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Konstanzer
Inventar Kriminalitätsentwicklung <www.uni-konstanz.de/rtf/kik> |
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VII. Zusammenfassung
- Die "Kriminalität", also das, was als " kriminell gewertet und
bestraft wird, ist keine feststehende Grösse - weder zwischen verschiedenen Kulturen noch über
die Zeit. Die rechtlichen Definitionen von Strafbarkeit, das jeweils vorherrschende Verständnis
von Strafwürdigkeit und die tatsächliche Praxis der Kriminalisierung durch Registrierung und
Sanktionierung sind erheblichem Wandel unterworfen. Der interkulturelle Vergleich der
Jugendkriminalität hat nicht nur die "Kriminalität", sondern auch die
Verbrechenskontrolle und die Erkenntnismittel für Kriminalität in den kriminologischen
Bezugsrahmen einzubeziehen.
- "Die" Kriminalstatistik, mit der, gleichsam naturalistisch,
"Kriminalität" gemessen werden könnte, gibt es nicht,
weder im Inland noch im Ausland. Die amtlichen Kriminalstatistiken geben
vielmehr Aufschluss über die auf verschiedenen Ebenen des
Strafverfahrens stattfindenden Definitions- und Ausfilterungsprozesse. Nicht
die "Kriminalitätswirklichkeit" wird gemessen, sondern die
jeweils "registrierte" Kriminalität. In diesen Statistiken
wird nur ein Teil jener Sachverhalte und Personen erfasst, die - wären
sie den Behörden bekannt geworden - als "kriminell"
hätten bezeichnet werden können. Dies gilt selbst für die
Statistik, die der Tat zeitlich noch am nächsten und deshalb noch am
wenigsten von den Entscheidungen anderer Instanzen beeinflusst ist, für
die Polizeiliche Kriminalstatistik.
- Das in den Kriminalstatistiken erfasste sog. "Hellfeld" der
Kriminalität ist nur ein kleiner und überdies nicht
repräsentativer Ausschnitt der Gesamtkriminaltität, von der ein erheblicher Teil im
"Dunkelfeld" verbleibt. Das Dunkelfeld
selbst ist nach Umfang und Struktur auch durch die neueren Methoden der
Dunkelfeldforschung, insbesondere durch Täter- oder Opferbefragungen,
nur für Teilbereiche und auch für diese nur begrenzt aufhellbar.
- Fast alle Sachverhalte, die in der Polizeiliche Kriminalstatistik als
"registrierte" Fälle ausgewiesen werden, werden der Polizei
durch Anzeigen bekannt. Umfang, Struktur und Entwicklung registrierter
Kriminalität können deshalb (fast) als direkte Funktion des
Anzeigeverhaltens betrachtet werden. Die Höhe der Anzeigeraten sind je
nach Deliktstypus und Deliktsschwere unterschiedlich hoch. Ob aus einer
registrierten Tat auch ein registrierter Täter wird, hängt von der
delikts- und täterspezifisch unterschiedlichen
Aufklärungswahrscheinlichkeit ab. Nach Dunkelfelduntersuchungen werden
im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte weniger als 10% der
"Täter" auch polizeilich registriert.
- "Hellfeld-" und "Dunkelfeldkriminalität"
können sich, wie US-amerikanische Forschungen zeigen, über einen
längeren Zeitraum hinweg gegenläufig entwickeln. Die Crux einer
jeden Aussage zur Kriminalitätsentwicklung ist, dass unklar ist, ob die
statistischen Zahlen die Entwicklung der
"Kriminalitätswirklichkeit" widerspiegeln oder ob sie
lediglich das Ergebnis einer Verschiebung der Grenze zwischen Hell- und
Dunkelfeld sind. Veränderungen der "registrierten"
Kriminalität können darauf beruhen, dass sich
- die (wirkliche) Kriminalität,
- die informelle soziale Kontrolle, insbesondere die Anzeigebereitschaft,
- die Verfolgungsintensität bzw. die Erledigungspraxis der
Träger formeller Sozialkontrolle,
- Gesetzgebung oder Rechtsprechung,
- die Erfassungsgrundsätze für die Statistiken oder das
Registrierverhalten der statistikführenden Stellen
verändert haben. Der Schluss von einer Veränderung der
"registrierten" Kriminalität auf eine entsprechende
Veränderung der "Kriminalitätswirklichkeit" setzt
deshalb voraus, dass alle anderen Einflussgrößen - außer
der Kriminalitätswirklichkeit - im Wesentlichen unverändert
geblieben sind. Jedenfalls für längere Zeiträume ist hiervon
nicht auszugehen, denn der Faktor, dem quantitativ die größte
Bedeutung zukommt, die Anzeigebereitschaft, unterliegt in hohem Maße
sozialem Wandel und spiegelt sich ändernde soziale (In-)Toleranz wider.
- Dass sich das Anzeigeverhalten (deliktsspezifisch unterschiedlich)
geändert hat, dafür gibt es eine Fülle von Hinweisen, unklar
ist dagegen das jeweilige Ausmaß. Umfassende empirische
Untersuchungen dazu fehlen. Im Unterschied zu zahlreichen anderen Staaten
wurden in der BRD bislang keine regelmäßigen,
repräsentativen und landesweiten Dunkelfeldforschungen
durchgeführt, mit denen Ausmaß und Richtung (insbesondere) des
Wandels der Anzeigebereitschaft näher hätten bestimmt werden
können. Aussagen zur Entwicklung der
"Kriminalitätswirklichkeit" sind deshalb lediglich auf einer
empirisch unzureichend gesicherten Plausibilitätsebene möglich, nicht aber
auf einer Ebene empirisch begründeten Wissens. Es kann deshalb nur
vermutet werden, dass jedenfalls ein Teil des Anstiegs registrierter
Kriminalität auf Veränderungen der Kriminalitätswirklichkeit
- und nicht bloß des Anzeigeverhaltens - beruht.
- Das Strafverfahren ist ein Prozess der Ausfilterung und der
Umdefinition. Die vergleichende Gegenüberstellung von Polizeilicher
Kriminalstatistik und Strafverfolgungsstatistik verdeutlicht dies. Nur jeder
zweite polizeilich registrierte Fall kann durch Ermittlung eines
Tatverdächtigen aufgeklärt werden; nur ein Drittel der von der
Polizei ermittelten Tatverdächtigen wird auch verurteilt. Diese
Ausfilterung beruht in quantitativer Hinsicht vor allem auf der fehlenden
Aufklärung sowie auf der Praxis der Staatsanwaltschaft, vermehrt
Strafverfahren aufgrund von Opportunitätsvorschriften einzustellen. Vor
allem bei jungen Menschen wird häufig von diesen
Diversionsmöglichkeiten Gebraucht gemacht; derzeit dürfte bei zwei
von drei jungen Straftätern das Strafverfahren eingestellt werden.
Über die Umdefinitionsprozesse, faktisch: Herabstufungsprozesse,
informieren die amtlichen Statistiken in Deutschland nicht. Aus
Untersuchungen ist indes bekannt, dass insbesondere im Bereich der schweren
Kriminalität die polizeiliche Ausgangsdefinition nicht besonders stabil
ist; weniger als die Hälfte der Tatverdächtigen wird entsprechend
dieser Ausgangsdefinition auch verurteilt. Im Lichte der späteren
Verurteilung betrachtet, weist die Polizeiliche Kriminalstatistik eine
Überbewertungstendenz auf.
- Für regionale Querschnitts- oder zeitliche
Längsschnittvergleiche sind absolute Zahlen ungeeignet, weil sie mit
demographischen Unterschieden/Veränderungen konfundiert sind.
Vergleiche sollten deshalb auf Häufigkeitszahlen, also auf 100.000 der
entsprechenden Bezugsgruppe, gestützt werden; in Abhängigkeit von
der Fragestellung sind noch weitere Standardisierungen hinsichtlich der
relevanten Bezugsgruppe erforderlich. Die Berechnung valider
Häufigkeitszahlen setzt voraus, dass die Bezugsgröße
hinreichend genau und differenziert genug bekannt ist. Daran fehlt es z.B.
gegenwärtig in Deutschland hinsichtlich der nichtdeutschen
Tatverdächtigen/Verurteilten. Da ein nicht unerheblicher Teil der im
Bundesgebiet befindlichen Nichtdeutschen entweder nicht meldepflichtig ist
oder sich illegal aufhält, ist die Bezugsgröße systematisch
unterschätzt, die Kriminalitätsbelastung würde
dementsprechend systematisch überschätzt werden. Valide
Häufigkeitszahlen können deshalb für die nichtdeutschen
Tatverdächtigen/Verurteilten nicht berechnet werden.
- Für die kriminalstatistische Analyse folgt aus diesen Einsichten,
dass
- erstens nicht nur eine Datenquelle, sondern möglichst verschiedene
Datenquellen benutzt werden sollen,
- zweitens möglichst lange Zeiträume untersucht werden sollen,
weil für kurze Zeiträume Sonderentwicklungen das Bild
verfälschen können,
- drittens für regionale Querschnitts- oder für zeitliche
Längsschnittvergleiche keine absoluten Zahlen verwendet werden sollen,
sondern Häufigkeitszahlen (bezogen auf 100.000 der entsprechenden
Bezugsgruppe).
- Registrierte Kriminalität ist überwiegend Eigentums- und
Vermögenskriminalität. Gewaltkriminalität ist in Deutschland
kein quantitatives, sondern ein qualitatives Problem. Umfang und
Entwicklung der Gewaltkriminalität werden vor allem von
(gefährlicher/schwerer) Körperverletzung sowie Raub bestimmt;
andere Formen, wie Mord/Totschlag, Sexualmord oder Vergewaltigung, sind nicht gestiegen.
- Die Kriminalitätsbelastung weist deutliche alters- und
geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Die registrierte Kriminalität
junger Menschen ist deutlich höher als die registrierte
Kriminalität der Vollerwachsenen. Diese Überrepräsentation
junger Menschen ist seit dem Beginn statistischer Aufzeichnungen zu
beobachten. Sie wird durch Dunkelfelduntersuchungen bestätigt. Das
Ausmaß, mit dem junge Menschen höher als Erwachsene mit
Kriminalität belastet sind, ist zu einem Teil das Ergebnis der
systematischen Unterrepräsentierung von Erwachsenen infolge der
geringeren Sichtbarkeit und Kontrollierbarkeit und grösseren Professionalität
der von diesen verübten
Delikte, zum anderen eine Folge der leichteren Überführbarkeit von
jungen Menschen. Die vergleichende Gegenüberstellung von
Tatverdächtigenbelastungszahlen und Verurteiltenbelastungszahlen
zeigt, dass der Anteil der tatsächlich nicht Verurteilten unter den jugendlichen und
heranwachsenden Tatverdächtigen weitaus höher ist als bei
erwachsenen Tatverdächtigen. Dies dürfte vor allem eine Folge
vermehrter Einstellungen von Strafverfahren sein, vor allem wegen der
geringeren Deliktsschwere der von jungen Menschen verübten Straftaten.
- Hinsichtlich Ausmaß und Entwicklung der registrierten
Kriminalität kommt dem Beitrag von jungen Frauen nur geringe Bedeutung
zu. Die Tatverdächtigen- und die Verurteiltenbelastungszahlen von Frauen
sind weitaus geringer als diejenigen der Männer. Die höchsten
Belastungen unter den weiblichen Tatverdächtigen weisen die 18- bis
unter 25jährigen auf.
- Relativiert wird diese Höherbelastung von jungen Menschen dadurch,
dass es sich überwiegend um leichte Kriminalität handelt, die
zumeist weniger schwer ist als die Kriminalität von Erwachsenen. Sowohl
nach der Polizeilichen Kriminalstatistik als auch nach der
Strafverfolgungsstatistik dominieren bei Jugendkriminalität die
Eigentums- und Vermögensdelikte, darunter namentlich der Ladendiebstahl,
ausweislich der Strafverfolgungsstatistik auch die Verkehrsdelikte. Das
Deliktsspektrum erweitert sich erst mit zunehmendem Alter. Bei Straftaten,
die typischerweise von Erwachsenen begangen werden, sind in der Regel weit
höhere Schäden zu verzeichnen als bei den typischerweise von
jungen Menschen verübten Eigentums- und Vermögensdelikten.
- Allerdings sind junge Menschen auch unter den wegen
Gewaltkriminalität registrierten Tatverdächtigen
überrepräsentiert. Bei "Gewaltkriminalität" junger
Menschen handelt es sich zu rd. zwei Dritteln um (vor allem)
"gefährliche" Körperverletzung, eine Deliktsgruppe, die - anders als die
Bezeichnung suggeriert - nicht notwendigerweise mit schweren Verletzungen einhergeht. Denn dieses
Delikt umfasst neben der Begehung "mittels einer Waffe oder eines
anderen gefährlichen Werkzeugs" vor allem auch die
"gemeinschaftliche" Begehung, also auch die jugendtypische
Konstellation bei Raufhändeln unter Gruppen Jugendlicher. Die
vergleichende Gegenüberstellung von
Tatverdächtigenbelastungszahlen und Verurteiltenbelastungszahlen zeigt
ferner, dass tatsächlich nur ein geringer Teil der Tatverdächtigen dieser polizeilich
so definierten Deliktsgruppe auch
entsprechend verurteilt wird und dass sich die polizeiliche Bewertung (in
zeitlicher Längsschnittbetrachtung) in immer geringer werdendem
Maße durchsetzt. Ob die Zunahme der bei jungen Menschen polizeilich
registrierten Gewaltkriminalität auch mit einer entsprechenden Zunahme
schwerer Begehungsformen einhergeht, lässt sich den statistischen Daten nicht
entnehmen. Eine neuere, freilich regional beschränkte Aktenanalyse kam
hinsichtlich Raub- und qualifizierten Körperverletzungsdelikten zum
Ergebnis, dass es in der Tat zu einer Zunahme der minder schweren Formen
gekommen ist, dass also offenbar vermehrt auch in weniger gravierenden Fällen angezeigt wird.
Damit ließe
sich die vor allem bei Gewaltdelikten zu beobachtende Auseinanderentwicklung
von Tatverdächtigenbelastungszahlen und Verurteiltenbelastungszahlen
ebenfalls mit einer Zunahme von Diversion bei minder schweren Fällen
erklären. Als weiteres Erklärungsangebot kommt freilich auch eine
Änderung der polizeilichen Verdachtsschöpfung und Bewertung in
Betracht.
- Die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigen einen deutlichen
Anstieg der registrierten Kriminalität, und zwar von jungen Menschen
Dieser Anstieg wird, jedenfalls was das Ausmaß angeht, durch die Daten
der Strafverfolgungsstatistik so nicht bestätigt; die Schere zwischen
den Tatverdächtigenbelastungszahlen und den
Verurteiltenbelastungszahlen öffnete sich in erheblichem Umfang. Für
Eigentumsdelikte liegt die Vermutung nahe, dass diese Diskrepanz die Folge
vermehrter Verfahrenseinstellungen ist. Ob dies auf einer Zunahme minder
schwerer Deliktsformen beruht oder auf einem Wandel in der Beurteilung
dessen, was als minder schwer angesehen werden kann, lässt sich den
Statistiken nicht entnehmen.
- Bei "naiver" Berechnung von
Tatverdächtigenbelastungszahlen für die nichtdeutschen
Tatverdächtigen durch die Bezugnahme auf die nichtdeutsche
Wohnbevölkerung wird die Kriminalitätsbelastung der Ausländer
systematisch überschätzt. Hinreichend genau lässt sich
lediglich die Belastung der zur Wohnbevölkerung gemeldeten
Tatverdächtigen ermitteln. Wie eine Sonderauswertung der Polizeilichen
Kriminalstatistik für Bayern ergeben hat, ist die
Kriminalitätsbelastung der Zuwanderer ohne deutschen Pass zwar deutlich
niedriger als bei "naiver" Berechnung, aber immer noch höher
als die Belastung der entsprechenden deutschen Vergleichsgruppe. Freilich
sind hierbei nicht berücksichtigt Unterschiede, die insbesondere
bestehen können hinsichtlich der Anzeigebereitschaft und
Verfolgungsintensität sowie der Sozialstruktur (z.B.
Beschäftigungsart, Arbeitslosenquote, Ausbildung, Einkommen,
Wohnverhältnisse, soziale Integration). Viele der Statusmerkmale, die für die Gruppe der
Nichtdeutschen charakteristisch sind, sind auch bei deutschen Gruppen mit enstsprechend
ungünstigen Statusmerkmalen mit deutlich erhöhter Kriminalitätsbelastung verbunden.
- In den Statistiken sind derzeit Aussiedler, also Personen deutscher
Staatsangehörigkeit, die in den letzten Jahren vor allem aus
osteuropäischen Staaten zugewandert sind, nicht gesondert ausgewiesen.
Über ihre Kriminalitätsbelastung lässt sich demnach derzeit
noch keine, auf Kriminalstatistiken gestützte Aussage machen. Regional
beschränkte Untersuchungen sowie Berichte von Praktikern deuten indes
auf eine weit überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsbelastung
hin, insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität. Sowohl bei der
sog. Ausländer- wie bei der sog. Aussiedlerkriminalität wird
deutlich, dass nicht die Staatsangehörigkeit "kriminell"
werden lässt, sondern dass hierfür insbesondere ungelöste
Integrationsprobleme von Bedeutung sind.
- Dunkelfelduntersuchungen zeigen übereinstimmend, dass
Jugendkriminalität im Bagatell- und mittelschweren Bereich der
Kriminalität weit verbreitet ("Ubiquität") ist, vor
allem bei den jungen Männern. Nahezu jeder junge Mann verübt im
Laufe seines Heranwachsens eine Straftat, zumeist im Bereich der Eigentums-
und Vermögensdelikte. Jugendkriminalität ist danach - im
statistischen Sinne - "normal"; die Verübung schwerer oder
zahlreicher Delikte ist freilich die Ausnahme, Intensivtäter sind nur
eine kleine Minderheit. Die übliche Scheidung in Kriminelle und
Nichtkriminelle muß deshalb aufgegeben werden zugunsten der
Vorstellung eines Kontinuums, an dessen einem Ende die Mehrzahl der
Jugendlichen mit wenigen und leichten Delikten steht, an dessen anderem Ende
sich relativ wenige Jugendliche mit vielen und/oder schweren Delikten
befinden. Nur ein ganz geringer Teil der von jungen Menschen verübten
Straftaten wird überhaupt polizeilich bekannt, die Mehrzahl der Taten
und der Täter verbleibt im Dunkelfeld. Es ist deshalb - im
statistischen Sinne "anormal" - erwischt und strafrechtlich
verfolgt zu werden. Speziell für solche Straftaten, an denen vor allem
junge Menschen beteiligt sind, zeigen neue Untersuchungen, dass
wahrscheinlich nicht mehr als 10% aller Delinquenten auch erwischt werden.
Mit steigender Deliktsschwere und -häufigkeit wächst die
Wahrscheinlichkeit polizeilicher Registrierung.
- Nach Hellfeld- wie nach Dunkelfelddaten sind jugendtypische Verfehlungen
- im Regelfall - im Lebenslängsschnitt ein nicht häufig (Episode)
oder allenfalls ein in einem zeitlich begrenzten Lebensabschnitt
gehäuft auftretendes Ereignis (passageres Phänomen).
Jugendkriminalität von heute ist also in der Regel nicht die
Erwachsenenkriminalität von morgen. "Die Tatsache des
überwiegend bagatellhaften und als vorübergehende Episode zu
kennzeichnenden Charakters jugendlicher Delinquenz, die als
entwicklungstypische Verhaltensweise ubiquitär und im statistischen
Sinne normal sowie in den meisten Fällen auf einen begrenzten
biographischen Übergangszeitraum beschränkt ist, hat in der
jugendstrafrechtlichen Wissenschaft wie auch der Praxis weithin Anerkennung
gefunden."211
- Eine kleine Gruppe jugendlicher Tatverdächtiger fällt durch
die Häufigkeit der Straftatbegehung auf. Stellt man auf die Relation
Taten : Täter ab, dann zeigt sich, dass auf eine kleine Gruppe von
"mehrfach Auffälligen" eine sehr hohe Zahl von Delikten
entfällt. In mehreren "Intensivtäter-Untersuchungen"
wurde übereinstimmend festgestellt, dass jeweils zwischen 3% bis rd.
5% der Täter im Querschnitt eines Jahres über 30% der für die
jeweils gesamte Altersgruppe bekannt gewordenen Straftaten auf sich vereinen.
Eine neuere Untersuchung von 14- und 15jährigen Jugendlichen in Bayern
hat ergeben, dass während eines Fünf-Jahres-Zeitraums 10% der
Tatverdächtigen etwas mehr als 50% aller Straftaten dieser Gruppe
verübt hatten.
- Die weitaus meisten jungen Menschen hören von selbst auf,
Straftaten zu begehen, und zwar ohne Eingreifen von Polizei und Justiz.
Strafrechtliche Auffälligkeit im Jugendalter ist deshalb für sich
allein, aber auch in Verbindung mit sozialen Belastungsmerkmalen, kein
brauchbares Indiz für eine drohende negative Entwicklung des
Sozialisationsprozesses. Speziell für die Prognostizierbarkeit einer
kriminellen Karriere gilt, dass nach dem derzeitigen Stand der Forschung
diese weder hinsichtlich Ansatz noch Fortsetzung, geschweige denn Abbruch,
mit hinreichend großer Treffsicherheit prognostizierbar ist; die Zahl
der "falschen Positiven" ist unvertretbar hoch.
- Die Angst der Erwachsenen, Opfer von Gewaltkriminalität
jüngerer Täter zu werden, ist zumeist unbegründet. Denn
Tatverdächtige und Opfer gehören überwiegend derselben
Altersgruppe an; die weit überwiegende Zahl sowohl der qualifizierten
Körperverletzungen als auch des Raubes wird innerhalb von
Gleichaltrigengruppen verübt. Wenn es eine Asymmetrie in der
Gefährdungsstruktur gibt, dann derart, dass junge Menschen durch
Übergriffe von Erwachsenen gefährdet sind. Die höchsten
Opferraten, insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität, und die
stärksten Anstiege finden sich regelmäßig bei jungen
Menschen, namentlich bei männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden.
Unter Berücksichtigung auch der familiären Gewalt sind junge
Menschen weitaus häufiger Gewaltopfer als Gewalttäter. Nicht so
sehr als Täter, sondern vor allem als Opfer verdienen sie deshalb
unsere Aufmerksamkeit und unseren Schutz.
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