Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß

Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß studierte Philosophie, Germanistik und evangelischen Theologie in Bonn, Erlangen, Hamburg und Oxford. 1961 erfolgte die Promotion in Erlangen, 1968 die Habilitation. Von 1970 bis 2005 war er Ordinarius für Philosophie und Wissenschaftstheorie in Konstanz, seit 2006 ist er Direktor des Konstanzer Wissenschaftsforums. Jürgen Mittelstrass ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen und hochschulpolitischen Einrichtungen, darunter der Wissenschaftsrat, der Auswahlausschuss der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Rat für Forschung, Technologie und Innovation beim Bundeskanzler. Er ist als Vorsitzender zahlreicher Wissenschaftskommissionen tätig, so der Strukturkommission der Universität Konstanz und der Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020. Seit 2005 ist er Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrates. Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter 1989 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Von 2002 bis 2008 war er Präsident der Academia Europea (der Europäischen Akademie der Wissenschaften mit Sitz in London), seit 2007 ist er Mitglied des Vorstands der Pontifical Academy of Sciences (Pontificia Academia Scientiarum, Rom).

Der intensive Austausch zwischen Vertretern und Institutionen der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Politik ist für die Universität Konstanz von großer Bedeutung. Um hierfür ein Podium zu schaffen, wurde 2006 das „Konstanzer Wissenschaftsforum“ gegründet. „Im Gespräch“ hat sich bei Prof. Jürgen Mittelstraß, Direktor des Wissenschaftsforums und einem seiner Gründungsmitglieder, nach Details erkundigt.

Herr Prof. Mittelstraß, erhebt das Wissenschaftsforum einen Vordenker- Anspruch? Will es Meilensteine setzen?

Die Universität Konstanz überrascht das Wissenschaftssystem immer wieder mit neuen Anstößen und strukturellen Reformen, weshalb sie ja auch zum „Modell Konstanz“ für zahlreiche Institutionen in der Bundesrepublik geworden ist. Mit der Etablierung des Konstanzer Wissenschaftsforums hat sie einen weiteren bedeutenden institutionellen Schritt getan, vor allem im Hinblick auf die Kommunikation mit der Welt außerhalb der Universität.

Warum ist die Vernetzung der Universität Konstanz mit Wirtschaft und Politik so wichtig?

In der Wirtschaft und in der Politik Tätige haben in der Regel wenig Zeit, sich im Detail mit hochschulpolitischen Themen auseinanderzusetzen. Wir bieten ihnen bei unseren Veranstaltungen die Gelegenheit, Einblick in aktuelle Entwicklungen zu erhalten und das Wirtschaftliche und das Politische mit dem Wissenschaftlichen zu verbinden. So lernen Wirtschaft und Politik, aber lernt auch die Wissenschaft selbst in der Begegnung mit gesellschaftlichen Themen.

Das Wissenschaftsforum wurde 2006 gegründet. War die Universität vorher nicht ausreichend vernetzt?

Die Universität Konstanz pflegt von jeher gute Kontakte nach „außen“, vor allem zu anderen Institutionen, wissenschaftlichen wie nicht-wissenschaftlichen. Durch die Aktivitäten des Wissenschaftsforums werden viele dieser Kontakte intensiviert, aber auch durch institutionelle Kontakte zu Wirtschaft und Politik ergänzt.

Hat sich seit seiner Gründung die Bedeutung eines solchen Netzwerkes verstärkt?

Netzwerk ist ein modischer Begriff, der doch nichts anderes meint als die üblichen, auch in der Wissenschaft üblichen, Informations- und Arbeitsbeziehungen. Es geht um befestigte Kommunikation mit der wissenschaftlichen und der außerwissenschaftlichen Welt. Deren Pflege dient auch das Wissenschaftsforum.

Was konkret unternimmt das Wissenschaftsforum, um dieses Netzwerk zu stärken beziehungsweise neue Verbindungen zu knüpfen?

Das Konstanzer Wissenschaftsforum führt durchschnittlich drei bis vier Veranstaltungen im Jahr durch. Dazu zählt eine große internationale Tagung zu einem zentralen Thema mit 80 bis 100 Teilnehmenden aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Dann finden unter dem Dach des Wissenschaftsforums kleinere Workshops statt, z. B. mit Vertretern aus der Wirtschaft, oder zu stärker wissenschafts- bzw. universitätsbezogenen Themen wie z. B. der Lehrerbildung. Je nach Veranstaltung setzt sich auch das Zielpublikum unterschiedlich zusammen. Ein weiteres Veranstaltungsformat ist für den interdisziplinären Austausch universitätsinterner Themen gedacht. Hier spielt eine wesentliche Rolle, dass sich Angehörige der Universität außerhalb des Alltags und der Räumlichkeiten auf dem Gießberg treffen, um einen unverstellten und erweiterten Blick auf die Institution einzunehmen.

„Im Blick des Konstanzer Wissenschaftsforums steht der internationale, vorrangig der europäische Wissenschafts- und Forschungsraum“, heißt es auf der Homepage des Wissenschaftsforums. Was bedeutet das konkret?

Das deutsche Hochschulsystem ist Teil des europäischen. Es ist wenig sinnvoll, strukturelle und institutionelle Merkmale allein auf nationaler Ebene zu diskutieren. Erst der vergleichende Blick – auch über den Atlantik oder in den asiatischen Raum – öffnet neue Perspektiven und schafft eine kritische Distanz zum eigenen System.

Noch ein Satz, der auf Ihrer Homepage steht: „Dabei spielt die geographische Nähe der Universität Konstanz zu angrenzenden Ländern wie Schweiz und Österreich eine bedeutende Rolle.“ Inwiefern?

Konstanz liegt mitten in Europa und am Rande von Deutschland. Bei unseren Nachbarn besteht ein großes wissenschaftliches und institutionelles Interesse an der Universität Konstanz und ihren Aktivitäten. Dieses Interesse schlägt sich dann auch in zahlreichen Kooperationen nieder, von denen die Universität in mehreren Hinsichten profitiert.

Wie sehen Ihre Aktivitäten aus?

In Kooperation mit der Stiftung „Think Tank Thurgau“ haben wir im Frühjahr 2008 eine Tagung in Stein am Rhein durchgeführt. Thema war „Europa – wie weit soll die Integration in Recht, Forschung und Kultur gehen?“ Im Frühjahr 2009 haben wir in Kooperation mit der Südwestmetall das Fachforum Südwest auf dem Wolfsberg veranstaltet. Der Wolfsberg in der Schweiz ist die Ausbildungs- und Tagungsstätte der UBS AG und pflegt enge Kontakte zur Wirtschaftselite Europas. Hier werden wir im kommenden Jahr die erste „Bodensee Leadership Konferenz“ zu den wirtschaftlichen Herausforderungen und Chancen des nächsten Jahrzehnts durchführen.

Wichtig ist für Sie auch die „Philosophie der Wissenschaft“. Was bedeutet das konkret?

Die Philosophie der Wissenschaft ist ein thematischer Schwerpunkt der modernen Philosophie, aber auch in Form einer Reflexion auf den „Wissenschaftsbetrieb“ Schwerpunkt des Konstanzer Wissenschaftsforums. Dahinter verbirgt sich vor allem ein Anspruch an unsere Arbeit. Die europäische Idee rationaler Verhältnisse, die darin beruht, praktische und theoretische Orientierungen auf begriffliche Arbeit und Begründungen zu stützen, macht die Philosophie zum Element eines allgemeinen wissenschaftlichen Selbstverständnisses. Dies gilt es zu stärken.


Wie würden Sie das Wissenschaftsforum im europäischen Kontext einordnen?

Antwort schon gegeben. Siehe „Konstanz liegt mitten in Europa“. Wir versuchen uns zugleich auf institutionellen Wegen in die Entwicklung des europäischen Wissenschafts- und Universitätsraumes einzuschalten.

Was ist Ihr Hauptanliegen innerhalb des Wissenschaftsforums?

Dass wir weiterhin das Forum für einen intensiven Austausch zwischen den Institutionen der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Politik und deren Vertretern sind und damit für die Universität Konstanz eine wichtige Schnittstelle nach außen darstellen. Unser hochkarätig besetztes Kuratorium aus universitätsinternen und externen Mitgliedern garantiert die Einlösung der damit verbundenen wissenschafts- und gesellschaftspolitischen Ansprüche.

Gibt es einen Referenten / eine Referentin, den/die Sie unbedingt fürs Wissenschaftsforum gewinnen möchten?

Wir hatten bisher wenig Schwierigkeiten, unsere Wunschreferentinnen und Wunschreferenten für unsere Veranstaltungen zu gewinnen. Die Auswahl richtet sich nach den Themen; Personenkult betreiben wir nicht.


Wo sehen Sie das Wissenschaftsforum in zehn Jahren?

Weiterhin an verschiedenen interessanten Orten in Europa, organisiert und koordiniert vom Standort Konstanz aus.