Prof. Dr. Thomas Götz

Thomas Götz ist seit 1. Oktober 2007 Professor für Erziehungswissenschaft / Empirische Bildungsforschung an der Universität Konstanz und der Pädagogischen Hochschule Thurgau. Er hat damit eine so genannte Brückenprofessur inne. An beiden Einrichtungen ist der Wissenschaftler in der Lehre für das gymnasiale Lehramt zuständig.

Thomas Götz hat Kirchenmusik an den Musikhochschulen in Regensburg und München studiert und ein Psychologiestudium an der Universität Regensburg absolviert. Der Wissenschaftler hat im Fach Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promoviert und sich dort auch habilitiert. Er hat Lehrstuhlvertretungen in Heidelberg und Erfurt übernommen. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Antezedenzien von Emotionen im Lern- und Leistungskontext; Domänenspezifität emotionalen Erlebens; Langeweile in der Schule; Förderung selbstregulierten Lernens in der Sekundarstufe; Unterrichtsqualität.


Thomas Götz hat bisher 60 Publikationen in Büchern und nationalen sowie internationalen Zeitschriften.

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Er hat in zwei Ländern einen Lehrstuhl: Professor Dr. Thomas Götz hat eine Brückenprofessur, ist Experte für Erziehungswissenschaft und Empirische Bildungsforschung und lehrt sowohl an der Universität Konstanz als auch an der Pädagogischen Hochschule Thurgau (Schweiz). „Im Gespräch“ hat sich bei dem Wissenschaftler nach Details erkundigt.

Herr Professor Götz, ist die derzeitige Qualität der Bildung so schlecht, dass Sie das Thema wissenschaftlich aufarbeiten müssen?

Wie in vielen anderen Bereichen, ist auch hier ein ständiger Optimierungsprozess von Nöten. Mit der Empirischen Bildungsforschung stellten wir in den vergangenen Jahren primär den Ist-Zustand fest. Dazu bedienten wir uns des Systemmonitorings und beurteilten, wo es Handlungsbedarf gibt. Aktuell arbeiten wir in der Empirischen Bildungsforschung daran, auf der Basis der Ergebnisse des Systemmonitorings unser Bildungssystem zu verbessern.



Gibt es Bereiche, in denen Ihrer Meinung nach dringend optimiert werden muss?

Den Umgang mit der Heterogenität in Schulklassen erachte ich als sehr wichtig, und zwar auch an Gymnasien. Viele denken, dass sich in Gymnasialklassen ähnlich leistungsstarke Kinder befinden. Dem ist aber nicht so. Auch an anderen Schulen sind die Klassen relativ heterogen zusammengesetzt. In Hauptschulen beispielsweise trifft man immer wieder auf Hochbegabte. Vor diesem Hintergrund erachte ich es als sehr wichtig, dass Schüler individuell gefördert werden.



Alles schön und gut, werden Ihnen Kritiker sagen, aber der derzeitige Personalschlüssel an unseren Schulen lässt derlei nicht zu…

Ich bin nicht der Meinung, dass eine individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern mit viel Zeitaufwand verbunden sein muss. Es gibt Projektarbeit an Schulen, Einzelarbeitsphasen und fächerübergreifendes Lernen. Zudem können auch bei jüngeren Schülern ältere unter der Betreuung von Lehrkräften als Mentoren eingesetzt werden.



Die individuelle Förderung setzt voraus, dass Lehrer ihre Schüler sehr gut kennen.

Die diagnostische Kompetenz bei Lehrkräften ist relativ hoch – das haben mehrere Studien gezeigt.



Wo hapert es dann?

Aufgrund der bisherigen Ausbildung sind Lehrer nicht darauf vorbereitet, individualisiert zu unterrichten. Leider ist unser Schulsystem sehr träge: Wenn wir von den Studenten ausgehen, die derzeit das Lehramt studieren, dauert es zehn Jahre, bis eine derartige Ausbildung Wirkung zeigt. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir auch bei der Weiterbildung von Lehrkräften ansetzen.



Zeigen Lehrer für eine derartige Weiterbildung Interesse?

Wir haben im Sommersemester 2009 einen ersten sehr erfolgreichen Versuch für die Vorlesung „Einführung in Pädagogik/Schulpädagogik“ in Verbindung mit der Akademie für Wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Konstanz gemacht. Zwölf Lehrkräfte aus verschiedenen Altersgruppen haben teilgenommen und auch ihr Wissen aus der Praxis eingebracht. Ein Lehrer hatte für den Besuch der Vorlesung sogar eine einfache Fahrzeit von eineinhalb Stunden auf sich genommen.



Wie haben die Lehrer von der Vorlesung erfahren?

Wir haben über die Akademie für Wissenschaftliche Weiterbildung Gymnasien im Landkreis Konstanz und in Kreuzlingen angeschrieben. Dieses Jahr werben wir für die Vorlesung „Einführung in die Pädagogik/Schulpädagogik“ mit Handzetteln und Plakaten.



Wie viele Plätze stehen für die Lehrer in den beiden Vorlesungen zur Verfügung?

Es stehen für das Wintersemester 20 Plätze zur Verfügung. Bei der Vorlesung werden circa 180 Studierende sein.



Wie genau sind die Vorlesungen aufgebaut?

Auf der Basis Empirischer Bildungsforschung gibt es praktische Tipps, das heißt, wir geben nicht aus dem Blauen heraus Empfehlungen, sondern nur wissenschaftlich untermauerte.



Können Sie ein Beispiel geben?

Von Mathe hört man immer wieder, dass es eine Jungendomäne sei und den Jungs mehr Spaß macht als Mädchen. Wir zeigen ganz explizit, dass Jungen in Mathetests kaum besser abschneiden als Mädchen. Also geht es darum, Selbstkonzepte der Mädchen zu fördern, die Einschätzung in die eigenen Fähigkeiten in Mathe zu verbessern. Das können Lehrkräfte auch durch ihre Art und Weise zu loben. Auf keinen Fall dürfen sie Stereotype weitergeben.



Immer wieder heißt es, Jungs und nicht Mädchen müssten gefördert werden.

Das ist ein Trend, den es seit rund zehn Jahren in den USA gibt und der jetzt auch bei uns ist. Für die sprachlichen Fächer trifft diese Forderung auch zu: Dort schneiden Jungs deutlich schlechter ab als Mädchen. Sie haben eine schwächere Motivation für sprachliche Fächer und langweilen sich eher.



Warum?

Die Beantwortung dieser Frage ist ein wichtiges Forschungsfeld. Wahrscheinlich spielen hier auch Stereotypen eine Rolle. Wenn Jungs daran glauben, sind sie weniger motiviert. Die geringere Motivation wiederum hat Auswirkungen auf die Leistung. Das beginnt schon bei den Kleinkindern. Beispielsweise werden Mädchen mehr Geschichten vorgelesen.



Wo wollen Sie ansetzen?

In der Bildungsforschung auf verschiedenen Ebenen. Im frühkindlichen Bereich beispielsweise wollen wir beispielsweise ab dem Wintersemester 2011 einen Masterstudiengang anbieten. Auch die Eltern sollten explizit ins Schulgeschehen einbezogen werden, sonst dauert es 15 bis 20 Jahre, bis sich etwas verändert. Es ist unerlässlich, dass alle – also die Eltern und alle Ausbildungsstätten - an einem Strang ziehen. Wobei es natürlich blauäugig wäre, zu glauben, man könnte alle Eltern erreichen.



Viele Lehrer beklagen sich jetzt schon über einen enormen zeitlichen Druck.

Der Beruf der Lehrkraft ist eine große Herausforderung. Trotzdem: Es ist eine Frage des Wie, wenn alle an einem Strang ziehen sollen. Im Lehrerkollegium beispielsweise können dafür Strategien entwickelt werden, die nicht besonders zeitintensiv sind.



Viele Schüler haben einen Migrationshintergrund, ihre Eltern sprechen nicht unbedingt gut Deutsch. Wie wollen Sie denen beibringen, dass es im Sinn ihrer Kinder ist, wenn sie sich engagieren?

Das hinzubekommen ist ganz schwierig, das ist mir schon bewusst. Trotzdem: In manchen Städten gibt es vorbildliche Schulen mit vorbildlicher Elternarbeit, auch für Eltern mit Migrationshintergrund. Es ist wichtig, diesen Eltern mit einer sehr großen Wertschätzung für ihre Kultur entgegenzukommen und ihnen gleichzeitig zu verdeutlichen, dass ihre Kinder hier fürs Leben lernen, es unerlässlich für sie ist, die Sprache und Kultur des Landes, in dem sie leben, zu kennen.



Sie hatten die Heterogenität in Schulklassen als wichtiges Thema angesprochen. Gibt es weitere Bereiche, die Ihnen am Herzen liegen?

Neben der Heterogenitätsfrage, die sich auch auf Leistung bezieht, kommt das Thema „Lebenslanges Lernen“ zunehmend auch bei uns in den Fokus. Hierfür ist es wichtig, dass Schüler fächerübergreifende Kompetenzen erwerben und selbst reguliertes Lernen erlernen. Bei den Lehrkräften ist es oft so, dass zwar das Bewusstsein dafür da ist, die Kompetenzen aber fehlen. Unsere Vorlesung „Einführung in die Erziehungswissenschaft/Empirische Bildungsforschung ist hier sehr hilfreich.



Welche Rolle spielen beim „Lebenslangen Lernen“ Emotionen?

Eine große. Eine Studentin hat mir erzählt, dass sie zwar Englisch bis zum Abitur hatte, sich seither aber nie mehr damit beschäftigt hat, weil sie schon immer vor der Sprache Angst hatte. Das kann nicht sein. Natürlich wäre es blauäugig, zu denken, man könnte alle Schüler für alle Fächer begeistern – viel hängt von der Unterrichtsmethode und von der Lehrerpersönlichkeit, seiner Begeisterungsfähigkeit und seinem Fachwissen ab; Lehrer haben nun mal eine Vorbildfunktion. Es darf nicht so weit kommen, dass Lernblockaden durch negative Emotionen gegenüber von Fächern und Inhalten aufgebaut werden. Das kann nicht Ziel unseres Bildungssystems sein, denn das ist eine unglaubliche Ressourcenverschwendung.



Lehrer müssen also mit Begeisterung unterrichten?

Das Schlimmste ist es, wenn Lehrer über Jahrzehnte das Gleiche machen. Sie haben die Möglichkeit, zu experimentieren, wie sie Wissen besser vermitteln. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, an den Universitäten die neuesten Theorien in Verknüpfung mit Weiterbildung zu vermitteln. Leider ist es so, dass sich die Lehrer in Deutschland pro Jahr im Schnitt nur drei Tage weiterbilden. Das muss sich ändern. Ich würde das sogar verpflichtend einführen. Leider wird das Thema bei uns nicht diskutiert.



Worauf führen Sie das zurück?

Bei vielen ist das Bewusstsein da: Ich bin ein guter Lehrer, wenn ich mein Fach beherrsche. Das stimmt aber nicht. Es geht in auch um Didaktik, die Vermittlung von Wissen. Lehrer dürfen sich nicht nur als Fachwissenschaftler sehen, sondern auch als Pädagogen, die Wissen und Kompetenzen vermitteln. Ihre Aufgabe wäre leichter, wenn die zu vollen Lehrpläne entrümpelt würden. Häufig wäre es der Schlüssel, weniger mit mehr Valenz zu vermitteln.



Trotzdem: Auch im Unterricht von hoch engagierten Lehrern gibt es gelangweilte Schüler.

Langeweile ist ein Thema, mit dem wir uns in der Empirischen Bildungsforschung beschäftigen. Langeweile ist die einzige Emotion, die schwächer wird, wenn man die Wichtigkeit dessen betont, was man vermittelt. Noch ein Aspekt ist besonders: Langeweile wird als ganz nüchterne Emotion erlebt und nicht so schlimm wie beispielsweise Angst, gegen die man etwas unternimmt. Langeweile dagegen wird ertragen. Natürlich kann Langeweile auch positiv, erholsam sein, zu kreativen Prozessen führen. Aber nicht in der Schule. Anfang der 90er-Jahre gab es in den USA Studien, wonach sich Schüler in 30 Prozent der Unterrichtszeit langweilen.



Haben Sie auch Zahlen zu Deutschland beziehungsweise der Schweiz?

Wir haben fünf Studien an Gymnasien gemacht, im Fokus stand das Fach Mathematik. Die Gymnasiasten haben angegeben, dass sie sich in 40 bis 50 Prozent der Zeit ein wenig bis stark langweilen. In anderen Fächern ist das ähnlich.



Waren die Lehrer schockiert?

Erst mal waren wir schockiert. Den Schülern und den Lehrern werden wir im Oktober die Ergebnisse unserer Studien vorstellen. Auf die Reaktionen sind wir jetzt schon gespannt.



Haben Sie Patentrezepte für einen erfolgreichen Unterricht?

Die gibt es leider nicht, und das ist für viele tröstend. Frontalunterricht muss nicht nur schlecht sein. Entscheidend ist die Lehrerpersönlichkeit und der Wechsel von Unterrichtsformen. Strukturiert und mit Begeisterung unterrichten und die Wichtigkeit des Stoffes vermitteln – das ist unerlässlich für einen erfolgreichen Unterricht. Aufgabe des Lehrers ist es, herauszufinden, was zu seiner Persönlichkeit passt, und die Unterrichtsmethode dem Stoff anzupassen.