Kontext und Erinnerung

Presseinformation Nr. 72 vom 18. Juni 2013

Konstanzer Psychologen ergründen Funktionsweise des kontextgeprägten Gedächtnisses

Der Mensch erinnert sich leichter und effektiver, wenn die Begleitumstände beim Erinnern mit den Kontexten des erinnerten Ereignisses übereinstimmen: Die beiden Konstanzer Psychologen Dr. Tobias Staudigl und Dr. Simon Hanslmayr, Fellow des Zukunftskollegs der Universität Konstanz, wiesen in einer Studie die hohe Bedeutung von überlappenden Kontexten für den Erinnerungsprozess nach. Mittels einer magnetoenzephalographischen Untersuchung (MEG) konnten sie die Gehirnwellen bestimmen, die für das episodische Gedächtnis maßgeblich sind. Die Forschungsergebnisse wurden jüngst in der Wissenschaftszeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht.

Wie sehr das menschliche Gehirn seine Lerninhalte mit begleitenden situativen Kontexten verknüpft, konnten Tobias Staudigl und Simon Hanslmayr anhand ihrer aktuellen Studie aufzeigen. In der Studie wurden Teilnehmer dazu aufgefordert, sich eine größere Zahl an Wörtern einzuprägen. Zu jedem dieser Wörter wurde beim Einprägen eine kurze Videosequenz mit willkürlichen Bildszenen, ohne Ton, im Hintergrund abgespielt.

Nach einer Pause mussten die Teilnehmer die gelernten Begriffe wiedererkennen – nun allerdings mit zum Teil anderen Zuordnungen von eingespielter Videosequenz und Begriff. Die Auswertung der Studie zeigte auf, dass sich die Teilnehmer deutlich sicherer an die Begriffe erinnerten, wenn die begleitend eingespielten Videos beim Lernen und beim Erinnern jeweils identisch waren. „Es hat sich ein deutlicher Kontexteffekt gezeigt“, schildert Tobias Staudigl: „Unsere Teilnehmer erinnerten sich um bis zu zehn Prozent besser, wenn die Begleitumstände beim Lernen und Wiedererkennen der Wörtern identisch waren“, führt Staudigl aus.

Mittels einer Messung der magnetischen Aktivität des Gehirns (MEG) konnten die Konstanzer Forscher die zerebralen Mechanismen hinter dem kontextabhängigen Erinnern aufdecken. Ein Zusammenspiel aus langsam oszillierenden Theta-Gehirnwellen und schnellen Gamma-Wellen ist demnach besonders zuträglich für das episodische Gedächtnis – sofern die Begleitumstände beim Lernen und Wiedergeben übereinstimmen. Weichen die Kontexte jedoch voneinander ab, so führt das charakteristische Muster aus Theta- und Gamma-Wellen sogar zu schlechteren Erinnerungsleistungen. Offensichtlich richtet sich ein in diese Frequenzen „eingestimmtes“ Gehirn darauf ein, Erinnerungen entlang von Kontexten aufzurufen, und wird daher durch unpassende Kontexte eher irritiert.

Als künftigen Schritt in ihrer Forschung erwägen Hanslmayr und Staudigl zu untersuchen, inwiefern das episodische Gedächtnis durch äußere Stimulationen der Theta- und Gamma-Wellen angeregt werden kann. Doch auch ohne technische Stimulationen kann das Wissen um die kontextgeprägte Funktionsweise des episodischen Gedächtnisses hilfreich für die Lernleistung sein: „Es lohnt sich, die situativen Kontexte vorausschauend ins eigene Lernverhalten einzubeziehen. Wenn zum Beispiel eine mündliche Prüfung ansteht, wird es sinnvoll sein, das Verbalisieren ins Lernen zu integrieren. Ist die Prüfung hingegen ein Multiple Choice-Test, kann es das Gedächtnis unterstützen, wenn auch die Lernmethode an ein visuelles Wiedererkennen angeglichen wird“, rät Tobias Staudigl.

Originalpublikation:
Staudigl and Hanslmayr, Theta Oscillations at Encoding Mediate the Context-Dependent Nature of Human Episodic Memory, Current Biology (2013), http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2013.04.074