KIK   Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung
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IV. Kriminalität im Lebenslängsschnitt junger Menschen

1. "Normalität" von Jugendkriminalität im statistischen Sinne

Nach den Ergebnissen der Dunkelfeldforschung 174 muss, jedenfalls bezogen auf männliche Jugendliche und auf den Gesamtbereich aller Taten, die übliche Scheidung in Kriminelle und Nichtkriminelle aufgegeben werden zugunsten der Vorstellung eines Kontinuums, an dessen einem Ende die Mehrzahl der Jugendlichen mit wenigen und leichten Delikten steht, an dessen anderem Ende sich relativ wenige Jugendliche mit vielen und/oder schweren Delikten befinden. Jugendkriminalität ist nämlich im statistischen Sinne "normal" (vgl. Übersicht 15). Über 80% aller Befragten175 und "im Schnitt über 90% der mit Befragungen erfassbaren Jungen und jungen Männer geben an (bzw. zu), mindestens einmal in ihrem seitherigen Leben, regelmäßig jedoch wiederholt, Handlungen begangen zu haben, die juristisch unter eine Strafnorm des Strafgesetzbuchs oder eines Gesetzes aus dem sog. Nebenstrafrecht ... subsumiert werden könnten."176 Für den unteren und teilweise für den mittleren Schwerebereich der Kriminalität177 - einfache Diebstähle, Unterschlagung, Betrügereien, Schlägereien, Schwarzfahren, Hausfriedensbrüche, Vandalismus, Drogenbesitz usw. - gilt, dass es im statistischen Sinne "normal" ist, im Jugendalter zu delinquieren. Straffälligkeit ist kein Minderheitenphänomen. "Sie gerät zum üblichen Lebensrisiko junger Männer in unseren spätindustriellen Massengesellschaften."178 Das Hineinwachsen junger Menschen in die Sozial- und Rechtsordnung ist offenbar konfliktbehaftet. Zu diesem Prozess des Hineinwachsens gehört auch der Konflikt in Form des Verstoßes gegen Strafrechtsnormen 179. Insofern ist Jugendkriminalität - im Bereich der Massen- und Bagatellkriminalität - ein alters- bzw. entwicklungstypisches Phänomen. Diese allgemeine Verbreitung (Ubiquität) bagatellhafter oder leichter jugendtypischer Verfehlungen steht jedoch in Widerspruch zur alltagstheoretischen Annahme, Verstöße gegen Strafnormen seien immer oder doch regelmäßig Symptome für manifeste Erziehungsdefizite.

Übersicht 15: Dunkelfeldkriminalität - Prävalenzraten delinquenten Verhaltens
300 Befragte im Alter von 14 bis 20 Jahren, Mannheim, 1991

Deliktsgruppen
Lebenszeit Letztes Jahr
N % n %
Eigentums-/Vermögensdelikte ohne Softwarepiraterie 165 55,0 62 20,7
Eigentums-/Vermögensdelikte mit Softwarepiraterie 189 63,0 94 31,3
Gewaltdelikte (z.B. Graffiti, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Schlägerei) 143 47,7 65 21,7
Rauschgiftdelikte 44 14,7 21 7,0
Andere Jugenddelikte (z.B. Fahrgeldhinterziehung, Fahren ohne Fahrerlaubnis) 208 69,3 107 35,7
Prävalenzrate (einschl. Betrug, aber ohne Alkohol und Problemverhalten, wie z.B. Schulschwänzen) 247 82,3 153 51,0

Quelle: Sutterer, Peter; Karger, Thomas: Selfreported Juvenile Delinquency in Mannheim, Germany, in: Junger-Tas, J.; Terlouw, G.J.; Klein, M. W. (eds): Delinquent Behavior among Young People in the Western World: First Results of the International Self Report Delinquency Study, Amsterdam 1994, 164, Tab. 2.

Erhebliche Unterschiede bestehen aber in Verbreitung, Struktur und Intensität (vgl. oben Übersichten 11 und 15). Die Verübung schwerer Delikte ist die Ausnahme. Mit steigender Deliktsschwere und -häufigkeit wächst die Wahrscheinlichkeit polizeilicher Registrierung (vgl. Übersicht 16 180. Die Zunahme der "Wahrscheinlichkeit" heisst freilich, dass selbst von den Hochbelasteten nur ein kleiner Teil ermittelt wird. Unter dem Gesichtspunkt der Häufigkeit der Deliktsbegehung bedeutet dies zum einen, dass auch Einmaltäter im Bagatellbereich gelegentlich "erwischt" werden, zum anderen, dass nur ein Teil der Mehrfachtäter ermittelt wird, und zwar nach den vorliegenden Ergebnissen selbst von den Vielfachdelinquenten der kleinere Teil. Nach den vorliegenden Ergebnissen ist die Polizeiauffälligkeit selbst bei den Höchstbelasteten (bei Bagatelldelikten) die Ausnahme. Unter dem Gesichtspunkt der Deliktsschwere bietet sich ein ähnliches Bild181 .

Übersicht 16 Polizeiauffälligkeit und Begehungshäufigkeit bei ausgewählten Delikten
Delinquenzbefragung bei Studienanfängern im Wintersemester 1990/91 in Jena, Potsdam und Gießen
  Männer (N = 1.519) Frauen (N = 1.718)
Selbst-
berichtete
Fälle
Polizeilich
auffällig
Rate
Polizei-
auffälligk.
Selbst-
berichtete
Fälle
Polizeilich
auffällig
Rate
Polizei-
auffälligk.
N N % N N %
Ladendiebstahl
1 mal 274 7 2,6 290 4 1,4
2-5 mal 276 4 1,4 248 7 2,8
6-10 mal 70 0 0,0 56 2 3,6
über 10 mal 71 7 9,9 48 8 16,7
insgesamt 691 18 2,6 642 21 3,3
Fahren ohne Führerschein
1 mal 197 2 1,0 266 2 0,8
2-5 mal 379 6 1,6 324 0 0,0
6-10 mal 93 0 0,0 63 0 0,0
über 10 mal 140 3 2,1 57 0 0,0
insgesamt 809 11 1,4 710 2 0,3
Trunkenheitsfahrt
1 mal 211 1 0,5 150 0 0,0
2-5 mal 240 4 1,7 117 0 0,0
6-10 mal 95 4 4,2 41 0 0,0
über 10 mal 139 3 2,2 23 0 0,0
insgesamt 685 12 1,8 331 0 0,0
Schwarzfahren
1 mal 120 0 0,0 227 0 0,0
2-5 mal 371 3 0,8 449 3 0,7
6-10 mal 233 3 1,3 235 0 0,0
über 10 mal 568 20 3,5 456 9 2,0
insgesamt 1292 26 2,0 1367 12 0,9

Quelle: Kreuzer, Arthur; Görgen, Thomas; Krüger, Ralf; Münch, Volker; Schneider, Hans: Jugenddelinquenz in Ost und West, Mönchengladbach 1993, S. 168.

Es ist indes - ebenfalls im statistischen Sinne - "anormal", erwischt und strafrechtlich verfolgt zu werden. Speziell für solche Straftaten, an denen vor allem junge Menschen beteiligt sind, zeigen neue Untersuchungen, dass wahrscheinlich nicht mehr als 10% aller Delinquenten auch erwischt werden. Knapp 10% aller Dunkelfelddelinquenten einer 1991 befragten repräsentativen Stichprobe von Jugendlichen und Heranwachsenden (14 bis 20jährige) in Mannheim hatten deshalb einen Polizeikontakt182. Eine repräsentative Befragung von Jugendlichen in Bielefeld und Münster hinsichtlich der bei dieser Altersgruppe quantitativ bedeutsamsten Deliktsbereiche (einfacher und schwerer Diebstahl, einfache und gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Betrug) ergab, dass von diesen erfragten Delikten (nach Auskunft der Jugendlichen) insgesamt nur knapp 5% der Polizei bekannt geworden waren (vgl. Übersicht 17a, 17b). Diesen Ergebnissen zufolge blieb gut ein Viertel aller Straftaten Jugendlicher gänzlich unentdeckt, ein weiteres Drittel wird nur den Freunden bekannt und gut ein Drittel gelangt zur Kenntnis von Eltern, Lehrern oder sonstigen Autoritätspersonen.

Übersicht 17a: Verteilung der Delikte im Dunkel-, Hell- und Kontrollfeld
nach Reichweite der Information und des Deliktstypus (in % der Delikte; N = 1.912)
Delinquenzbefragung 13-17jähriger deutscher Jugendlicher in Bielefeld und Münster 1986/87
  Gesamtdelinquenz
(N = 1.912 Delikte, 100%)
Absolutes Dunkelfeld 27,7%
(N = 529)
Gesamtes Hellfeld
(N = 1.383, 100%
Reichweite der
Information bis zu ...

Freunden


36,1%
(N = 690)


49,9%
Kontrollfeld
( N = 648, 100%)

Eltern
22,7%
(N = 434)
31,3% 67,0%
Lehrern/Vorgesetzten 6,6%
(N = 127)
9,2% 19,6%
Polizei 4,6%
(N = 87)
6,3% 13,4%
Andere 2,3%
(N = 45)
3,2% ---

Quelle: Karstedt-Henke, Susanne; Crasmöller, Bernhard: Informationen über Delinquenz im informellen Netzwerk Jugendlicher, in: Kaiser, G.; Kury, H.; Albrecht, H.-J. (Hrsg.): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, Kriminologische Forschungsberichte, Bd. 35/2, Freiburg i.Br. 1988, S. 709.

Übersicht 17b: Bekanntwerden von Dunkelfelddelinquenz im Jugendalter
nach Reichweite der Information und des Deliktstypus (in % der Täter; N = 685)
Delinquenzbefragung 13-17jähriger deutscher Jugendlicher in Bielefeld und Münster 1986/87
  Deliktstypus
Reichweite der Information bis zu ... Sachbeschädigung Körperverletzung Vorteilsdelikte
Freunden 65,9 28,6 42,9
Eltern 22,8 40,2 41,9
Lehrern/Vorgesetzten 7,3 28,0 4,2
Polizei 4,1 3,2 11,0

Quelle:Karstedt-Henke, Susanne; Crasmöller, Bernhard: Informationen über Delinquenz im informellen Netzwerk Jugendlicher, in: Kaiser, G.; Kury, H.; Albrecht, H.-J. (Hrsg.): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, Kriminologische Forschungsberichte, Bd. 35/2, Freiburg i.Br. 1988, S. 712.

Diese Größenordnung wird bestätigt durch die Ergebnisse einer Befragung von Studenten, bei der lediglich 7,3% der Befragten angaben, von der Polizei aufgrund delinquenten Verhaltens, insbesondere wegen Ladendiebstahls, Unfallflucht oder Sachbeschädigung, belangt worden zu sein183. Einschränkend muss freilich hinzugefügt werden, dass diese Befunde nicht verallgemeinerbar sind, denn es handelt sich hierbei um eine Feststellung, die für bestimmte Delikte getroffen worden ist, wobei diese Delikte die Besonderheit aufweisen, dass entweder die Entdeckungswahrscheinlichkeit (z.B. Ladendiebstahl, Betrug) oder die Anzeigebereitschaft (z.B. einfache Körperverletzung, Betrug) und/oder die Aufklärungswahrscheinlichkeit (1999 z.B. einfacher Diebstahl, ohne Ladendiebstahl: 21,2%; schwerer Diebstahl: 14,4%; Sachbeschädigung: 27,4%) sehr gering ist. Dies wiederum heißt, dass Jugendkriminalität überwiegend im Dunkelfeld bleibt, dennoch - oder gerade deshalb - kommt es in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle nicht zu einer "kriminellen Karriere". Ein gegen Strafnormen verstoßendes Verhalten bleibt für die weit überwiegende Zahl der Jugendlichen Episode im Rahmen ihres Reifungs- und Anpassungsprozesses. "Es werden also nur wenige erwischt, fast alle aber hören auf, auch ohne verfolgt worden zu sein." 184

2. Episodenhaftigkeit von Jugendkriminalität im Lebenslängsschnitt

Die Fokussierung auf Jugendkriminalität dürfte eine Folge alltagstheoretischer Annahmen sowohl hinsichtlich der künftigen "Gefährlichkeit" (Jugendkriminalität als Einstiegskriminalität) als auch hinsichtlich der besonderen Formbarkeit junger Menschen und der deshalb als besonders aussichtsreich angesehenen Interventionsmöglichkeiten sein.

Die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben ergeben, dass die Befürchtung, Jugendkriminalität von heute werde die Erwachsenenkriminalität von morgen sein, in dieser Allgemeinheit nicht begründet ist. Es hat sich nämlich gezeigt, dass justizielle Auffälligkeit wegen jugendtypischer Verfehlungen - im Regelfall - im Lebenslängsschnitt ein nicht häufig (Episode) oder allenfalls ein in einem zeitlich begrenzten Lebensabschnitt gehäuft auftretendes Ereignis ist (passageres Phänomen). Justizielle Auffälligkeit mündet also im Regelfall nicht in eine kriminelle Karriere. "Die Altersabhängigkeit der Straffälligkeit Jugendlicher und ein häufiger Spontanabbruch krimineller Aktivitäten selbst nach wiederholter offizieller Auffälligkeit stehen ... außer Frage."185

  1. Dass registrierte Jugendkriminalität im Regelfall nur in einem zeitlich begrenzten Lebensabschnitt gehäuft auftritt, wird belegt durch einen Vergleich der seit über 100 Jahren vorliegenden Kriminalstatistiken (vgl. Schaubild 9). Diese Alterskurven weisen eine ausgeprägte "Linksschiefe" auf, d.h. die Kriminalitätsbelastung steigt zunächst recht steil an, erreicht bei den Heranwachsenden und Jungerwachsenen ihren Gipfel, fällt danach relativ stark wieder ab und läuft ab dem 35. Lebensjahr allmählich aus. Daraus folgt, dass sich der Anstieg der Jugendkriminalität nicht weit in das Vollerwachsenenalter hinein fortsetzt. Zwar ist zu berücksichtigen, dass Vollerwachsene wahrscheinlich mehr und bessere Chancen haben im Dunkelfeld zu bleiben als jüngere Täter. Aber dennoch lässt der deutliche Rückgang der Kriminalitätsbelastung bei der Gruppe der Vollerwachsenen darauf schließen, dass ein Großteil des registrierten kriminellen Verhaltens junger Menschen auf diese Altersphase beschränkt bleibt.
  2. Die Episodenhaftigkeit registrierter Jugendkriminalität wird zweitens belegt durch Untersuchungen über die spätere Auffälligkeit polizeilich registrierter Ersttäter bzw. über die von der Jugendgerichtshilfe betreuten Personen, die zeigen 186, dass
    • die überwiegende Zahl (zwischen 53% und 69%) der jugendlichen Tatverdächtigen nur einmal registriert wird;
    • zwischen 78% und 92% der registrierten jugendlichen Tatverdächtigen Einmal-, Zweimal- oder Dreimaltäter sind, die nur in einer bestimmten Altersphase ihrer Entwicklung kriminelles Verhalten zeigen;
    • nur ein kleiner Teil (zwischen 2% und 14%) sämtlicher polizeilich registrierten Tatverdächtigen mehr als fünfmal erfasst wird (vgl. Übersicht 18).

Übersicht 18: Jugendliche Tatverdächtige nach der Häufigkeit polizeilicher Registrierung
(kumulierte Prozente)
  Krüger Weschke/
Krause
Steffen/
Czogalla
Walliser
N=2.992 N=4.769 N=2.264 N=2.595 N=762.705
1 mal 69,5 53,3 59,1 57,3 63,0
Bis zu 2 mal 85,0 69,6 76,0 74,1 79,0
Bis zu 3 mal 92,3 78,2 83,0 82,2 85,8
Bis zu 4 mal 96,1 83,3 89,5
Bis zu 5 mal 98,7 86,4 90,2 89,6 91,9

Quelle:Krüger, Horst: Rückfallquote: rund 30 Prozent. Massenstatistische Beobachtungen der Rückfallkriminalität ausgesuchter Altersgruppen. Kriminalistik 1983, 326 ff.;
Weschke, Eugen; Krause, Wolfgang: Auswertung polizeilicher Unterlagen in Berlin über Kinder, Jugendliche und Heranwachsende des Jahrgangs 1953, in: Autorengruppe Jugenddelinquenz (Hrsg.): Handlungsorientierte Analyse von Kinder- und Jugenddelinquenz, Berlin, 2. Aufl., 1984, 211 ff.;
Steffen, Wiebke; Czogalla, Peter-Paul: Intensität und Perseveranz krimineller Verhaltensweisen. Untersuchung der Möglichkeiten des datenmäßigen Abgleichs von Täterbegehungsmerkmalen zur Fallzusammenführung. Teil II, Kriminologische Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei, Bayerisches Landeskriminalamt München 1982, 40 ff.;
Walliser, Fritz: Personenauskunftsdatei (PAD), Falldatei (MOD) und Perseveranztheorie. Gedanken zum (kriminal-)polizeilichen Meldedienst, Kriminalistik 38, 1984, 322 ff.

Dasselbe Bild zeigen Kohortenuntersuchungen von justiziell registrierten Personen (vgl. Übersicht 19).187 89,9% der männlichen und 97,4% der weiblichen Jugendlichen wiesen nicht mehr als 2 Eintragungen im Bundeszentralregister auf.

Übersicht 19:Anzahl der Eintragungen im Bundeszentralregister (Erziehungsregister und Zentralregister) bei Angehörigen des Geburtsjahrgangs 1967 am Ende des Jugendalters
Zahl der Eintragungen Männer Frauen Anteil der Frauen an Eintragungen insg.
N % Kumulierte % N % Kumulierte %
1 65.804 72,9 72,9 22.892 89,2 89,2 25,8
2 15.329 17,0 89,9 2.099 8,2 97,4 12,0
3 5.255 5,8 95,8 464 1,8 99,2 8,1
4 2.190 2,4 98,2 129 0,5 99,7 5,6
5 966 1,1 99,3 57 0,2 99,9 5,6
6 387 0,4 99,7 12 0,0 100,0 3,0
7 165 0,2 99,9 3 0,0 100,0 1,8
8 69 0,1 100,0 2 0,0 100,0 2,8
9 23 0,0 100,0 3 0,0 100,0 11,5
10 und mehr 18 0,0 100,0 -      
4 und mehr 3.818 4,2   206 0,2    
Summe 90.206   25.661    

Quelle:Heinz, Wolfgang; Spieß, Gerhard; Storz, Renate: Prävalenz und Inzidenz strafrechtlicher Sanktionierung im Jugendalter. Ergebnisse einer Untersuchung von zwei Sanktioniertenkohorten anhand von Daten des Bundeszentralregisters, in: Kaiser, Günther; Kury, Helmut; Albrecht, Hans-Jörg (Hrsg.): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Projektberichte aus der Bundesrepublik Deutschland. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Bd. 35/2. Freiburg i.Br. 1988, 650.

Dass es sich bei diesen Alterskurven nicht um einen Artefakt handelt derart, dass mit zunehmendem Alter gelernt wird, erneute justizielle Auffälligkeit zu vermeiden, erneute Tatbegehung also im Dunkelfeld zu halten, zeigen Dunkelfelduntersuchungen. Wie Täterbefragungen zeigen, ist die Episodenhaftigkeit nämlich nicht nur ein Ereignis im Hellfeld, sondern auch im Dunkelfeld. Der Anteil der Täter, die Zahl der Taten und die Pro-Kopf-Belastung der Täter sinkt nämlich in den einzelnen Altersgruppen mit zunehmendem Alter (vgl. Übersicht 20a/b). Ein merklicher Rückgang der Täterbelastung erfolgt bei den Jungerwachsenen 188.

Der Rückgang nicht nur der Tatverdächtigenbelastung nach dem Heranwachsenden- bzw. Jungerwachsenenalter, sondern vor allem der Rückgang der Belastung auch im Dunkelfeld 189 ist ein Hinweis darauf, dass weitere Auffälligkeit auch ohne justizielle Intervention vermieden werden kann.

Übersicht 20a:Dunkelfeldkriminalität: Täter nach Altersgruppen und Anzahl der selbstberichteten Taten
Altersgruppe Anteil der
Täter (in %)
Anteil der Taten (in %)
    1-3 4-7 8 - 10 Mehr als 10
Jugendliche (N = 159) 47,6 50,9 24,5 10,7 13,8
Heranwachsende (N = 88) 40,0 63,6 20,5 2,3 13,6
Jungerwachsene (N = 72) 24,0 69,4 15,3 1,4 13,9

Quelle: Villmow, Bernd; Stephan, Egon: Jugendkriminalität in einer Gemeinde. Eine Analyse erfragter Delinquenz und Viktimisierung sowie amtlicher Registrierung, Freiburg i.Br. i. Br. 1983, S. 151, Tab. 3.41; S. 153, Tab. 3.43.

Übersicht 20b: Dunkelfeldkriminalität: Doppelbefragte nach Altersgruppen (1973 und 1976)
Doppelbefragte der Jahrgänge 1950 bis 1958
  Anteil der Täter in der Befragung (in %)
Zeitpunkt der Befragung Jungerwachsene
(Jg. 1950-1951)
Heranwachsende
(Jg. 1952-1954)
Jugendliche
(Jg. 1955-1958)
1973 (N = 59) 35,0 43,8 51,4
1976 (N = 42) 26,3 40,6 31,2

Quelle:Villmow, Bernd; Stephan, Egon: Jugendkriminalität in einer Gemeinde. Eine Analyse erfragter Delinquenz und Viktimisierung sowie amtlicher Registrierung, Freiburg i.Br. i. Br. 1983, S. 117, Tab. 3.19.

Die meisten Jugendlichen hören demnach von selbst auf, Straftaten zu verüben, d.h. ohne förmliche Reaktion durch Polizei, Staatsanwaltschaft oder Justiz ("Spontanbewährung"). Strafrechtliche Auffälligkeit im Jugendalter ist deshalb für sich allein, aber auch in Verbindung mit sozialen Belastungsmerkmalen, kein brauchbares Indiz für eine drohende negative Entwicklung des Sozialisationsprozesses.

3. Mehrfach- und Intensivtäter

Unter den jugendlichen Tatverdächtigen gibt es eine kleine Gruppe, die durch mehrfache Straftatbegehung auffällt.. Stellt man deshalb auf die Relation Taten : Täter ab, dann zeigt sich, dass auf eine kleine Gruppe von "mehrfach Auffälligen" eine sehr hohe Zahl von Delikten entfällt. In ausländischen Kohortenuntersuchungen wurde festgestellt, dass zwischen 6% und 10% der Täter zwischen rd. 40% und teilweise mehr als 60% aller Taten begehen, die für die jeweiligen Altersgruppen offiziell bekannt werden190 . In den "Intensivtäter-Untersuchungen" verschiedener Landeskriminalämter191 wurde übereinstimmend konstatiert, dass nach den Feststellungen der Polizei jeweils zwischen 3% bis rd. 5% 192 der Täter im Querschnitt eines Jahres über 30%193 der für die jeweils gesamte Altersgruppe bekannt gewordenen Straftaten auf sich vereinen. In einer neueren Untersuchung des Bayerischen Landeskriminalamtes wurde innerhalb der registrierten jugendlichen Tatverdächtigen ein "harter Kern" von etwa 10% festgestellt, der für rd. 50% der insgesamt für diese Altersgruppe registrierten Straftaten verantwortlich gemacht wurde (vgl. Übersicht 21). Mädchen gehörten weitaus seltener zu den Mehrfachauffälligen als Jungen. Lediglich 1,5% der Mädchen - gegenüber 12% der Jungen - fielen innerhalb von fünf Jahren mit 20 und mehr Straftaten auf. Die Situation der jungen Mehrfachauffälligen ist typischerweise gekennzeichnet durch soziale und individuelle Defizite und Mängellagen194.

Übersicht 21: Polizeilich registrierte Jugendliche in München nach der Häufigkeit der Auffälligkeit im Jugend- und Heranwachsendenalter
(1991 14- oder 15jährige, in München wohnhafte Jugendliche, Untersuchungszeitraum 1991-1996)
  Tatverdächtige
(N)
in % an Tatverd. aufgekl.
Fälle (N)
% an Fällen insg.
männl. weibl. Insg.
1 Straftat 305 28,2 52,5 33,7 305 4,9
2-4 Straftaten 306 33,6 34,3 33,8 796 12,7
5-9 Straftaten 120 15,0 7,4 13,2 784 12,5
10-19 Straftaten 88 11,3 4,4 9,7 1157 18,5
20 und mehr 87 12,0 1,5 9,6 3226 51,5
Insgesamt. 906 100 100 100 6268 100

Quelle: Elsner, Erich; Steffen, Wiebke; Stern, Gerhard: Kinder- und Jugendkriminalität in München, München 1998; S. 109, 116.

"Mehrfache Auffälligkeit" ist im Übrigen nicht gleichbedeutend mit "Verübung schwerer Straftaten". Die Deliktsstruktur der Mehrfachtäter weist ähnliche Züge auf wie die der nur einmal oder gelegentlich auffallenden jungen Menschen. Wie bei diesen, so verbreitert sich mit zunehmendem Alter das Deliktsspektrum195, eine zunehmende Spezialisierung auf bestimmte Deliktstypen erfolgt zumeist nicht196. Der Anteil der schwereren Delikte ist zwar höher197 , die Annahme einer generellen Steigerung der Schwere der Straftaten im zeitlichen Längsschnitt ist aber nicht gesichert 198.

Aber auch für diese Tätergruppe gilt, dass ein Großteil nur während einer begrenzten Alteerphase mit strafjustiziell registriertem Verhalten in Erscheinung tritt 199. Die meisten der polizeilich registrierten Mehrfachtäter bleiben z.B. nach den einschlägigen Untersuchungsergebnissen von Kerner "im Regelfall nur 1 bis 2 Jahre in den Registern ... und (verschwinden) dann wieder, ohne irgendwelche offiziellen Spuren zu lassen".200 Selbst intensiver handelnde Täter gehen oft nicht über ein Intervall von zwei bis drei Jahren hinaus 201; "fünf und mehr Jahre werden nur von einer kleinen Minderheit erreicht. Bei den gehäuft Rückfälligen im Jugendalter dauert die 'Karriere' überwiegend (nur) 7 bis 9 Jahre ... Karrieren, die das 30. Lebensjahr überdauern, sind äußerst selten; sie treten relativ gehäuft dann vor allem bei solchen Tätern auf, die schwerer verurteilt wurden und mehrfach freiheitsentziehende Strafen verbüßt haben". 202 Strafrechtlich relevantes Verhalten ist demnach in der Regel kein Einstieg in intensive oder schwere Deliktsbegehung.

Eine neuere Untersuchung der Kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei bei einer Kohorte von 14- und 15jährigen Jugendlichen stellte indes fest, dass sich ein Viertel der Jugendlichen von den anderen Tatverdächtigen sowohl durch die Häufigkeit der Deliktsbegehung als auch durch die Dauer der strafrechtlich relevanten Aktivitäten abhob. 224 (= 24,7% der Kohorte) Tatverdächtige fielen über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren und mit mehr als 5 Straftaten pro Jahr auf (vgl. Übersicht 22).

Übersicht 22: Polizeilich registrierte Jugendliche in München nach der Dauer der Auffälligkeit in Jahren und Häufigkeit ihrer polizeilichen Registrierung im Jugend- und Heranwachsendenalter
(1991 14- oder 15jährige, in München wohnhafte Jugendliche, Untersuchungszeitraum 1991-1996)
Zahl der registrierten Straftaten   1 Jahr 2 Jahre 3 Jahre 4 Jahre
und mehr
Zeilen-
summen.
bis unter
1 Jahr 2 Jahre 3 Jahre 4 Jahre
N % N % N % N % N % N %
Nur 1 Straftat 305 71,3 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 305 33,7
2-4 Straftaten 103 24,1 44 73,3 37 51,4 54 48,1 70 29,4 306 33,8
5-9 Straftaten 11 2,6 7 11,7 23 31,9 24 22,2 55 23,1 120 13,2
10-19 Straftaten 6 1,4 6 10,0 7 9,7 17 13,9 54 22,7 88 9,7
20 u. mehr 3 0,7 3 5,0 5 6,9 15 15,7 59 24,8 87 9,6
mehr als 5 Straft.             56   168   224 24,7
Spaltensumme 428 100 60 100 72 100 108 100 238 100 906 100

Quelle: Elsner, Erich; Steffen, Wiebke; Stern, Gerhard: Kinder- und Jugendkriminalität in München, München 1998; S. 111.

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