Traditionale Governance und moderne Staatlichkeit

Presseinformation Nr. 73 vom 16. Mai 2012

DFG fördert Reinhart Koselleck-Projekt der Konstanzer Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Holzinger mit 1,5 Millionen Euro


Prof. Dr. Katharina Holzinger

Traditionale Gesellschaftsstrukturen (zum Beispiel indigene Stammesstrukturen) haben in vielen Ländern einen maßgeblichen Einfluss auf den Staat und seine Entwicklung. Insbesondere in Afrika übernehmen traditionale Formen der kollektiven Entscheidungsfindung, Konfliktlösung und Gerichtsbarkeit nicht selten staatliche Aufgaben. Für die systematische Erforschung, welche Auswirkungen das Zusammenspiel von Staat und traditionaler Governance auf Demokratie und inneren Frieden hat, bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) der Konstanzer Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Holzinger das Reinhart Koselleck-Projekt „Traditionale Governance und moderne Staatlichkeit: Die Auswirkung ihrer Integration auf Demokratie und inneren Frieden“. Das fünfjährige Forschungsprojekt an der Universität Konstanz wird von der DFG mit einer Fördersumme von 1,25 Millionen Euro zuzüglich einer Programmpauschale von 250.000 Euro unterstützt.

Mit Katharina Holzingers Vorhaben wurde deutschlandweit erstmalig ein Forschungsvorhaben aus den Sozialwissenschaften mit einem Reinhart Koselleck-Projekt gefördert. Katharina Holzinger warb damit das insgesamt fünfte Reinhart Koselleck-Projekt an der Universität Konstanz in den vergangenen drei Jahren ein; sie wurde als erste Frau an der Universität Konstanz mit dem renommierten Förderprogramm für Pionierforschung ausgezeichnet.

Weltweit gibt es in vielen Staaten ethnische Bevölkerungsgruppen, die ihr inneres politisches Leben gemäß traditionaler Strukturen organisieren. Knapp 57% der Weltbevölkerung in 63 UN-Mitgliedstaaten leben in Rechtssystemen, in denen indigene Rechte in relevantem Umfang mit der staatlichen Gesetzgebung koexistieren. Gerade in Afrika sind traditionale Institutionen keineswegs strikt von staatlichen Institutionen abgegrenzt. „Traditionale Institutionen, die sich entlang von Ethnien konstituieren, sind in vielen afrikanischen Ländern noch besonders bedeutend: sowohl in Hinsicht auf ihren Umfang als auch bezogen auf ihre politische Bedeutung. In diesen Staaten koexistieren indigene Formen der Governance mit modernen staatlichen Formen“, schildert Katharina Holzinger. In vielen Fällen übernehmen solche traditionalen Institutionen staatliche Aufgaben – teils in Konkurrenz zum Staat, teils komplementär oder sogar verschränkt mit dem Staat.

Katharina Holzingers Forschungsprojekt untersucht, welche Konsequenzen das Zusammenspiel von traditionalen Strukturen und staatlichen Funktionen für die Entwicklung von Demokratie und innerem Frieden hat. „Ich habe außerdem die Vermutung, dass die starke Stellung traditionaler Institutionen in einem Staat in Zusammenhang steht mit seinen Wirtschaftsweisen und seiner Fähigkeit, sich auf moderne, globalisierte Marktwirtschaften einzulassen“, überlegt Holzinger. In einer weltweiten, quantitativen Untersuchung ermittelt Katharina Holzinger, welche Wechselbeziehung zwischen Staat und traditionaler Governance bestehen und welche Auswirkungen dies auf die demokratische Entwicklung des Staates hat. Mittels acht Länderfallstudien, die sich auf afrikanische Staaten konzentrieren, wird Holzinger ihre weltweiten Analysen vertiefen.

Systematische Analysen zur Einbindung von traditionaler Governance in den Staat existieren bislang kaum. „Es gibt ethnologische und soziologische Forschungen zu traditionalen Institutionen, aber es gibt bislang keine Forschung, die das Thema in einem größeren Maßstab erschließt, die weltweit systematisch vergleicht und die die Effekte auf Demokratie und Frieden ermittelt“, erklärt Holzinger. Mit ihrem Forschungsprojekt betritt die Politikwissenschaftlerin Neuland, insbesondere deshalb ist ihr Projekt ein Paradebeispiel für das Reinhart Koselleck-Förderprogramm: Die renommierten Reinhart Koselleck-Projekte werden von der DFG für innovative Wissenschaftsprojekte vergeben, die „in positiver Hinsicht besonders risikobehaftet“ sind. Hintergrund der Reinhart Koselleck-Projekte ist, herausragenden Forschern Freiräume für wissenschaftliche Pionierarbeit zu geben.

Katharina Holzinger ist Prorektorin für Gleichstellung und Internationales an der Universität Konstanz und Inhaberin der Konstanzer Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Bürgerkriege, die Theorie politischer Entscheidungsfindung und Konfliktlösung, die Europäische Union und internationale Umweltpolitik.