Das Projekt untersucht zwei verschiedene Modelle der Formzirkulation. Es fragt danach, wie sich kodifizierte und unkodifizierte poetische Formen über territoriale Grenzen hinweg bewegen.  Es nimmt es die Migration der Tragödie in der frühen Moderne als Beispiel und vergleicht die klassizistische Tragödie französischer Prägung mit der shakespeareschen Form der Tragödie. Einerseits geht es um die Verbreitung einer standardisierten dramatischen Gattung, die im Frankreich des 17. Jahrhunderts entstand und den Repräsentationsinteressen der europäischen Höfe diente. Hier richten wir unser Augenmerk auf die politischen und kulturellen Institutionen, die die Migration dieses Tragödienmodells kontrollierten und die Regeln kommunizierten, die seine Produktion bestimmten. Shakespeares Tragödien hingegen machen uns mit dem Itinerarium einer unregulierten Form bekannt, die sich allein aufgrund ihrer dramatischen Struktur jeder Normierung widersetzen musste. Shakespeares Tragödien zirkulierten mündlich und vorrangig im Medium der Aufführung. Die reisenden Theatertruppen, die sie auf dem Kontinent einführten, präsentierten verkürzte Tragödien in improvisatorischer, körpergebundener Form, ohne durch einen institutionellen Rahmen kontrolliert zu werden, bis sie gerade aufgrund dieser Informalität in Deutschland zu Prototypen einer "modernen" dramatischen Form wurden. Das Argument wird sich jedoch nicht darauf beschränken, eine Opposition zu etablieren. Es wird auch die Überschneidungen und Überkreuzungen aufzeigen, über die beide Modelle in Austausch treten.