600 Jahre Konstanzer Konzil – ein Jubiläum mit Aufmerksamkeitswert

Die beiden Historikerinnen Prof. Dr. Gabriela Signori und Prof. Dr. Dorothea Weltecke beantworten „Im Gespräch“ Fragen rund um das Konstanzer Konzil.


Können Sie eine Kurzdefinition des Konzils geben?

Prof. Dr. Gabriela Signori: Das Konstanzer Konzil ist ein Glied in einer Kette von spätmittelalterlichen Reformkonzilien, die von der Idee beseelt waren, dass kirchenpolitische Probleme, die die Christenheit im Allgemeinen betreffen, auch nur durch die Allgemeinheit gelöst werden können. Die Praxis wurde im frühen Mittelalter vorgemacht. Die entsprechende Theorie hatten Papstkritiker wie Marsilius von Padua (gest. 1342/43) in der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert entworfen.


Wozu wurde das Konzil abgehalten?

Prof. Dr. Dorothea Weltecke: Das Konzil verfolgte drei Ziele, die seit langem in Kirchen- und Universitätskreisen als notwendig erachtet wurden. Dies waren die Kirchenreform, die Union der Kirche und die Bekämpfung von Irrlehren. Auf den Punkt gebracht sind dies die drei „causae“ (reformationis, unionis und fidei). Der Umgang mit den Finanzen in der Kirche wurde ebenso als reformbedürftig empfunden wie die Ausbildung von Priestern. Seit 1054 bestand die Spaltung zwischen lateinischer und griechischer, seit 1378 die Spaltung der lateinischen Kirche selbst. Zuerst zwei (1378), dann drei (1409) Päpste konkurrierten um die allgemeine Anerkennung, überzeugten aber jeweils nur einen Teil der europäischen kirchlichen und weltlichen Autoritäten.

Während der Pisaner Papst Johannes XXIII. anstrebte, in Konstanz seine allgemeine Anerkennung zu erlangen, verfolgten prominente Kardinäle und Universitätsangehörige ganz andere Pläne. Sie wollten alle drei Päpste entweder freiwillig zur Abdankung bewegen oder sie notfalls dazu zwingen beziehungsweise deren Anhänger davon überzeugen, ihren Päpsten die Loyalität aufzukündigen. Anschließend sollte ein neuer, allgemein anerkannter Papst gewählt werden. Diesem Ziel verschrieb sich auch König Sigismund und verfolgte es in zahlreichen diplomatischen Reisen während des Konzils.


Warum fand das Konzil gerade in Konstanz statt?

Signori: Der vom Konzil zu Pisa gewählte Papst Alexander V. (gest. 1410) hätte gern gesehen, wenn das Nachfolgekonzil als Zeichen der Kirchenvereinigung in Rom stattgefunden hätte. Aus politischen Gründen entschied man sich dann aber für Konstanz. Nicht weil die Stadt verkehrstechnisch besonders günstig gelegen wäre (der Rhein war/ist bei Konstanz nicht schiffbar), sondern weil Konstanz neben Prag und Salzburg eines der drei größten Bistümer des Reichs war und durch seine Lage zugleich die meisten Berührungspunkte zu anderen Bistümern sowie zu Italien und Frankreich aufwies.


Wie wurde die Einladung weitergegeben?

Weltecke: Das Einladungsschreiben des Königs wurde vervielfältigt, gefolgt zum Teil von vielen persönlichen Einladungen und sogar Besuchen des Königs bei den gewünschten Teilnehmern. Daneben wurde die Einladungsbulle Papst Johannes XXIII. vervielfältig und verschickt. Beides geschah, wie in dieser Zeit üblich, über Boten, wegen der diplomatischen Probleme aber auch durch autorisierte Abgesandte, die direkte Verhandlungen führen sollten. Unmittelbar vor seiner freiwilligen Abdankung lud auch der römische Papst Gregor XII. von seiner Seite zum Konzil ein.


Was waren die wichtigsten Ereignisse des Konzils?

Signori: Oberstes Ziel der Konzile von Pisa und Konstanz war, die Kirchenspaltung (Schisma) zu beseitigen (1378-1417), die die Christenheit seit fast 40 Jahren in zwei Obödienzen (Anhängerschaften), eine römische und eine avignonesische, gespalten hatte. Während des Schismas hatte sich Europa in einen unübersichtlichen Flickenteppich von Obödienzen aufgelöst, die bald dem einen, bald dem anderen Kirchenoberhaupt Gehorsam leisteten oder Gehorsam entzogen.

Anders als in Pisa gelang es den Kirchenoberhäuptern in Konstanz aber nicht, eine schnelle Lösung zu finden. Am 20. März 1415 verließ Johannes XXIII. heimlich den Konzilort. Zwei Monate später, am 29. Mai 1415, wurde er abgesetzt, der neue Papst Oddo Colonna beziehungsweise Martin V. (1417-1431) aber erst am 21. November 1417 gewählt. Auflösen sollte dieser die Kirchenversammlung schließlich am 22. April 1418. Die Stadt verließ er aber erst am 16. Mai, nicht weil es nichts mehr zu tun gegeben hätte, sondern weil in Konstanz die Pest ausgebrochen war. Zwischen diesen vier Eckdaten gab es sehr viel Zeit für allerlei anderes: Hitzige Diskussionen über die Meinungsfreiheit wurden geführt und die künftigen konziliaren Abstimmungsmodalitäten nach Nationen festgelegt. Dekrete wurden erlassen, wie das Verhältnis zwischen dem Papst und dem Konzil zu begreifen sei und wann beziehungsweise wie oft in Zukunft weitere Konzilien stattfinden sollten. Aber auch nach Handschriften wurde gejagt, in St. Gallen und anderen geschichtsmächtigen Orten der Region, wo reiche Beute vermutet wurde.

Als erstes gingen die Konzilteilnehmer die unverfängliche Glaubensfrage an, die „Causa fidei“. In diesem Punkt war es leicht, eine Einigung zu erzielen: Zunächst wurde die Lehre des englischen Reformers Johannes Wyclif als häretisch verurteilt, dann die Lehre der beiden böhmischen Reformatoren Jan Hus und Hieronymus von Prag (deren Hinrichtung nicht alle befürworteten). Kurz vor Ausgang des Konzils ereilte dasselbe Verdikt schließlich noch die Lehre des Franziskaners Matthäus Grabow aus Groningen (dessen „Irrlehre“ allerdings etwas unzeitgemäß daherkommt, deswegen hat sich die Forschung kaum mit ihm befasst).

Zur Reformfrage, zur „Causa reformationis“, hatte man hingegen wenig Konkretes beizutragen, zu heterogen war das Personal, das in Konstanz mitwirkte. Am 27. November 1416 berief das Konzil das Reformkapitel in Petershausen zusammen und spielte, was die Ordensreform anbelangt, so den Ball an die Mönche weiter, die am 28. Februar 1417 im Kloster Petershausen zusammentrafen.

Während der fast zweijährigen Sedisvakanz, also der Zeit zwischen Johannes XXIII. und Martin V. von 1415 bis 1417, als der Papststuhl nicht besetzt war, war in Konstanz das päpstliche Gericht (die Rota) aktiv. Seine Tätigkeit dokumentierte es jedoch nicht eigens (anders als während des Basler Konzils). Die Gerichtsherren (Auditoren) tagten jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag in der Stephanskirche. Es seien insgesamt 15 gewesen, allesamt Doktoren beiderlei Rechts, des geistlichen sowie des kaiserlichen. Aktiv wurde auch die päpstliche Pönitentiarie, ein weiterer päpstlicher Gerichtshof, aber auch ihre Aktivitäten sind schwer zu fassen, weil sie nicht eigens dokumentiert worden sind.

Und ein letzter Punkt: Während der gesamten Konzilzeit bestätigten die beiden Päpste, zunächst Johannes XXIII., dann Martin V., genauso wie König Sigismund alte Privilegien oder gewährten neue. Das brachte Geld und stärkte alte und neue Zusammengehörigkeiten. Diesen regen „Privilegienhandel“ während des Konstanzer Konzils hat die Forschung bislang kaum beachtet, wohl weil er nicht unmittelbar mit den Zielen des Konzils in Zusammenhang steht. Die Stadt-, Staats- und Landesarchive von heute sind voll mit den entsprechenden Dokumenten.


Ist von allen Teilnehmern bekannt, woher sie gekommen sind?

Weltecke: Nicht so ganz. Die wichtigen Kirchenleute und Fürsten kennt man natürlich, auch eine Reihe von Gelehrten. Die Rekonstruktion der vollständigen Teilnehmerlisten ist aber noch nicht abgeschlossen. Nicht alle Teilnehmer beteiligten sich überdies an den Plenarsitzungen. Viele halfen nur im Hintergrund bei der Arbeit der unterschiedlichen Ausschüsse. Neben denen, die eingeladen wurden, kamen übrigens auch eine Menge Leute in die Stadt, die gar nicht gebeten worden waren. Damit meine ich nicht nur Gefolgsleute und Dienerschaften, Bankiers der Kirchenleute (die sich offiziell von der Stadt akkreditieren ließen), sondern auch Betrüger, die vorgaben, hochmögende Teilnehmer zu sein.


Wie wurde das Konzil organisatorisch bewältigt, zumal es ja über einen relativ langen Zeitraum ging?

Signori: Ulrich Richental (gest. 1437) berichtet in seiner Konzilchronik ausführlich über die obrigkeitlichen Maßnahmen, um während des Konzils eine Preisexplosion (Brot, Fisch, Fleisch, Heu und Holz sowie die Mieten beziehungsweise Logiskosten) zu verhindern – mit Erfolg, wie er am Schluss seiner Chronik bilanziert. Die Preise seien über die Jahre hinweg tief und stabil geblieben (Oswald von Wolkenstein sah das etwas anders). Das Interesse an der städtischen Preisbindungspolitik teilten viele Chronisten nach ihm. Das war früher ein Zeichen für ein gutes Regiment. Im Konstanzer Stadtbuch belegt sind aber einzig zwei sogenannte "Fischordnungen". Erlassen hatte der Rat die beiden Ordnungen (der Sachlage entsprechend) jeweils zu Beginn der Fastenzeit 1415 und 1417. Der Vergleich von Stadtbuch und Chronik stimmt nachdenklich. Richentals Preise korrespondieren größtenteils nicht mit den städtischen Preislisten. Auch handelt es sich nicht immer um dieselben Fischarten. Schließlich erwecken die im Stadtbuch vorgenommenen Korrekturen den Eindruck, die Listen seien im Nachhinein an Richentals Preise angepasst worden, um die Widersprüche seiner Berichterstattung zu kaschieren. Die Fischordnungen sind ein Beispiel unter vielen, wie vorsichtig wir mit der Richtentalchronik umgehen müssen, in der schamlos übertrieben und ausgeblendet oder beschönigt wird, was nicht ins Bild passt. Die Richentalchronik ist eine lokalpatriotisch gefärbte Hymne auf die Stadt Konstanz.


War es ein Kommen und Gehen?

Weltecke: Auf jeden Fall. Das Konzil und seine Teilnehmer kommunizierten mit anderen Institutionen und Personen, man schickte Boten und Gesandte und empfing solche. Und es gab Hochzeiten und Flauten. Im Winter 1414/1415 trafen die Teilnehmer nur allmählich ein; während der Anwesenheit Sigismunds waren dann besonders viele Menschen in der Stadt. Während der zähen Arbeit in den Ausschüssen im Jahr 1416, als zudem Sigismund zu seinen Missionen unterwegs war, wurde es in der Stadt wieder ruhiger. Aber ein paar tausend Leute mehr waren wohl ständig zu versorgen.


Manche der Teilnehmer hatten mehrere Funktionen inne. Wie ging man damit um? Zudem diente das Konzil religiösen Interessen, aber politische waren oft genug damit verwoben.

Signori: Diese Vielzahl an Funktionen, die teilweise in ein und derselben Person zusammenflossen, war eigentlich kein Problem. Damit lebte man damals genauso gut oder schlecht wie heute. Sand im Getriebe waren vor allem die je nach Nation unterschiedlichen Interessenlagen, die bei der Diskussion über die Abstimmungsmodalitäten aufbrachen und in viele Detailentscheidungen hineinspielten. Die Vermischung von kirchlichen und weltlichen beziehungsweise nationalen Belangen war ein Dauerproblem seit dem Auszug des Papstes nach Avignon. Gelöst wurde das Problem nicht, aber mit den Konkordaten wurde ein gangbarer Weg vorgezeichnet, auf den das Basler Konzil zugriff.


Am 6. April 1415 wurde das Dekret Haec Sancta erlassen. Es hat die Souveränität des Konzils in Abwesenheit des Papstes gesichert. Ein für die damalige Zeit revolutionärer Vorgang?

Weltecke: Das ist eine bis heute in der Forschung umstrittene Frage, vor allem, weil es direkt die Verfassung der römischen Kirche betrifft und also auch für die heutige Theologie und ihre Lehre von der Kirche, der Ekklesiologie. Deshalb wird dieses Problem auf einer theologischen Tagung in Konstanz im Jahr 2015 nochmals untersucht werden. Zunächst einmal: In seiner Formulierung war das Dekret neu. Aber ob es revolutionär war? Und ob es revolutionär gedacht war, was ja nicht dasselbe ist? Berühmte ökumenische Konzilien fanden ohne den Papst statt, weil er Rom damals nicht gut verlassen konnte oder wollte. Am Konzil von Chalkedon beteiligte er sich zum Beispiel durch eine eigene theologische Schrift und durch Abgesandte. Auch in den frühmittelalterlichen Konzilien in der lateinischen Kirche spielte der Papst noch nicht immer diese zentrale Rolle. Bereits die Frage, ob das Dekret Haec Sancta tatsächlich die Souveränität des Konzils erklären oder nur, so die von Kardinal Brandmüller vertretene These, pragmatisch für die nächsten Monate die Arbeitsfähigkeit des Konzils sichern sollte, nachdem der Pisaner Papst die Flucht ergriffen hatte, ist nicht eindeutig beantwortet. Klar ist, dass der Papst durch seinen Abzug dem Konzil seinen Willen aufzwingen wollte, aber das Gegenteil erreichte. Unbestritten ist auch, dass später das Basler Konzil das Dekret Haec Sancta als dauerhafte Souveränitätserklärung aufgefasst hat. Unbestritten ist zugleich, dass der damalige Papst es nicht so verstanden hat. Und so ziehen jeweils papstkritische Strömungen in der katholischen Kirche das Dekret immer wieder für ihre jeweilige Argumentation heran, wie nicht zuletzt der Bistumsverweser Ignatius von Wessenberg im Konstanz des 19. Jahrhunderts. Die papstorientierten Strömungen indessen verwehren ihnen dies. Der säkulare Historiker kann diese Debatten beobachten und als Ausdruck aktueller widerstreitender Interessenlagen interpretieren.


Immer wieder gab es Interessenkonflikte. Gab es zur Klärung eine Art Schiedsstelle?

Signori: Über solche Konzilsinterna wissen wir wenig. Auch die „Tagebücher“ beziehungsweise Konzilschroniken von Guillaume Fillastre (gest. 1428) und Jacobus de Cerretanis (gest. 1440) gehen nicht darauf ein. Während des Konzils wurden Papst, Konzil (als juristische Person mit einem eigenen Sigel ausgestattet) und König aber sehr häufig gebeten, Konflikte zu lösen, die mit dem Konzilgeschehen per se nichts zu tun hatten. Entsprechende Dokumente (Urkunden) liegen zuhauf vor, aber eben verstreut in den Stadt-, Staats- und Landesarchiven (mit deutlichem Schwerpunkt auf dem Südwesten des damaligen Deutschland).


Hat das Konstanzer Konzil auch dazu gedient, mehr über andere Kulturen zu erfahren, also die Welt besser kennenzulernen?

Weltecke: Zunächst: Innerhalb Europas war das Konzil tatsächlich so etwas wie eine Drehscheibe, über das kulturelle Kenntnisse in andere Regionen vermittelt wurden. Die Teilnehmer waren neugierige Zeitgenossen; sie tauschten Meinungen und Bücher, führte Gespräche und sahen andere Ess- und Kleidungsgewohnheiten. Man musste sich in Diplomatie und emotionaler Zurückhaltung üben, auch wenn die eigenen Länder gerade miteinander Krieg führten oder wenn das fremdartige Verhalten der anderen einen massiv auf die Palme brachte. Die Chronik Ulrich von Richentals lässt außerdem erkennen, dass hier eine spätmittelalterliche Stadtgesellschaft den Trubel beobachtete, die sich ihrerseits sehr für die weite Welt interessierte, auch über Europa hinaus. Sie hatte von Marco Polos Reisen ebenso gehört wie von fernen Sultanen. Der Bodenseeraum war über die gut ausgebauten Alpenpässe aktiv auf den Märkten des westlichen Mittelmeers. Bemerkt sei, dass dies insgesamt eine Zeit lebhaften kulturellen Austausches ist. Die Renaissance als Bildungsbewegung hatte bereits eingesetzt. Die wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten am Mittelmeer bezogen natürlich auch die islamische Welt und auch Äthiopien mit ein. Das Konzil von Konstanz hat diese Aktivitäten aber nicht beeinflusst, sondern höchstens umgekehrt davon profitiert.


Hat sich die Welt nach dem Konstanzer Konzil verändert oder ging man schnell zur Tagesordnung über?

Signori: Wie eingangs erwähnt, war das Konstanzer Konzil nur ein Glied in einer langen Kette von Konzilien. Mit der Wahl Papst Martins V. (gest. 1431) hatte man vorübergehend eine Lösung, eine gute Lösung gefunden, aber eben nur vorübergehend. Als es an die Wahl seines Nachfolgers ging, brachen die Konflikte bald wieder auf, und der Christenheit waren alsbald wieder mehrere Päpste beschieden. Dem Problem Hus/Hussiten begegnete König Sigismund kurz nach dem Konzil mit einem Kreuzzug, ein sinnloses Unternehmen, dem kein Erfolg beschieden war. Der Krieg zwischen Frankreich und England (der von späteren Generationen als der „hundertjährige Krieg“ bezeichnet werden sollte), der noch in Basel phasenweise die Konzilatmosphäre vergiftet hatte, fand erst um die Mitte des Jahrhunderts sein Ende. Große Veränderungen hat das Konstanzer Konzil meines Erachtens nicht hervorgebracht. In der longue durée haben die Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts als Serie, nicht als Einzelereignisse, aber schon sehr vieles in Gang gesetzt, auf der Ebene der Ideen genauso wie auf der Ebene der Institutionen.


Was ist vom Konstanzer Konzil als religiöses Relikt erhalten?

Weltecke: Durch die Verbrennung von Jan Hus ist die nachhaltige Entfremdung von Teilen der böhmischen Christen vertieft worden, die durch den Hussitenkreuzzug verstärkt wurde. Dadurch sind oppositionelle Bewegungen, die es schon vorher gab, dynamisiert worden, die letztlich die konfessionelle Landschaft der Neuzeit mit geformt haben. Aber das war ein sehr ungewollter religiöser Effekt.

Das andauernde Ringen um die religiöse Funktion des Papstes scheint mir ebenfalls ein Relikt aus dieser Zeit zu sein. Die letzten drei Päpste, der gegenwärtige einschließlich, zeigen, wie unterschiedlich die Antworten sind, die darauf immer gegeben werden.

Die Bemühungen von Reformern wie dem Pariser Universitätskanzler Jean Gerson hat die geistliche Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Hilfe für spirituelle Nöte wie die Anleitungen zum guten Sterben für Priester oder Selbstleser oder überhaupt Gersons Ideen zu einer religiösen Didaktik wurden von vielen anderen geteilt. Sie wurden später auch in anderen europäischen Städten, wie in Wien oder Straßburg, intensiv verfolgt. Der Reformgedanke, der schon vorher virulent war, ist auch anschließend nicht verstummt. Neben der autoritären Durchsetzung von Reformordnungen wurde er immer wieder auch aktiv in konkreten Lebensformen innerhalb und außerhalb der Klöster zur Richtschnur der eigenen Lebensführung. Auf individuelle religiöse Lebensweisen und Erfahrungen zielende religiöse Bewegungen wie die Devotio moderna wurden vom Konstanzer Konzil nicht nur gegen Häresievorwürfe verteidigt, sondern gefördert. All dies hat die Geschichte des europäischen Christentums und seine Ziele geformt.

Apropos

Wann haben Sie begonnen, sich genauer für das Konstanzer Konzil zu interessieren?

Weltecke: Seit dem ich 2007 nach Konstanz gekommen bin, habe ich regelmäßig zweimal im Jahr etliche Prüfungen zum Konstanzer Konzil abgenommen. Seit dieser Zeit werde ich, weil ich mich mit Inquisition- und Häresiegeschichte befasse, auch regelmäßig mit dem Schicksal von Jan Hus konfrontiert. Da liest man sich in die riesige Forschungstradition ein und verschafft sich einen Überblick.

Signori: Mein Forschungsschwerpunkt ist das Spätmittelalter, aus diesem Grund gehören die Reformkonzilien sozusagen zu meinem Basiswissen.

Was sind Ihre Forschungsinteressen?

Signori: Je nach Gegenstand verschiebt sich der geographische Schwerpunkt meiner Untersuchungen, ich habe zu Frankreich und England geforscht, häufiger aber zu Deutschland.

Weltecke: Eigene Forschungsinteressen entwickle ich in Bezug auf die Konzilsgeschichte erst allmählich, zum Beispiel zur Geschichte der Juden während des Konstanzer Konzils. Ich habe nicht so große Lust, in meinen Publikationen zu wiederholen, was andere schon gesagt haben, so dass die Phase, in der ich andere beobachte, noch andauern wird. Ehrlich gesagt finde ich, dass im Augenblick in der Wissenschaft zu schnell und zu viel geschrieben wird, was die Forschung nicht sonderlich weiterbringen wird. Aber ich habe schon ein paar Ideen. Viele Quellen sind noch wenig behandelt, auch neue Fragen kann man noch stellen. Ich selber arbeite zur Geschichte der orientalischen Kirchen, zum Verhältnis zwischen den monotheistischen Religionen untereinander, zur Geschichte der Kirchen und der Häresien.

Ist es schwierig, Quellen zu verstehen?

Weltecke: Das ist es immer; vor allem braucht man vernünftige Methoden dazu.

Signori: Handschriftliche Quellen zu lesen und zu verstehen gehört zu meinem Forscheralltag und zu meinen tagtäglichen Aufgaben. Es gibt in der Tat „Hände“, die einem die Arbeit schwermachen (das ist ja heute noch häufig der Fall bei handgeschriebenen Dokumenten).

Wie würde ein Konstanzer Konzil in der heutigen Zeit Ihrer Meinung nach ablaufen?

Signori: Aus europäischer Perspektive vielleicht schwieriger, weil es keine richtige lingua franca mehr gibt und die nationalen Partikularinteressen noch mehr auf einer solchen Versammlung lasteten als früher.

Weltecke: Das wäre vielleicht weniger unterschiedlich zu damals, als man denken sollte. Umgekehrt wurden damals ja viele Techniken zur Organisation von Zusammenkünftigen, wie Tagesordnungen, Beschlussordnungen und Ausschüsse, enorm weiterentwickelt. Man kannte sie ein bisschen schon aus kirchlichen und universitären Strukturen. Sie wurden zeitgleich auch in Parlamenten und weltlichen politischen Versammlungen erprobt. Diese Techniken haben die Gestaltung von großen Kongressen, die Interessenkonflikte aushandeln müssen, ohne durch klare Hierarchien Zwang ausüben zu können und ohne das Ergebnis von vornherein festlegen zu können, bis heute mitgeformt. Denken Sie nur an die UNO, wo Abstimmungsmodi oder die Anerkennung von Mitgliedern über Jahre den Verhandlungsalltag dominieren, weil ja gerade die Aushandlung der gegenseitigen Beziehungen tatsächlich genauso unabdingbar ist wie die inhaltlichen Ziele. Da kommt es auch jetzt noch gelegentlich zu Tumulten, die die Gegenwart sehr nah an die mittelalterlichen Kongresse heranbringt.

Welches Ereignis/welche Ereignisse während des Konstanzer Konzils hat/haben Sie persönlich beeindruckt?

Weltecke: Im Augenblick ist es eben diese emsige Verhandlungsführung und die Kreativität, die Zusammenkünfte zu koordinieren und zugleich den Alltag und die Versorgung der Stadt zu managen. So viele Leute haben hier kooperiert, Arbeit effizient geteilt, Zusagen umgesetzt, Papiere ausgefertigt und abgeschickt, Termine eingehalten, obwohl gleichzeitig bewaffnete Konflikte tobten – das finde ich ziemlich beeindruckend. Auch der lange Atem einiger Kardinäle, die noch 1416 und 1417 nicht locker ließen, sondern zäh und geduldig weiter diskutierten und an der Reformidee festhielten, finde ich beeindruckend.

Gibt es eine persönliche Lehre, die Sie aus dem Konstanzer Konzil ziehen?

Signori: Wie gesagt begreife ich das Konstanzer Konzil als Glied einer langen Kette, weswegen ich die Frage so nicht beantworten kann. Einige Wortführer waren für ihre Zeit bemerkenswerte kluge Köpfe: Unter anderen d'Ailly, Gerson, Zabarella. Sie liebten es, Reden zu halten, was das Konzil nicht gerade verkürzte.

Weltecke: Noch nicht. Fragen Sie mich 2018 wieder.

Prof. Dr. Gabriela Signori ist seit 2006 Professorin für die Geschichte des Mittelalters an der Universität Konstanz. Von 2001 bis 2006 war sie Professorin für die Geschichte des Spätmittelalters und für Historische Hilfswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2004 erhielt sie einen Ruf auf die Professur zur Geschichte des Spätmittelalters an der Harvard University, Cambridge/Mass. (USA), hat diesen aber abgelehnt. Von 2000 bis 2001 hatte sie ein Heisenberg-Stipendium.

Gabriela Signori studierte Philosophie, Geschichte und Romanistik an den Universitäten Basel, Genf, Lausanne und Paris. Ihre Doktorarbeit „Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt. Hagiographische und historiographische Annäherungen an den Typus der hochmittelalterlichen Wunderpredigt“ wurde mit dem Heinz-Maier-Leibnitz-Preis für Arbeiten aus dem Bereich der Historischen Anthropologie ausgezeichnet. Sie habilitierte sich an der Universität Bielefeld zum Thema „Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters“.

Gabriela Signori hat zahlreiche Monographien verfasst, Editionen mittelalterlicher Texte besorgt und Sammelbände herausgegeben, darunter die Studie „Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt“. In ihrer jüngsten Monographie befasst sie sich mit dem spätmittelalterlichen Kreditwesen „Schuldenwirtschaft. Konsumenten- und Hypothekarkredite im spätmittelalterlichen Basel“. Zusammen mit Birgit Studt von der Universität Freiburg hat sie den für das Thema Konzil einschlägigen Sammelband „Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis“ herausgegeben.
Prof. Dr. Gabriela Signori ist seit 2006 Professorin für die Geschichte des Mittelalters an der Universität Konstanz. Von 2001 bis 2006 war sie Professorin für die Geschichte des Spätmittelalters und für Historische Hilfswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2004 erhielt sie einen Ruf auf die Professur zur Geschichte des Spätmittelalters an der Harvard University, Cambridge/Mass. (USA), hat diesen aber abgelehnt. Von 2000 bis 2001 hatte sie ein Heisenberg-Stipendium.

Gabriela Signori studierte Philosophie, Geschichte und Romanistik an den Universitäten Basel, Genf, Lausanne und Paris. Ihre Doktorarbeit „Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt. Hagiographische und historiographische Annäherungen an den Typus der hochmittelalterlichen Wunderpredigt“ wurde mit dem Heinz-Maier-Leibnitz-Preis für Arbeiten aus dem Bereich der Historischen Anthropologie ausgezeichnet. Sie habilitierte sich an der Universität Bielefeld zum Thema „Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters“.

Gabriela Signori hat zahlreiche Monographien verfasst, Editionen mittelalterlicher Texte besorgt und Sammelbände herausgegeben, darunter die Studie „Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt“. In ihrer jüngsten Monographie befasst sie sich mit dem spätmittelalterlichen Kreditwesen „Schuldenwirtschaft. Konsumenten- und Hypothekarkredite im spätmittelalterlichen Basel“. Zusammen mit Birgit Studt von der Universität Freiburg hat sie den für das Thema Konzil einschlägigen Sammelband „Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis“ herausgegeben.

Prof. Dr. Gabriela Signori...

ist seit 2006 Professorin für die Geschichte des Mittelalters an der Universität Konstanz. Von 2001 bis 2006 war sie Professorin für die Geschichte des Spätmittelalters und für Historische Hilfswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2004 erhielt sie einen Ruf auf die Professur zur Geschichte des Spätmittelalters an der Harvard University, Cambridge/Mass. (USA), hat diesen aber abgelehnt. Von 2000 bis 2001 hatte sie ein Heisenberg-Stipendium.

Gabriela Signori studierte Philosophie, Geschichte und Romanistik an den Universitäten Basel, Genf, Lausanne und Paris. Ihre Doktorarbeit „Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt. Hagiographische und historiographische Annäherungen an den Typus der hochmittelalterlichen Wunderpredigt“ wurde mit dem Heinz-Maier-Leibnitz-Preis für Arbeiten aus dem Bereich der Historischen Anthropologie ausgezeichnet. Sie habilitierte sich an der Universität Bielefeld zum Thema „Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters“.

Gabriela Signori hat zahlreiche Monographien verfasst, Editionen mittelalterlicher Texte besorgt und Sammelbände herausgegeben, darunter die Studie „Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt“. In ihrer jüngsten Monographie befasst sie sich mit dem spätmittelalterlichen Kreditwesen „Schuldenwirtschaft. Konsumenten- und Hypothekarkredite im spätmittelalterlichen Basel“. Zusammen mit Birgit Studt von der Universität Freiburg hat sie den für das Thema Konzil einschlägigen Sammelband „Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis“ herausgegeben.


Prof. Dr. Dorothea Weltecke ist seit 2007 Professorin für Geschichte der Religionen an der Universität Konstanz. Von 2001 bis 2007 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Georg-August-Universität Göttingen bei Prof. Dr. Frank Rexroth, von 2000 bis 2001 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Vertrauen“ von Prof. Dr. Ute Frevert, Universität Bielefeld.

1988 hat Dorothea Weltecke ihr Studium der Geschichte, Semitistik und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin aufgenommen und 1996 mit dem Master-Titel abgeschlossen. 1992 war sie Stipendiatin der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“. 2000 wurde sie zum Dr. phil. promoviert. Die Promotion wurde von der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“ gefördert. Für ihre Dissertation über syrische Christen im Mittelalter bekam sie 2001 den Ernst-Reuter-Preis der Freien Universität Berlin, und 2004 erreichte sie im Rahmen des Wettbewerbs „Das historische Buch 2004“ mit ihrer Dissertation den dritten Platz. 2007 erhielt Dorothea Weltecke ein Forschungsstipendium der DFG für ihr Habilitationsprojekt „Unglauben und Glaubenszweifel im Mittelalter“.

Welteckes Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Religionen; Orient und Europa in Austausch, Konflikt und Wahrnehmung; Geschichte der lateinischen und orientalischen Kirchen sowie Geschichte der religiösen Devianzen. Innerhalb des Exzellenzclusters "Kulturelle Grundlagen von Integration" der Universität Konstanz ist die Professorin für Geschichte der Religionen maßgeblich beteiligte Wissenschaftlerin.
Prof. Dr. Dorothea Weltecke ist seit 2007 Professorin für Geschichte der Religionen an der Universität Konstanz. Von 2001 bis 2007 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Georg-August-Universität Göttingen bei Prof. Dr. Frank Rexroth, von 2000 bis 2001 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Vertrauen“ von Prof. Dr. Ute Frevert, Universität Bielefeld.

1988 hat Dorothea Weltecke ihr Studium der Geschichte, Semitistik und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin aufgenommen und 1996 mit dem Master-Titel abgeschlossen. 1992 war sie Stipendiatin der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“. 2000 wurde sie zum Dr. phil. promoviert. Die Promotion wurde von der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“ gefördert. Für ihre Dissertation über syrische Christen im Mittelalter bekam sie 2001 den Ernst-Reuter-Preis der Freien Universität Berlin, und 2004 erreichte sie im Rahmen des Wettbewerbs „Das historische Buch 2004“ mit ihrer Dissertation den dritten Platz. 2007 erhielt Dorothea Weltecke ein Forschungsstipendium der DFG für ihr Habilitationsprojekt „Unglauben und Glaubenszweifel im Mittelalter“.

Welteckes Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Religionen; Orient und Europa in Austausch, Konflikt und Wahrnehmung; Geschichte der lateinischen und orientalischen Kirchen sowie Geschichte der religiösen Devianzen. Innerhalb des Exzellenzclusters "Kulturelle Grundlagen von Integration" der Universität Konstanz ist die Professorin für Geschichte der Religionen maßgeblich beteiligte Wissenschaftlerin.

Prof. Dr. Dorothea Weltecke...

ist seit 2007 Professorin für Geschichte der Religionen an der Universität Konstanz. Von 2001 bis 2007 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Georg-August-Universität Göttingen bei Prof. Dr. Frank Rexroth, von 2000 bis 2001 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Vertrauen“ von Prof. Dr. Ute Frevert, Universität Bielefeld.

Welteckes Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Religionen; Orient und Europa in Austausch, Konflikt und Wahrnehmung; Geschichte der lateinischen und orientalischen Kirchen sowie Geschichte der religiösen Devianzen. Innerhalb des Exzellenzclusters "Kulturelle Grundlagen von Integration" der Universität Konstanz ist die Professorin für Geschichte der Religionen maßgeblich beteiligte Wissenschaftlerin.

1988 hat Dorothea Weltecke ihr Studium der Geschichte, Semitistik und Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin aufgenommen und 1996 mit dem Master-Titel abgeschlossen. 1992 war sie Stipendiatin der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“. 2000 wurde sie zum Dr. phil. promoviert. Die Promotion wurde von der „Studienstiftung des Deutschen Volkes“ gefördert. Für ihre Dissertation über syrische Christen im Mittelalter bekam sie 2001 den Ernst-Reuter-Preis der Freien Universität Berlin, und 2004 erreichte sie im Rahmen des Wettbewerbs „Das historische Buch 2004“ mit ihrer Dissertation den dritten Platz. 2007 erhielt Dorothea Weltecke ein Forschungsstipendium der DFG für ihr Habilitationsprojekt „Unglauben und Glaubenszweifel im Mittelalter“.