurczyk, Karin/Lange, Andreas/Meier-Gräwe, Uta (2009).(Hrsg.). Zeit für Beziehungen? Zeit und Zeitpolitik für Familien. Opladen: Barbara Budrich.


Jurczyk, Karin/Lange, Andreas (2009) (Hrsg.). Vaterwerden und Vatersein heute. Neue Wege - neue Chancen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.


Lange, Andreas/Sander, Ekkehard (2010). Mediensozialisation in der Familie. In: Ralf Vollbrecht/ Claudia Wegener (Hrsg.) Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden, VS: 180-191.


Lange, Andreas/Karin Jurczyk (2009). „Die globalisierte Familie." DJI-Bulletin 88 (4): 4-6.

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Sie werden „Spätauszieher“ genannt, die Kinder, die sich spät und manchmal nur schwer von ihren Eltern lösen können. „Im Gespräch“ hat Andreas Lange, außerplanmäßiger Professor für Soziologie in Konstanz und Grundsatzreferent für Familienwissenschaften am Deutschen Jugendinstitut e.V. in München, zu Details befragt.

Herr Prof. Lange, wann sind Sie zuhause ausgezogen?

Diese Frage zeigt sehr schön, wo die Fallstricke der Forschung liegen können. Eigentlich bin ich schon sehr früh „ausgezogen“, nämlich mit 18 Jahren zum Wehrdienst, dann aber aus ökonomischen Gründen in den elterlichen Haushalt zurückgekehrt, um das Studium überhaupt finanziell schaffen zu können; „ausgezogen“ im Sinne von eigenen Haushalt bin ich dann nach der Promotion.


Früher mussten Kinder aus kinderreichen Familien bisweilen früh ihr Elternhaus verlassen, um den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Heute scheint genau das Gegenteil immer mehr in Mode zu kommen. Sind die heutigen Kinder im Vergleich zu den Kindern früher erst später reif?

Das lässt sich so allgemein nicht sagen. Es gibt Bereiche wie die Medien- und Informationskompetenz und die Erfahrung mit anderen Kulturen, da sind „Kinder“ heute sicher kompetenter und weiter als noch vor 30 Jahren. In anderen Bereichen wie den im weitesten Sinne „haushälterischen“ Fähigkeiten mag das anders sein, wobei insbesondere die jungen Männer dort „Defizite“ aufweisen. Das liegt auch an den Erziehungs- und Sozialisationsprozessen, Jungen werden kaum zu Hausarbeiten herangezogen. Die Mädchen sind da schon mehr gefordert und können sich so bestimmte auch für das Alleinleben wichtige Fertigkeiten aneignen.


Ist der gesellschaftliche Wandel mit verantwortlich für diese Veränderung?

Der rasche soziale Wandel ist in der Tat mitverantwortlich für die Verschiebungen des Auszugsalters und weiterer, damit eng zusammenhängender Statuspassagen, wie Heirat, Elternschaft und Berufseinmündung. Dahinter stehen vor allem größere Anforderungen, sich die notwendigen Qualifikationen für einen immer hürdenreicheren erfolgreichen Berufsplatzierungsprozess anzueignen. Durch die insgesamt länger werdenden Bildungsprozesse und die gleichzeitige ebenfalls typisch postmoderne Suche nach Selbstverwirklichung „verschiebt“ sich der gesamte Lebenslauf „nach hinten“. Lag der Median des Auszugsalters (ein Median von 22 Jahren bedeutet, dass die Hälfte der jungen Männer im Alter von 22 Jahren ausgezogen ist) der heute 57- bis 66-Jährigen noch bei 22 Jahren, sind die heute 27- bis 36-Jährigen dann mit 26 Jahren aus dem Haushalt ausgezogen.


Oftmals hört man, die heutigen Kinder seien einem größeren Lerndruck/-stress ausgesetzt, bräuchten mehr Nestwärme…

Aus verschiedensten Untersuchungen wissen wir in der Tat, dass von der Sekundarstufe aufwärts Lernen, Schule, Qualifikation zu den wichtigsten Familienthemen überhaupt geworden sind. Wir wissen auch, dass ein Großteil heutiger Eltern versucht, die schwierige Balance zu vollziehen, ihren Kindern im Hier und Jetzt ein gelingendes Leben zu ermöglichen und sie gleichzeitig für die Zukunft fit zu machen.


Gibt es ein Mindestalter, das Kinder haben sollten, wenn sie von zu Hause ausziehen?

Ich würde das, sieht man einmal von den ganz harten rechtlichen Regulierungen ab, von den Kompetenzen und Fertigkeiten der Kinder sowie den ihnen zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Ressourcen abhängig machen. Der Ländervergleich lehrt uns beispielsweise, dass in einigen nordeuropäischen Ländern ein früheres Auszugsalter durch angemessene staatliche Unterstützung junger Erwachsener ermöglicht wird.


Was, wenn das Kind gar nicht auf eigenen Füßen stehen will?

Ich glaube, das ist dann eine Frage für die gerade laufende Dokusoap im Privatfernsehen, nein ernsthaft: Das ist eine Frage im Kompetenzbereich der Psychologie.


Dann gibt es ja noch die „Ein- und Auszieher“, ganz nach dem Motto: „Ich ziehe jetzt aus, aber im Grunde fühle ich mich zuhause viel wohler und komme deshalb wieder zurück“…

Für dieses „Pendeln“ wurde der schöne Begriff der „Yo-Yo-Biographien“ geprägt – Ausziehen, dann kommt ein Lebensereignis wie zum Beispiel eine Scheidung, man zieht wieder daheim ein etc. Aus soziologischer Sicht ist dies auch eher weniger eine individuelle Marotte als Ausdruck neuer gesellschaftlicher Verhältnisse


Wir haben bisher nur die Kinder thematisiert. Haben sich die Eltern im Vergleich zu früher geändert? Sind sie geduldiger mit ihren Kindern?

Geändert hat sich das Verhältnis der Generationen in den Familien, wir sprechen von einer „Pragmatisierung“. Aufgrund einer größeren kulturellen Nähe und aufgrund einer sensiblen Wahrnehmung der gesellschaftlichen Situation durch heutige Eltern entwickeln viele von ihnen doch ein Verständnis für die Schwierigkeiten, heute die Standards eines Erwachsenenlebens zu erreichen, und unterstützen ihre Kinder daher.


Laufen Eltern, die für einen frühzeitigen Auszug ihrer Kinder plädieren, Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, ihre Kinder nicht genügend zu unterstützen?

Ich denke, es ist eher umgekehrt: In unserer Kultur, die dem Leitwert „Autonomie“ so viel Wert beilegt, müssen sich eher die Eltern und auch diejenigen „Kinder“ legitimieren, die- aus welchem Grund auch immer- zusammen wohnen.