„Das Gehirn macht aus Psychologie Biologie“

Presseinformation Nr. 156 vom 6. November 2012

Am vergangenen Freitag lud das Kompetenznetzwerk Frühe Kindheit zu einem Referat zum Thema „Wie erwirbt das Kleinkind soziale Kompetenz? – Was wir von der Neurobiologie lernen können“ ein. Das Interesse am Vortrag von Prof. Dr. med. Joachim Bauer war so groß, dass er von der Aula der Kantonsschule Kreuzlingen in einen Seminarraum übertragen werden musste.

Joachim Bauer, Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut, erklärte zu Beginn seines Vortrages, wie Gene im Körper abgelesen werden. Anhand eines Gnus, das von einem Löwen bedroht wird, erklärte Bauer, was im Körper und Gehirn des Gnus vorgeht. Auf die Bedrohung, die das Gnu wahrnimmt, zeigt der Körper eine physische Reaktion und es versucht dem Löwen zu entkommen. „Aus Psychologie wird Biologie“, erläutert Bauer. Falls das Gnu die Löwenattacke überlebt, ist es wichtig, dass die stressauslösenden Gene wieder heruntergefahren werden können, denn der Dauerstress würde die Nervenzellen beschädigen. Die Umwelt und soziale Einflüsse können diese sogenannte Genregulation bei Mensch und Tier erleichtern oder verhindern und stören.

Umwelteinflüsse entscheidender als die genetischen Voraussetzungen

Laut Bauer verfügen fast alle Menschen bei der Geburt über den gleichen Gencode. Entscheidend ist, wie die Genregulatoren durch die Umwelt beeinflusst werden. Gute emotionale und soziale Erfahrungen bilden die Voraussetzung für eine gute soziale und intellektuelle Entwicklung. Positive Beziehungserfahrungen begünstigen das Hirnwachstum und die kognitive Entwicklung. Unterstützend wirken neben geschenkter Beachtung, Zugehörigkeitsgefühlen und zärtlichen Berührungen, die auf keinen Fall missbräuchlich sein dürfen, auch Musik und Bewegung. „Ein Gehirn kann mit seinem Befinden das Gehirn eines anderen Menschen beeinflussen“, so Bauers These. „Wenn wir sehen, wie einem anderen Menschen Schmerz zugefügt wird, dann fühlen wir mit. Dein Schmerz ist mein Schmerz.“ Die Haltung eines Erwachsenen zu einem Kind nimmt das Kind auf. Bauer nennt dies Resonanz. Das führt dazu, dass die positive Einstellung eines Erwachsenen gegenüber einem Kind in diesem Resonanz erzeugt. Dadurch erfüllt sich die positive Vorstellung und ermöglicht dem Kind Entwicklung.

Vernetzen von Personen und Wissen

Vor dem Referat trafen sich bereits zum dritten Mal die Partner des „Kompetenznetzwerks Frühe Kindheit“. Im Zentrum der Tagung standen der Erfahrungsaustausch und die Vernetzung unter den Partnern. Nach der Begrüßung von Claudio Zingg, Prorektor für Weiterbildung und Dienstleistungen der PHTG, teilten sich die Teilnehmenden in sechs verschiedene World Café-Gruppen auf. Diskutiert wurden die inhaltlichen Schwerpunkte im Bereich der frühen Kindheit, die im Moment in Lehre, Forschung und Entwicklung im Vordergrund stehen. Ein weiteres Gesprächsthema bildete die Frage, wie das Kompetenznetzwerk auftreten muss, damit die wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Praxis nachhaltig nutzbar gemacht werden können.

Kompetenznetzwerk Frühe Kindheit

Die Universität Konstanz, die Pädagogische Hochschule Thurgau, das Marie Meierhofer-Institut für das Kind in Zürich und die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklink Ulm sind die Kernpartner des Kompetenznetzwerks Frühe Kindheit. 15 weitere Institutionen aus der Schweiz und aus Deutschland sind Kooperationspartner. Das Netzwerk lädt Expertinnen und Experten ein, Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis zu bauen und die dafür nötige Umsetzungsarbeit zu leisten.

Weitere Informationen unter: www.fruehekindheit.ch