„univenture“ lädt Menschen ein, gemeinsam ganzheitlich mit Kopf, Herz und Hand nachhaltig zu lernen. "Im Gespräch" hat sich bei Melanie Moosbuchner von „univenture“ erkundigt, was es genau mit diesem Konzept auf sich hat.

Frau Moosbuchner, ein Schüler kommt mit einem sehr ungeliebten Lernstoff zu Ihnen, den er bald beherrschen soll. Können Sie ihm helfen?

Das kommt auf den Lernstoff an. Natürlich hilft es, wenn man eine möglichst angenehme Lernsituation schafft, in der die Lernziele am besten vermittelt werden. Wir haben aber keine Universalmethode, mit der wir alle Lerninhalte rüberbringen können. Das Steuergesetzbuch beispielsweise eignet sich sicherlich weniger gut für unsere Unterrichtsmethoden als Themen wie Führungskompetenz, das Setzen von persönlichen Zielen oder Teamfähigkeit. Grob umrissen beschäftigen wir uns mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Persönlichkeitsentwicklung und sozialer Kompetenz.



Können Sie Ihre Unterrichtsmethoden näher umreißen?

Wir gehen davon aus, dass emotional belegte Reize besser gelernt, stärker im Gedächtnis verankert werden als Reize, denen diese „Begleiterscheinung“ fehlt – das heißt, ein Lernstoff, den ich mit allen Sinnen erfassen kann, wird gut im Gedächtnis verankert. Auf diesem Prinzip, das wir aus der Psychologie kennen, basieren unsere Methoden. Um geeignete Lernsituationen zu schaffen, nutzen wir häufig Outdooraktivitäten oder praktische „Teamexperimente“. Sprachlich unterschieden wird zwischen Erlebnispädagogik – sie findet im sozialen Bereich bei Schulklassen beziehungsweise Jugendlichen Anwendung – und handlungsorientierten Methoden. Diese werden bei Studenten oder Unternehmen angewandt.



Welches war das bisher schwierigste Lernthema, das Sie vermittelt haben?

An der Universität bieten wir neu ein Schlüsselqualifikationsseminar „Cross Culture“ an. Darin geht es darum, Themen wie interkulturelle Zusammenarbeit beziehungsweise -kompetenz über handlungsorientierte Methoden zu vermitteln. Dabei gilt es beispielsweise, den jeweiligen Kulturbegriff, also „Wie bin ich selber geprägt durch meine eigene Herkunft und welche Konsequenzen hat das für die Zusammenarbeit mit anderen Menschen?“ in Teamexperimente umzusetzen. Wir setzen die Seminargruppen dabei selber interkulturell zusammen, um ein möglichst lebensnahes Abbild hinzubekommen. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe.



Was sind die Hintergründe dafür, dass Sie dieses Seminar neu anbieten?

Ich bin im Februar 2008 neu an die Universität gekommen und hatte den Auftrag, handlungsorientierte Methoden stärker in der universitären Lehre zu verankern – vor allem im Bereich Schlüsselqualifikationen. In diesem Bereich gab es bisher nur sehr wenig Angebote für Studenten. Ich habe mir daraufhin das Programm zur Hand genommen und geschaut, was im Hinblick auf die persönliche und über das Fachliche hinausgehende Entwicklung der Studenten fehlt und bin auf Teamfähigkeit, Führung und interkulturelle Kompetenz gekommen. All dies eignet sich gut für die Methoden, mit denen wir arbeiten.



Schulen Sie auch Lehramtsstudenten?

Ja, für sie bieten wir eine Zusatzqualifikation an, in der handlungsorientierte Methoden vermittelt werden. Dabei geht es beispielsweise darum, was die späteren Lehrer tun können, um eine Klasse am Anfang des Schuljahres stärker zusammenzubekommen. Ein weiteres Thema ist, Außenseiter besser in den Klassenverbund zu integrieren. Zudem sollen die späteren Lehrer den Stoff in Schulfächern wie Physik, Deutsch und Fremdsprachen besser und zügiger vermitteln können. Wir legen in dieser Ausbildung den Schwerpunkt auf Methoden, die ohne großen Material- oder sicherheitstechnischen Aufwand inszeniert werden können. Unser Prinzip: Durch praktische Übungen Lerninhalte erfahrbar machen. Der Knackpunkt ist nicht nur das Erfahren selbst, sondern auch der Rückgriff auf Erfahrungen im Rahmen von Reflexionsimpulsen im Anschluss an die praktischen Lernexperimente.



Können Sie ein Beispiel geben?

Eine Gruppe soll lernen, sich besser zu koordinieren. Ich kann zum Beispiel eine Übung anleiten, in der die ganze Gruppe durch ein überdimensional großes Spinnennetz muss. Dabei gibt es bestimmte Regeln: Die Schnüre dürfen nicht berührt werden, jedes Loch darf nur einmal von einer Person benutzt werden. Als Leiterin der Aktion stelle ich die Aufgabe. Sobald sie alle verstanden haben, ziehe ich mich aus der aktiven Rolle zurück. Die Gruppe sammelt Ideen, es wird so diskutiert, dass es mehr oder weniger befriedigend für alle ist. Danach kann man gemeinsam besprechen, was gut und was nicht so gut funktioniert hat. Ziel ist nicht, die Leute möglichst schnell durchs Spinnennetz zu bewegen. Vielmehr sollen die Teilnehmer ein möglichst effektives Team bilden, in das sich jeder einbringen kann.



Steht bei Ihnen nach den Übungen eine Nachbesprechung auf dem Programm?

Ja. Darin wird zum Beispiel angesprochen, was hilfreich war und wie die Übung noch besser hätte laufen können, beispielsweise inwiefern die Teilnehmer die Ressourcen in der Gruppe noch besser hätten nutzen können. Wichtiger aber noch: Was bedeutet das, was die Teilnehmer in der Übung erlebt haben, für die Zusammenarbeit im Unternehmen, i m Uni-Alltag, im Sportteam oder beispielsweise in der Schule? Wie können sie die gesammelten Erfahrungen künftig nutzen? Aus den Übungen können für die Teilnehmer Metaphern entstehen. Später, in einer entsprechenden Situation, kommen dann Bilder in den Kopf wie folgende: Damals stand ich auch vor einem Berg, von dem ich dachte, dass ich niemals hochkommen würde. Dann aber sind wir in einer kleinen Gruppe Schritt für Schritt hoch. Genau so ist es bei meiner Examensprüfung. Ich sehe einen riesigen Berg vor mir, aber gemeinsam können wir ihn Schritt für Schritt meistern. Diese Erfahrung kann auf die aktuelle Situation übertragen werden, bei der Bewältigung eines Problems helfen. Wir bieten ja auch Seminare an, in denen Klettern auf dem Programm steht. Dabei geht es nicht darum, dass die Leute lernen, besser zu klettern, sondern dass sie Verantwortung übernehmen. Das sind Erfahrungen, die sie für ihr sonstiges Leben nutzen können.



Besteht dabei die Gefahr, dass Teilnehmer ihre Grenzen überschreiten?

Für alle unsere Seminare, selbst für die Anmeldung, gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Und bei den Aktionen hat jeder jederzeit die Möglichkeit, auszusteigen – in der Gruppe muss eine Atmosphäre herrschen, in der es möglich ist, auszusteigen, ohne ausgelacht zu werden. Eine Wand ist schließlich nicht für jeden gleich hoch. Das klarzumachen, ist mein Job. Im Alltag bewegt man sich gerne in der Komfortzone, fühlt sich im grünen Bereich. Ich vergleiche das immer mit jemandem, der auf dem Sofa sitzt. Das ist zwar bequem, aber dort wird man nie etwas anderes lernen als das, was im Sichtfeld ist. In der Lernzone dagegen macht man neue Dinge, auch wenn man ein bisschen mehr Stress hat. Man erobert die Welt, erweitert seine Komfortzone. Ein gutes Beispiel ist das Autofahren. Am Anfang muss man sich noch stark drauf konzentrieren, irgendwann läuft es automatisch.



Die Lernzone ist aber nicht unendlich...

Nein, sie wird durch die Überforderungszone begrenzt. Wer sich zu weit aus seinem Komfortbereich heraus bewegt, kann unter Umständen in Panik kommen. Dann ist Lernen nicht mehr möglich.



Schaffen es Ihre Seminarteilnehmer, ihre Grenzen zu respektieren?

Die Teilnehmer müssen in der Tat selbst darauf achten, dass sie nicht in die Überforderungszone kommen. Ich habe Vertrauen, dass die Leute ein Gefühl für sich selber haben. Und falls sie einen Schritt in die Überforderungszone gemacht haben, können sie jederzeit wieder zurück.



Trotzdem werden Sie als Seminarleiterin nicht umhin kommen, die Seminarteilnehmer relativ schnell einzuschätzen. Ist das schwierig?

Ich habe viel Erfahrung, mache solche Seminare seit 1999. Und ich bin Psychologin. An grobe Fehleinschätzungen kann ich mich nicht erinnern. Wir hatten einmal im Hochseilgarten einen Seminarteilnehmer, der Höhenangst bekommen, gezittert hat und bleich geworden ist. Weil bei uns an die Sicherheit relativ hohe Anforderungen gestellt werden, war die Situation einfach zu lösen, der Mann hatte schnell wieder festen Boden unter den Füßen. Immerhin konnte er sagen: „Ich habe mich getraut“ und stolz auf sich sein. Natürlich müssen wir in den Seminaren wachsam sein, eventuell die Notbremse ziehen.



„Univenture“ betreuen Sie gemeinsam mit einer Kollegin...

Ich leite „Univenture“ gemeinsam mit meiner Kollegin Lena Reichmann. Einen Großteil unserer Programme entwickeln wir zusammen und führen sie im Team durch, zum Beispiel die Zusatzqualifikation Erlebnispädagogik für Lehramtstudenten. Andere Bereiche teilen wir uns eher auf, unterstützen uns aber jeweils gegenseitig. So ist Lena beispielsweise primäre Ansprechpartnerin für Externe und ich koordiniere die Schlüsselqualifikationsangebote. Das Ganze läuft sehr kollegial und ohne sie kann und will ich mir die Arbeit hier gar nicht vorstellen. Zudem haben wir mit Rainer Kiefer einen Mitarbeiter, der im Bereich Organisation mithilft. Neben handlungsorientierten Kompetenzen und dem Thema Schlüsselqualifikationen machen wir ja auch Teamentwicklung für Uni-Abteilungen und bieten bald auch Führungsseminare für Nachwuchswissenschaftler an.



Einen besonderen Raum in Ihrer Arbeit an der Uni nimmt „Vision Quest“ ein.

Ja. Ursprünglich handelt es sich dabei um eine Methode, die aus der indianischen Kultur kommt. Das Ritual steht dann an, wenn ein Übergang markiert wird, zum Beispiel der vom Kindes- ins Erwachsenenalter. Oder, wenn eine große Entscheidung ansteht. Die Menschen gehen dann eine Zeitlang in die Natur, suchen sich einen Ort und horchen dabei in sich hinein. In der Zeit wird auch gefastet, die Menschen erreichen so mitunter tranceähnliche Zustände. Wir machen das aber nicht mit unseren Studenten.



Sondern?

Wir bieten Workshops zur beruflichen Orientierung an, und die sind an dieses Ritual angelehnt. Die Teilnehmer verbringen eine Zeitlang in der Natur, tauschen sich dann in der Gruppe aus. Beim jüngsten Workshop sind die Teilnehmer mit Betreuern in die Berge zu einer Selbstversorgerhütte gefahren. Die hat als Basislager gedient. Von dort sind sie ausgeschwärmt, haben ihren Platz gesucht, wobei die Leitung wusste, wo die Leute sitzen, und jederzeit in der Hütte anzutreffen war. Ohne Uhren, Handy und Musik, nur mit Schreibzeug waren die Teilnehmer in der Natur, zwei bis drei Fragen hatten sie mitbekommen. Im Anschluss daran berichtete jeder über seine Erfahrungen, die nächsten Schritte wurden häufig fixiert. Die Teilnehmer sind zu einer so starken Gemeinschaft zusammengewachsen, dass sie sich heute noch alle zwei Wochen treffen.



Warum arbeiten Sie als studierte Psychologin für „Univenture“?

Ich habe Sportwissenschaften im Nebenfach studiert, während des Studiums eine erlebnispädagogische Zusatzausbildung gemacht und war viele Jahre selbstständig im Bereich Erlebnispädagogik und handlungsorientierte Seminare. Ich glaube an die Wirkung dieser Methode und bin immer wieder fasziniert, welch unterschiedliche Ziele und Zielgruppen man damit bedienen kann. Seit Februar 2008 arbeite ich 50 Prozent an der Universität. Daneben mache ich weiterhin freiberuflich Multiplikatorenschulungen, Teamentwicklungen und Coachings sowie soziale Projekte. Zum Beispiel arbeite ich mit Familien, in denen ein Kind organtransplantiert ist. Mit unseren Methoden lassen sich gut Muster in den Familien bewusst machen. Durch eine kurze Intervention kann ich durchaus Impulse setzen.



Was sind Ihre nächsten großen Ziele für die Arbeit an der Universität?

Wir wollen 2009 den Status Quo sichern, die Qualität verbessern und die Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Thurgau weiter ausbauen. Zudem wollen wir ein Netzwerk aufbauen. Es zeichnet sich ein Trend ab, handlungsorientierte Methoden auch an anderen Universitäten zu stärken und zu verwenden. Ein Austausch wäre für jeden gut – um voneinander zu lernen, aber auch, um Forschungsaktivitäten zu bündeln.

Melanie Moosbuchner

Seit Februar 2008 leitet Melanie Moosbuchner gemeinsam mit Lena Reichmann „univenture“ – das Zentrum für Erlebnispädagogik und Handlungsorientiertes Lernen an der Universität Konstanz.

Die gebürtige Lübeckerin hat bis 2003 an der Universität Konstanz Psychologie studiert und schon während des Studiums durch Zusatzqualifikationen und Praktika den Einstieg in die Selbstständigkeit als Trainerin und Beraterin gefunden. Von 2005 bis 2008 leitete sie zudem den erlebnispädagogischen Verein roots e.V. Neben ihrem Engagement für „univenture“ ist Melanie Moosbuchner weiterhin freiberuflich in den Bereichen handlungsorientierte Teamentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung und Multiplikatorenschulungen tätig.


Was Melanie Moosbuchner an ihrer Arbeit besonders schätzt: Hier kann sie ihr Interesse für Menschen und ihre Leidenschaft für Bergsport beziehungsweise Outdooraktivitäten wunderbar verbinden.

Weiterführende Links:

Homepage „univenture“