Das wahre Leben

Presseinformation Nr. 168 vom 27. November 2012

Filmemacher Shaheen Dill-Riaz recherchierte am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz für seinen neuen Afghanistan-Dokumentarfilm

In seinem neuen Dokumentarfilm „Schulter an Schulter“ porträtiert Shaheen Dill-Riaz zwei Soldaten, die im Afghanistan-Einsatz ihr Leben aufs Spiel setzen, und ihre Familien. Die Recherchen zu dem Projekt, das – jenseits politischer Debatten über Sinn und Unsinn des Einsatzes – einzelne Menschenschicksale in den Vordergrund stellt, führte Dill-Riaz während seines Aufenthalts als „Artist in Residence“ am Kulturwissenschaftlichen Kolleg Konstanz durch, das Teil des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ ist. Der Film, den das ZDF heute Nacht erstmals ausstrahlte, ist noch eine Woche in der ZDFmediathek zu sehen.

Es ist nicht sein Land, das er verteidigt, doch ist er von seiner Mission absolut überzeugt: „Es gibt hier richtig und es gibt falsch. Und ich denke, wir sind die Guten.“ Daniel S., selbstbewusst, muskulös, den Kopf kahl rasiert, hält den Afghanistan-Einsatz für das „wahre Leben. Zu Hause üben wir die ganze Zeit für genau das hier!“

Nicht weniger engagiert als der Hauptmann im deutschen Feldlager in Kunduz, doch musisch-verspielter tritt Mehdi M., Leutnant im drei Kilometer entfernten afghanischen Militärlager, auf. In seiner Freizeit hat er das weibliche Porträt von einer Shampoo-Flasche auf das Papier-Rollo seiner Unterkunft abgezeichnet. Seinen Oberarm überziehen Narben, nicht jedoch von Kampfhandlungen, sondern von wieder entfernten Tattoos: „Meine Initialen und die von einer, die ich geliebt habe.“

Eine bessere Besetzung der „Hauptrollen“ in seinem Porträt „Schulter an Schulter“ über einen deutschen und einen einheimischen Soldaten in Afghanistan hätte sich Shaheen Dill-Riaz nicht wünschen können. Dabei verzichtet er darauf, in der politischen Diskussion über den Einsatz Stellung zu beziehen. „Mich interessierte bei diesem Film in erster Linie das Alltägliche. Die zum Teil banalen Ereignisse in ihrem Alltag erzählen eine ganze Menge über das Leben meiner Protagonisten“, erklärt Dill-Riaz, der in seinen Dokumentationen Regisseur und Kameramann in einem ist. Er lenkt den Blick auf Männer, die vor Ort einfach ihren Job tun, und ihre Frauen, die mit der lebensgefährlichen Arbeit ihrer Gatten leben müssen.

Das macht auch sie für Dill-Riaz zu Heldinnen: Die Angst nicht zeigen, den Männern den Rücken frei halten, selbst „zurückstecken“, wie Sandra S. ihren Einsatz beschreibt. Oder, wie Marina während Mehdis monatelangen Abwesenheiten, als Frau in einem mehrheitlich islamischen Land allein leben. Ohne die Begleitung des Mannes stellen sie Situationen wie Krankheit der Kinder oder Notfälle in der Verwandtschaft vor schier unlösbare Aufgaben.

Weniger offensichtlich als bei dem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten „Eisenfresser“ von Shaheen Dill-Riaz laden die sehr persönlichen Nahaufnahmen dann doch zum Nachdenken über die Lage in Afghanistan ein: Wenn Mehdi M. sichtlich überforderte Rekruten für einen Checkpoint provisorisch ausbildet oder wenn er seinen Sohn fragt, warum auch er Soldat werden wolle. Wenn Daniel S. scheinbar abgeklärt über den Tod spricht und wenn der Filmschnitt sein Container-Dasein in Afghanistan mit dem behaglichen Wohnraum der Familie S. in Deutschland kontrastiert. Das „wahre Leben“ spielt für Soldaten und ihre Frauen an jeweils unterschiedlichen Schauplätzen, doch beide Schauplätze in Kombination definieren ihr Schicksal.

Shaheen Dill-Riaz wurde 1969 in Dhaka, Bangladesch, geboren. Er war Mitorganisator des International Short Film Festivals Dhaka und arbeitete als Filmjournalist in Bangladesch. 1992 kam er über ein Kultur-Stipendium des Goethe-Instituts Berlin nach Deutschland. Nach einem Studium der Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin begann er 1995 ein Kamerastudium an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg.

Sein dritter langer Dokumentarfilm „Eisenfresser“ (2008) wurde 2010 mit dem Grimme-Preis (Kategorie „Information & Kultur“) ausgezeichnet. Anschließend realisierte er „Korankinder“ (2009), „Der Netzwerker“ (2011), „Schulter an Schulter“ (2012) und „Der Vorführer“ (2012). Dill-Riaz arbeitet als freischaffender Autor, Regisseur, Kameramann und Produzent.

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