Die deutschen Oberverwaltungsgerichte im Blickfeld: Professor Dr. Christoph Knill, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Policy-Forschung und Verwaltungswissenschaft im Fachbereich Politik und Verwaltungswissenschaft, und seine Mitarbeiter sind Pioniere. Erstmals haben sie gemeinsam mit Juristen der Universität Tübingen die Qualität gerichtlicher Entscheidungen untersucht. "Im Gespräch" hat sich bei dem Wissenschaftler nach Details erkundigt.

Prof. Dr. Christoph Knill

Professor Dr. Christoph Knill (geboren 1965) ist seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Policy-Forschung und Verwaltungswissenschaft im Fachbereich Politik und Verwaltungswissenschaft. Er studierte Politik- und Verwaltungswissenschaft in Konstanz und promovierte 1994 an der Universität Bielefeld. Wichtige Stationen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit waren das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln (1994-1995), das Europäische Hochschulinstitut Florenz (1995-1998) sowie die Max-Planck Projektgruppe zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn (1998-2000). Vor seiner Berufung nach Konstanz war Christoph Knill Professor für Politikwissenschaft an der Universität Jena (2001-2004).

Die zentralen Forschungsinteressen von Prof. Knill liegen im Bereich der vergleichenden Policy-Analyse und der vergleichenden Verwaltungswissenschaft. In diesem Zusammenhang konzentriert er sich insbesondere auf die Politikgestaltung in der Europäischen Union, die Analyse von internationaler Politikkonvergenz und Politikdiffusion sowie die Implementationsforschung. Thematische Schwerpunkte hierbei sind die Bereiche Umwelt-, Bildungs- und Transportpolitik. Zu diesen Themen hat Prof. Knill zahlreiche Artikel in internationalen Fachzeitschriften verfasst.

Weiterführende Links:

Homepage

Herr Professor Knill, welches Gericht steht nach Ihrer Untersuchung am besten da? Und welches firmiert als Schlusslicht?

Unsere Studie hat zumindest einen leicht explosiven Charakter. Bewusst haben wir bei der Untersuchung der 16 deutschen Oberverwaltungsgerichte und deren Entscheidungen über einen Zeitraum von zehn Jahren kein Gerichtsranking erstellt, sondern eine Spitzengruppe, ein Mittelfeld und Schlusslichter definiert. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim steht relativ gut da, ebenso Münster und Kassel. Relativ schlecht abgeschnitten haben Magdeburg, Bautzen und Frankfurt/Oder. Wobei: Die Ostgerichte haben innerhalb unseres Untersuchungszeitraums aufgeholt.



Heißt das, es gab beziehungsweise gibt ein West-Ost-Gefälle?

Nein, es gibt auch keine Ost-West-Differenz – Weimar beispielsweise steht gut da, das Oberverwaltungsgericht in Saarlouis nicht. Ich denke, dass das schlechte Abschneiden der drei genannten Gerichte in den neuen Bundesländern teilweise zum einen damit zu tun hat, dass diese Gerichte neu etabliert wurden. Zum anderen ist es so, dass per se Gerichte in bevölkerungsreichen Bundesländern einen strukturellen Vorteil haben. Beim Vergleich absoluter Zitationszahlen beispielsweise dominieren die Gerichte der bevölkerungsstarken Bundesländer, also etwa die Gerichte in Mannheim, Kassel, Lüneburg, München und Münster. Verglichen mit Gerichten kleinerer Länder bearbeiten sie ein Vielfaches an Verfahren und genießen eine dementsprechend erhöhte Wahrnehmung.



Haben die Ergebnisse Ihrer Studie Konsequenzen für den Normalbürger?

Nein, mit direkten Konsequenzen für den Normalbürger rechnen wir nicht. Fürs Rechtssystem beziehungsweise die Gerichte dagegen schon.



Inwiefern?

Die Gerichte stehen im Hinblick auf ihre Finanzausstattung unter Druck. Zwar wurde bisher die Verfahrensdauer untersucht, nicht aber die Qualität. Das hat sich mit der vorliegenden Studie geändert. Ein gutes Abschneiden kann eventuell bedeuten, dass ein Gericht weniger Kürzungen hinnehmen muss beziehungsweise eine bessere personelle Ausstattung bekommt, was wiederum indirekt eine Stärkung seines Einflusses bewirken kann.



Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Qualität der 16 deutschen Oberlandesgerichte zu untersuchen?

Der erste Ausgangspunkt war, dass die bisherigen Vergleichsstudien, die sich mit der Verfahrensdauer beschäftigt haben, wenig über die Qualität der Entscheidungen und das Ansehen des jeweiligen Gerichts ausgesagt haben. Der zweite Ausgangspunkt war, dass es insbesondere unter Juristen durchaus die subjektive Wahrnehmung gab, dass in der Fachliteratur manche Gerichte mehr, die anderen weniger zitiert werden.



Sind Sie und Ihre Mitarbeiter Pioniere, was die Untersuchung der Bedeutung von hohen Gerichten anbelangt?

Auf nationaler Ebene hat es eine derartige Untersuchung noch nicht gegeben. International gibt es auch sehr wenig: In den USA wurde bisher der Einfluss einzelner Richter untersucht. Insofern haben wir eine Pionierstudie erstellt.



Bisher waren derartige Qualitätsuntersuchungen aufgrund von Messbarkeitsproblemen nicht möglich...

In der Tat. Das Problem ist: Bei einem Gerichtsurteil kann man schlecht sagen, dass es gut oder schlecht ist, da es keine objektiven Indikatoren gibt. Selbst wenn ein Urteil in einer höheren Instanz kassiert wird, bedeutet das nicht automatisch, dass es ein schlechtes Urteil war. Wir haben indirekt gemessen, und zwar über die Reputation und die Wahrnehmung, die ein Gericht genießt. Wir haben die Breite und Intensität gerichtlicher Entscheidungen innerhalb des deutschen Rechtssystems als Indikator für Qualität herangezogen.



Sie haben in Ihrer Untersuchung abgefragt, wie oft Gerichtsurteile in der Fachpresse zitiert werden.

Wir haben mehrere Dinge angeschaut. Wie häufig werden Urteile eines Gerichts in der juristischen Fachpresse zitiert? Wie groß ist die Gesamtzahl der Urteilszitationen? Wird jedes Urteil wahrgenommen oder nur einzelne? Wie viele Urteile wurden überdurchschnittlich oft zitiert? Über die Beantwortung dieser und weiterer Fragen haben wir verschiedene Indikatoren gesammelt, um möglichst viele Hinweise auf mögliche Unterschiede zwischen den Gerichten herauszufinden. Berücksichtigt haben wir in der Auswertung auch die Bevölkerungszahl und die Tatsache, ob das Gericht selbst Urteile veröffentlicht hat.



Die Häufigkeit der Veröffentlichungen wird auch davon abhängen, ob der Fall von den Medien als spektakulär eingeschätzt wird...

Wir sind davon ausgegangen, dass jedes Gericht in etwa die gleiche Anzahl an spektakulären und unspektakulären Fällen hat.



Findet Ihre Studie eine Fortsetzung, indem beispielsweise die Sozialisation der Richter, ihre Ausbildung und Ihre Innovationsbereitschaft untersucht werden?

Wir hoffen es. Mannheim hat bereits die Bereitschaft zur Kooperation signalisiert – die Justizministerien auf Länder- und Bundesebene müssten auch an einer Fortsetzung der Studie interessiert sein. Wir wollen insbesondere bei den Gründen für die Qualitätsunterschiede weitermachen. Da gibt es gerichtsinterne und gerichtsexterne Faktoren. Zu den gerichtsinternen gehören der von Ihnen angesprochene Sozialisationshintergrund der Richter, deren Ausbildung, deren Alter und beispielsweise deren parteipolitischer Hintergrund. Weiter gehört dazu das Selbstverständnis des Gerichts, ob es eventuell ambitionierter ist und Meinungsmacher sein will. Zu den externen Faktoren gehört die Häufigkeit politisierter Entscheidungen, vielleicht gibt es auch von politischer Seite einen bestimmten Druck. Da können wir allerdings bisher nur Vermutungen anstellen.



Haben Sie bereits Reaktionen auf die Ergebnisse Ihrer Studie bekommen?

Bisher haben wir nur vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim Redaktionen bekommen - die Studie ist ja noch neu. Es ist auch so, dass wir beim Erstellen der Studie gar nicht auf die Mitarbeit der Gerichte angewiesen waren, weil wir uns auf anderes Material stützen konnten. Ich denke, dass diejenigen die gut wegkommen, sich freuen. Die anderen ändern vielleicht ihre Strategien.