Angela Volino

Angela Volino (26) hat im Wintersemester 2003/2004 an der Universität Konstanz ihr Jurastudium begonnen. Nach ihrem Ersten Staatsexamen ist ein engagierter Dozent auf sie aufmerksam geworden und hat sie für eine Doktorandenstelle vorgeschlagen. Seit 2008 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl für Öffentliches Recht, wo sie unter anderem Arbeitsgemeinschaften für Studienanfänger/-innen leitet. Nach Abschluss ihrer Doktorarbeit wird sie im Oktober 2010 für ein Jahr in England studieren.

Elisabeth Krämer

Elisabeth Krämer (23), geboren in Bad Mergentheim, hat dort 2005 die Mittlere Reife abgeschlossen. Anschließend beendete sie 2007 am Schlossgymnasium Künzelsau die allgemeine Hochschulreife mit künstlerisch-literarischem Zug. Seitdem studiert sie Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz und befindet sich momentan im fünften Semester. Während ihres Studiums sammelte sie Praxiserfahrungen im Bundestag im Bereich Bildungspolitik, an der Pressestelle der Deutschen Botschaft in London, bei Sat.1 Bayern/N24 und der Süddeutschen Zeitung in München.

Jennifer Fritz

Jennifer Fritz (23) hat im Wintersemester 2005/06 an der Universität Konstanz ihr Studium begonnen. Nachdem sie ihren Bachelor in British and American Studies und Geschichte abgeschlossen hat, absolviert sie nun ihr Masterstudium in Geschichte. Seit 2006 ist sie Hilfswissenschaftlerin am Lehrstuhl Frühe Neuzeit, wo sie unter anderem auch ein Tutorium gegeben hat. 2007 war sie für ein Auslandssemester am University College Cork und 2010 war sie für ein Praktikum beim Deutschen Historischen Institut in London.

Weiterführende Links:

Website Arbeiterkind.de

In Deutschland lässt sich noch immer die Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind studieren wird, am Bildungsstand der Eltern ablesen. Die Initiative „ArbeiterKind.de“ will Schüler aus nicht-akademischen Familien zur Aufnahme eines Hochschulstudiums ermutigen. „Im Gespräch“ hat Angela Volino, Elisabeth Krämer und Jennifer Fritz, die sich für „ArbeiterKind.de“ engagieren, nach Details gefragt.

Ist es um die berufliche Zukunft von Arbeiterkindern an der Universität Konstanz derart schlecht bestellt, dass Sie mit „ArbeiterKind.de“ aktiv werden mussten?

Angela Volino: Studierende mit nicht akademischem Hintergrund empfinden den Wechsel von der Schule an die Universität oft als besonders schwierig, da ihr familiäres Umfeld nicht von eigenen Erfahrungen berichten kann. Wir von „ArbeiterKind.de“ möchten daher vor allen Dingen unsere eigenen Erfahrungen weitergeben. Ich möchte Studierende dazu ermuntern, die Zeit während des Studiums auch für den Erwerb zusätzlicher Qualifikationen zu nutzen, die bei einer späteren Bewerbung ins Gewicht fallen können. Dazu gehören insbesondere Sprachkenntnisse, die zum Beispiel während eines Auslandssemesters verbessert werden können. Ferner sollte man sich trauen, in den Vorlesungen und Seminaren vor einer großen Gruppe zu sprechen. Später im Berufsleben sind rhetorische Fähigkeiten sehr wichtig.

Elisabeth Krämer: Als ich von der Initiative Arbeiterkind erfahren habe, stand ich selbst noch am Anfang meines Studiums. Damals hatte ich (auch aus einem Nicht-Akademiker-Haushalt stammend) mit den anfänglichen Hürden des Studenten-Daseins zu kämpfen. Jedoch konnten mir meine Geschwister durch ihre Erfahrungen mit einem Hochschulabschluss den Rücken stärken und mir viele wichtige Fragen beantwortet. Da wurde mir klar, was für ein hilfreicher Wegbegleiter die Initiative Arbeiterkind für Studierende und Schüler sein kann, die als erste ihrer Familie einen Hochschulabschluss anstreben. Dies motivierte mich, in Konstanz eine Gruppe der Bundesinitiative auf die Beine zu stellen. Wie genau es um Arbeiterkinder in Konstanz bestellt ist, ist schwer zu evaluieren. Fakt ist: Arbeiterkinder gibt es überall und mit ihnen die Barrieren, die sie zu überwinden haben. Wir wollen helfen, diese Barrieren zu überwinden.

Jennifer Fritz: Das ist natürlich nicht nur ein Problem an der Universität Konstanz, sondern ein deutschlandweites Problem. Deshalb gibt es „ArbeiterKind.de“ ja auch deutschlandweit. Wir wissen durch statistische Erhebungen und die Arbeit an Schulen, dass sich immer noch viele Arbeiterkinder, die das Potenzial zum Studieren hätten, durch ihre finanziell schlechtere Situation von einem Studium abhalten lassen. Wir wissen aber auch, dass Deutschland dieses Potenzial nutzen muss, dass wir jeden klugen Kopf brauchen können.

 

Sind Sie auf Verständnis gestoßen, als Sie sich der bundesweiten Initiative „ArbeiterKind.de“ angeschlossen haben, oder gab es auch Unverständnis?

Elisabeth Krämer: Viele, denen ich von der Initiative erzählte, fanden es eine tolle Sache, sie bestärkten mich in meinem Engagement. Auffallend ist, dass meist Menschen, die selbst betroffen sind oder waren oder sich durch Verwandte, Bekannte oder Freunde mit dem Thema beschäftigten, es sehr positiv aufnehmen. Die wenigen, von denen Unverständnis kommt, sind sich oft nicht bewusst, welche unnötigen Zweifel Arbeiterkinder gegenüber einem Studium haben. Einmal meinte ein Student zu mir: „Es können eben nicht alle Menschen studieren, die andere Arbeit muss auch von jemandem getan werden.“ Doch dieses Argument ist für unsere Initiative völlig unpassend. Deutschland wird auch in Zukunft viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte brauchen. Wir möchten niemandem ein Studium aufzwingen, wir möchten nur die Option stellen, denn leider beginnt die Arbeiterkind-Problematik oft schon beim Informationsmangel. Jeder sollte sich für die Ausbildung entscheiden können, die seinen Fähigkeiten und Talenten am meisten gerecht wird. In vielen Kindern aus Arbeiterfamilien steckt hohes Potenzial. Wenn dieses durch Hindernisse wie Bildungsfinanzierung brach liegt, schneidet sich Deutschland ins eigene Fleisch. Zudem ist für mich persönlich Chancengleichheit selbstverständlich. Dort wo sie noch nicht angekommen ist, kann jeder ein bisschen nachhelfen.

 

In welchem Alter werden Ihren Erkenntnissen zufolge die Weichen für die berufliche Zukunft eines Kindes gestellt?

Angela Volino: Ich weiß nicht, ob man das wirklich an einem bestimmten Alter festmachen kann, da die Entwicklung jedes Kindes anders verläuft. Ursprünglich sollte „ArbeiterKind.de“ hauptsächlich Oberstufenschüler/-innen und Studierende ansprechen. Inzwischen gehen aber einige von uns auch an Real- und Hauptschulen, um dort generelle Bildungsperspektiven aufzuzeigen. Es geht aber natürlich auch darum zu zeigen, wie man langfristig eine Hochschulzugangsberechtigung erreichen kann. In unserem Schulsystem werden zwar streng genommen die Weichen in der Grundschule gestellt. Das heißt aber nicht, dass Kinder, die auf der Real- oder Hauptschule waren, nicht doch noch ihr Abitur machen könnten.

Persönlich möchte ich noch ergänzen, dass Kinder von Natur aus wissbegierig sind. Aufgabe der Eltern sollte es sein, die natürliche Freude ihrer Kinder am Lernen zu unterstützen und zu fördern. Unser Schulsystem mag an der einen oder anderen Stelle verbessert werden können, unsere Schulen bieten aber insgesamt eine gute bis sehr gute Ausbildung, sodass schulischer Erfolg nicht vom Bildungsstand der Eltern abhängen muss.

 

Woher wissen Sie, wer Arbeiterkind ist und Ihre Unterstützung braucht?

Jennifer Fritz: Grundsätzlich schließen wir keinen von der Hilfe durch „ArbeiterKind.de“ aus, auch wenn hauptsächlich Arbeiterkinder unsere Zielgruppe sind. Auch unter den Mentoren sind ja Kinder aus Akademikerfamilien.
Die Arbeiterkinder an der Universität Konstanz melden sich meist direkt bei uns oder über unsere Gründerin Katja Urbatsch, die diese Anfragen dann an uns weiterleitet.

Wir bieten unsere Hilfe öffentlich an, indem wir mit Flyern auf uns aufmerksam machen. Schwierig ist es natürlich, alle Arbeiterkinder zu erreichen, die Probleme haben. Wir gehen aber nicht gezielt auf die Suche.

 

In einer Medienmitteilung haben Sie geschrieben, dass neben der finanziellen Belastung auch das große Informationsdefizit, das Abiturienten aus Familien ohne Studienerfahrung haben, mit verantwortlich ist für den relativ geringen Anteil von studierenden Arbeiterkindern. Lässt sich das allein über einen intensivierten Kontakt mit Arbeiterkindern beziehungsweise Abiturienten regeln, oder müssen Sie auch den Kontakt zu deren Eltern suchen?

Angela Volino: In der letzten Zeit haben wir uns im Rahmen der Konstanzer Gruppe auch mit dieser Frage beschäftigt. Ich halte es für sehr sinnvoll und notwendig, dieses Informationsdefizit auszugleichen und Eltern über Studium, Berufschancen ihrer Kinder etc. zu informieren. Wir planen daher für das kommende Semester in Konstanz auch eine Veranstaltung für Eltern.

Uns ist besonders wichtig weiterzugeben, dass finanzielle Gründe die letzten sein müssen, die einem Studium entgegenstehen. Bei einer Umfrage an einer Schule gaben zwar viele Arbeiterkinder an, studieren zu wollen, nur etwa die Hälfte davon hatte aber das Gefühl, dass dies ihren Eltern wichtig sei. In persönlichen Gesprächen gaben einige Finanzierungsangst als Grund an. Ein Studium zahlt sich aber finanziell aus. Der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften steigt, sodass Akademiker kaum von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

 

Welche Aktivitäten bietet die Initiative „ArbeiterKind.de“ genau an?

Elisabeth Krämer: Hier muss zwischen Bundesinitiative und den Ortsgruppen unterschieden werden. Die Bundesinitiative unter der Leitung der Gründerin Katja Urbatsch kümmert sich hauptsächlich um die Koordination der verschiedenen Ortsgruppen, welche über Internet in einem Forum miteinander vernetzt sind. Zudem stellt deren Webseite www.arbeiterkind.de eine Informationsplattform dar, auf der allerhand Tipps zum Studium zu finden sind. Die Aktivitäten der Ortsgruppen sind nicht genau festgelegt. Wir in Konstanz gehen in Kleingruppen an Schulen, informieren Schüler, zeigen ihnen Vorzüge eines Studiums auf und beantworten Fragen aller Couleur. An der Universität versuchen wir Studenten zu erreichen, um ihnen im „Unidschungel“ weiterzuhelfen. Dafür kann man sich bei uns als Mentor eintragen lassen, egal ob als Student, Doktorand, Dozent oder Angestellter der Uni. Diese Mentoren werden von uns an die Hilfe suchenden Studierenden vermittelt.

Manchmal reicht es auch schon, wenn Interessierte zu einem unserer regelmäßigen Treffen kommen. Dort wird in geselliger Runde über Probleme, Fragen und neue Ideen für die Gruppe gesprochen. Auch auf Veranstaltungen wie den Studien-Informationstagen sind wir mit einem Stand persönlich anzutreffen.

 

Haben Sie auch die Möglichkeit, Arbeiterkinder finanziell während Ihres Studiums zu unterstützen?

Jennifer Fritz: Leider haben wir diese Möglichkeit im Moment noch nicht. So viel ich weiß, ist das aber ein langfristiges Ziel. Besser wäre es natürlich, dass das Stipendien- und Bafög-System ausgebaut werden würde und wir diese Arbeit gar nicht übernehmen müssten. Viele Studenten, die Bafög brauchen würden, bekommen keines. Und sehr viele Studenten, die ein Stipendium bekommen könnten, bewerben sich gar nicht dafür, weil sie denken, sie wären nicht gut genug. Dass man nur mit einem sehr guten Notendurchschnitt Chancen auf ein Stipendium hat, ist leider immer noch ein weit verbreitetes Gerücht. Dass soziales Engagement einiges ausgleicht, ist dafür oft weniger bekannt.

 

Haben Sie einen Überblick, wie viele Kinder aus Arbeiterfamilien an der Uni Konstanz studieren?

Jennifer Fritz: Sofern ich das abschätzen kann, haben wir an der Uni Konstanz weniger als die 20 Prozent Arbeiterkinder im Bundesdurchschnitt. Das liegt aber weniger an der Universität als an den hohen Lebenshaltungskosten.

Angela Volino: Eine statistische Erhebung des Deutschen Studentenwerkes von 2008 ergab, dass von 100 Arbeiterkindern, 46 das Abitur ablegen und davon (nur) 23 studieren. Bei den Akademikerkindern sind es 83 von 100. Bei unseren Schulbesuchen hat sich dieses Bild bestätigt. An diesen Zahlen sieht man, wie wichtig unsere Arbeit in der gymnasialen Oberstufe ist.

 

Haben Sie und Ihre Kollegen sich ein Ziel gesetzt, wie hoch der prozentuale Anteil der Arbeiterkinder an der Gesamtzahl der Studenten der Uni Konstanz werden soll?

Angela Volino: Unser Wunsch wäre es, dass alle Arbeiterkinder, die studieren möchten und sich für ein Studium eignen, sich in Konstanz oder an einer anderen Universität im In- oder Ausland einschreiben. Wir bieten übrigens auch Tipps zur Studienwahl und unterstützen Abiturienten/-innen bei der Bewerbung um einen Studienplatz.

 

Die Konstanzer Gruppe „ArbeiterKind.de“ besteht seit mehr als einem Jahr. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?

Elisabeth Krämer: Ich würde sagen, wir kommen gut voran. In unserer Gruppe hat sich ein harter konstruktiv arbeitender Kern gebildet, der aktiv ist. Auch die Vermittlung zahlreicher Mentoren funktioniert gut, mehr von ihnen werden wir uns immer wünschen.

Im vergangenen Jahr besuchten wir einige Schulen in Konstanz und Umgebung, in denen unser Auftritt auf positive Resonanz der Schüler- und Lehrerschaft stieß. Arbeiterkinder in der Universität zu erreichen ist immer noch eine Herausforderung, der wir uns aber mit neuen Ideen gerne stellen. Für das Sommersemester haben wir schon einige Pläne, wie auch Eltern in unsere Informationsveranstaltungen mit einbezogen werden können.

Jeder, der sich mit uns für die Belange von Nicht-Akademiker-Kindern einsetzen möchte, ist bei uns immer sehr willkommen. Auch für alle anderen Interessierten haben wir ein offenes Ohr. Wir freuen uns auch über Anfragen von Lehrern, Schülern und Eltern und kommen gerne an Gymnasien in Konstanz und Umgebung.