Prof. Dr. Martin Wikelski

Martin Wikelski wuchs in Bayern auf und diplomierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Für seine Doktorarbeit untersuchte er die Evolution der Körpergröße der Galapagos Meerechsen an der Universität Bielefeld. Danach ging Wikelski 1995 als Postdoc an die University of Washington in Seattle, USA, wo er in Zusammenarbeit mit dem Smithsonian Tropical Research Institute in Panama die Fortpflanzung von Vögeln unter mehr konstanten Umweltbedingungen in den Feuchttropen Zentralamerikas erforschte.

Im Jahr 1998 wurde Wikelski als Assistant Professor an die University of Illinois in Urbana-Champaign berufen. Zwei Jahre später wechselte er zur Princeton University, eine der Eliteuniversitäten der amerikanischen Ostküste. Dort wurde er 2006 zum Professor auf Lebenszeit berufen, vor allem für seine Forschungen über den Vogelzug im Freiland und den Aufbau einer globalen Datenbank für Tierbewegungen.

Vor kurzem wechselte Wikelski, dessen Frau Michaela Hau auch Professorin in Princeton war, an die Universität Konstanz und an das Max Planck Institute für Ornithologie, wo auch Michaela Hau eine unabhängige Forschungsgruppe leitet. Wikelskis Forschungsschwerpunkte werden in Zukunft die Erforschung globaler Vogelzugmuster sein und die Auswirkungen von Tierbewegungen auf Krankheitsübertragungen.

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Vogelwarte Radolfzell

Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Vogelgrippe für Schlagzeilen gesorgt hat. "Im Gespräch" hat Martin Wikelski, Inhaber der Professur für Ornithologie, nach dem aktuellen Stand gefragt.

Herr Professor Wikelski, eine Zeitlang schien es beinahe kein anderes Thema mehr zu geben als die Vogelgrippe. Das ist jetzt anders. Haben wir uns schon so sehr an die Vogelgrippe gewöhnt oder ist die Zahl der Fälle wirklich deutlich gesunken?

Auch wenn im Osten Tiere an Vogelgrippe erkrankt waren, ist insgesamt gesehen die Zahl der Fälle doch deutlich zurückgegangen (menschliche Erkrankungen global: 2006: 115; 2007: 88; 2008: 39). Über die Gründe für den Rückgang können wir allerdings nur spekulieren: Eine Möglichkeit ist, dass Enten- beziehungsweise Gänsefarmen besser abgeschirmt werden, eine andere, dass weniger befallenes Geflügel transportiert wird. Eine dritte Erklärung könnten die kalten Temperaturen sein: Wäre es wärmer, gäbe es unter Umständen mehr Vogelgrippe-Fälle. Aber, wie gesagt, das sind zum Großteil nur Spekulationen.



Woran liegt es, dass es keine Erklärung gibt?

Wir sind in der Forschung noch nicht weit genug und wissen auch noch nicht genau, wo wir ansetzen sollen: beim Geflügeltransport, beim Transport von Ziervögeln oder bei den Zugvögeln? Die Untersuchungen müssen deshalb in verschiedene Richtungen gehen. In virologischer Richtung geht die Forschung zügig voran, in ökologischer Richtung wissen wir noch viel zu wenig. Am Bodensee beispielsweise wollten wir die Zugwege und die damit verbundene Zuggeschwindigkeit von 19 Stockenten untersuchen, die mit einem niedrig pathogenen Virus (‚Vogelschnupfen’) befallen sind, also mit einem Virus, das für den Menschen nicht gefährlich ist. Das wäre eine der ersten Untersuchungen dieser Art gewesen.



Sie reden im Konjunktiv...

Ja, denn der Winter hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht: Keines der Tiere, die wir eingefangen und mit Satellitensender versehen hatten, war an Vogelschnupfen erkrankt. Trotzdem geben wir nicht auf: In Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz soll es einen Sonderforschungsbereich geben, in dem Enten, Mikroorganismen im See und beispielsweise auch Fische untersucht werden.



Sie haben von niedrig pathogenen Formen der Vogelgrippe gesprochen. Gibt es am Bodensee auch hoch pathogene?

Spannend an der ganzen Geschichte ist: Durch den Bodenseeraum kommen verschiedene Vogel-Virenformen, ähnlich wie menschliche Schnupfenausbrüche. Warum es hier derzeit keine hoch pathogenen Formen gibt, dafür haben wir keine Erklärung, wir sind aber natürlich froh darum. Wobei: Wir kümmern uns aber auch nicht in erster Linie um die Viren, das machen Einrichtungen wie das Friedrich-Löffler-Institut. Wir machen die Arbeit im Freiland, und dazu gehören die Zugwege der Vögel. Wir betreiben Grundlagenforschung, sind also keine Gesundheitspolizei.



Sie kümmern sich also um die Wirte der Viren?

Ja. Wenn man davon ausgeht, dass sich die niedrig pathogenen Virenformen ähnlich wie hoch pathogene Formen verhalten, kann man eventuell etwas über deren Ausbreitung sagen, über eine eventuelle Verhaltensbeeinflussung von Gänsen und Enten, die vom Vogelgrippe-Virus befallen sind.



Wie sieht es mit der Untersuchung von Gänsen aus?

Die laufen derzeit an Streifengänsen, und zwar in der Mongolei und auch in Indien, wo es auch Vogelgrippe-Ausbrüche gibt. Die Streifengänse sind mit Satellitensendern ausgerüstet. Sie haben hoch auflösende GPS-Logger drauf, mit deren Hilfe ihre Position genau festgestellt werden kann. Ziel der Untersuchungen ist es, die Zugwege der Streifengänse genau anzuschauen. Untersucht werden soll auch, wie es die Tiere schaffen, in einer Höhe von 9000 Metern den Himalaya zu überfliegen. Dafür werden Proben von Schleimhäuten und Kotproben genommen und auf Bakterien beziehungsweise Infekte untersucht. Bewegen sich infizierte Tiere anders als nicht infizierte? Auch diese Frage soll beantwortet werden. An den Untersuchungen sind das United States Geological Survey (USGS), die Welternährungsorganisation sowie Unis aus England und Indien beteiligt.



Das hört sich so an, als ob die Wissenschaftler weltweit immer enger zusammenrückten, was die Untersuchung der Vogelgrippe anbelangt.

Wir stehen in der Tat vor einem globalen Problem, und das muss deshalb auch so angegangen werden. Es ist wichtig, dass wir weltweit die individuellen Zugwege beispielsweise der Entenvögel anschauen. Für September 2009 haben wir dazu einen Workshop geplant, zu dem wir die 30 wichtigsten Wissenschaftler eingeladen haben. In einer so genannten „MoveBank“, einer globalen Datenbank für Tierbewegungen, wollen wir zusammentragen, wie welche Tiere in verschiedenen Ländern ziehen



Gibt es dafür schon ausreichend Beobachtungen?

Einige tausend Vögel sind mittlerweile weltweit mit Sendern versehen. Dazu gehören Enten, Gänse oder Adler. In dem Workshop wollen wir ermitteln, was genau es an Daten gibt und wo Forschungsbedarf besteht.



Was genau wollen Sie tun, sobald die „MoveBank“ ausreichend mit Daten gefüttert ist?

Dadurch, dass wir so wenig über die Zugbewegungen der Tiere wissen, können wir keine Vorhersagen machen. Das wollen wir ändern. Gute Vergleiche sind die Wettervorhersage, die Erdbebenvorhersage oder auch die Vorhersage von Tornados, auch wenn man gegen die Naturereignisse selbst nichts machen kann. In den 50er-Jahren beispielsweise gab es in den USA keine Möglichkeit, die Menschen vor Tornados zu warnen. Dann wurde zehn bis 20 Jahre Grundlagenforschung betrieben. Mittlerweile ist es möglich, das Eintreffen von Tornados mit großer Wahrscheinlichkeit vorauszusagen. Dahin wollen wir auch mit einem biologischen Frühwarnsystem kommen. Ich weiß nicht, wie viele Milliarden in die Wettervorhersage gesteckt wurden. Wenn nur ein Millionstel in die biologische Feldforschung gesteckt würde, könnten wir ähnliche Voraussagen schaffen. Früher wurden wir als Ökologen mit solchen Forderungen belächelt. Jetzt erkennen die Leute zunehmend, dass derartige Voraussagen immer wichtiger werden.



Wie ist es in Ihrem Forschungsbereich um Geldgeber bestellt?

Derzeit ist alles sehr schwierig. Trotzdem habe ich keinen Grund, verzweifelt zu sein, und ich bin auch nicht pessimistisch. Unsere Tiere und Insekten sind unglaubliche Serviceleister – denken Sie nur an die Bestäubung oder das Vernichten von Schädlingen. Unsere Zugvögel wollen wir nicht in Afrika oder woanders verlieren, das Bewusstsein dafür wird bei den Menschen immer größer. In den 50er-, 60er-Jahren hatten wir dieses Riesenproblem mit DDT. Nach massiven Forschungsarbeiten hat man ein paar Jahre später die Zusammenhänge gekannt. Wir Wissenschaftler wissen, was wir brauchen, um die derzeitigen Probleme zu lösen: ein Satellitensystem für kleine Sender, das uns erlaubt, Zugwege von Kleinvögeln und anderen Tieren wie Fledermäusen zu erforschen.



Wie stehen die Chancen dafür?

In Zusammenarbeit mit Professor Ulrich Walter von der Technischen Universität München, einem ehemaligen Astronauten, sind wir dabei, ein solches System, an dem wir seit vier Jahren arbeiten, zu etablieren. Je schneller wir Geld haben, desto schneller können wir unsere Probleme lösen. Es ist auch hier eine Frage der Prioritäten. Baden-Württemberg und die Max-Planck-Gesellschaft haben schon in uns investiert. Wir werden nicht nachlassen – es soll zu einer globalen Veränderung in unserer Forschungsrichtung kommen. Wir denken global, denn wir wissen, dass ‚unsere’ Singvögel zwar kurz hier sind, aber den Großteil ihres Lebens zwischen Afrika und Europa herumvagabundieren.



Wie viel soll das Satellitensystem kosten?

Die Experten der Technischen Universität München haben uns gesagt, dass ein solches Satellitensystem ein paar Millionen Euro kostet. Es ist also kein Zauberwerk. Wir stehen vor einer neuen Ära der Feldforschung, unterstützt durch das Interesse der Öffentlichkeit und auch der Politik. Wir brauchen kein weiteres System, um die Schwarzen Löcher im Universum zu untersuchen. Wir wollen und müssen wissen, was mit unseren Zugvögeln geschieht.



Sind Sie neidisch, wenn Sie hören, dass es Gelder für Forschungsbereiche gibt, die sich beispielsweise mit den Schwarzen Löchern befassen?

Nein, ich gönne das den Kollegen, die bearbeiten ja auch super spannende Fragen. Ich sage aber: Unsere Forschung ist wichtiger. Wir haben ein akutes Problem, das wir lösen können und müssen. Klar gehen die Zugvogelbestände zurück. Trotzdem haben wir noch ein paar Jahre Zeit. Denn es gibt die Chance, dass sich kleine Populationen auch wieder vergrößern. In den USA hat man in den 50er-Jahren lange Zeit kein Reh mehr gesehen. An der Ostküste kommen sie mittlerweile sogar in die Gärten. Das ist ein bisschen wie bei uns mit den Füchsen.



Zurück zur Vogelgrippe. Sind die Vorsichtsmaßnahmen nach wie vor gerechtfertigt?

Vorsicht ist angebracht, Panik nicht. Ich weiß, dass manche nicht verstehen konnten und können, warum in gewissen Gegenden Schutzbezirke ausgewiesen wurden und werden. Sinn dieser Maßnahmen ist, die Wahrscheinlichkeit, dass sich infizierte Tiere treffen, zu verringern und somit das Ausbrechen von Epidemien zu verhindert. Dass irgendwo irgendein Virus auftaucht, werden wir nicht verhindern können.



Nicht gerade rosige Aussichten, oder?

Die Vogelgrippe wird nicht das letzte Aufbäumen eines Virus sein. Viren verändern sich dauernd, und da wird schon noch etwas auf uns zukommen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir gewappnet sind. Nur wenn wir nicht vorsichtig sind, wird es gefährlich.