KIK   Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung
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VII. Zusammenfassung

  1. Die "Kriminalität", also das, was als " kriminell gewertet und bestraft wird, ist keine feststehende Grösse - weder zwischen verschiedenen Kulturen noch über die Zeit. Die rechtlichen Definitionen von Strafbarkeit, das jeweils vorherrschende Verständnis von Strafwürdigkeit und die tatsächliche Praxis der Kriminalisierung durch Registrierung und Sanktionierung sind erheblichem Wandel unterworfen. Der interkulturelle Vergleich der Jugendkriminalität hat nicht nur die "Kriminalität", sondern auch die Verbrechenskontrolle und die Erkenntnismittel für Kriminalität in den kriminologischen Bezugsrahmen einzubeziehen.
  2. "Die" Kriminalstatistik, mit der, gleichsam naturalistisch, "Kriminalität" gemessen werden könnte, gibt es nicht, weder im Inland noch im Ausland. Die amtlichen Kriminalstatistiken geben vielmehr Aufschluss über die auf verschiedenen Ebenen des Strafverfahrens stattfindenden Definitions- und Ausfilterungsprozesse. Nicht die "Kriminalitätswirklichkeit" wird gemessen, sondern die jeweils "registrierte" Kriminalität. In diesen Statistiken wird nur ein Teil jener Sachverhalte und Personen erfasst, die - wären sie den Behörden bekannt geworden - als "kriminell" hätten bezeichnet werden können. Dies gilt selbst für die Statistik, die der Tat zeitlich noch am nächsten und deshalb noch am wenigsten von den Entscheidungen anderer Instanzen beeinflusst ist, für die Polizeiliche Kriminalstatistik.
  3. Das in den Kriminalstatistiken erfasste sog. "Hellfeld" der Kriminalität ist nur ein kleiner und überdies nicht repräsentativer Ausschnitt der Gesamtkriminaltität, von der ein erheblicher Teil im "Dunkelfeld" verbleibt. Das Dunkelfeld selbst ist nach Umfang und Struktur auch durch die neueren Methoden der Dunkelfeldforschung, insbesondere durch Täter- oder Opferbefragungen, nur für Teilbereiche und auch für diese nur begrenzt aufhellbar.
  4. Fast alle Sachverhalte, die in der Polizeiliche Kriminalstatistik als "registrierte" Fälle ausgewiesen werden, werden der Polizei durch Anzeigen bekannt. Umfang, Struktur und Entwicklung registrierter Kriminalität können deshalb (fast) als direkte Funktion des Anzeigeverhaltens betrachtet werden. Die Höhe der Anzeigeraten sind je nach Deliktstypus und Deliktsschwere unterschiedlich hoch. Ob aus einer registrierten Tat auch ein registrierter Täter wird, hängt von der delikts- und täterspezifisch unterschiedlichen Aufklärungswahrscheinlichkeit ab. Nach Dunkelfelduntersuchungen werden im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte weniger als 10% der "Täter" auch polizeilich registriert.
  5. "Hellfeld-" und "Dunkelfeldkriminalität" können sich, wie US-amerikanische Forschungen zeigen, über einen längeren Zeitraum hinweg gegenläufig entwickeln. Die Crux einer jeden Aussage zur Kriminalitätsentwicklung ist, dass unklar ist, ob die statistischen Zahlen die Entwicklung der "Kriminalitätswirklichkeit" widerspiegeln oder ob sie lediglich das Ergebnis einer Verschiebung der Grenze zwischen Hell- und Dunkelfeld sind. Veränderungen der "registrierten" Kriminalität können darauf beruhen, dass sich
    • die (wirkliche) Kriminalität,
    • die informelle soziale Kontrolle, insbesondere die Anzeigebereitschaft,
    • die Verfolgungsintensität bzw. die Erledigungspraxis der Träger formeller Sozialkontrolle,
    • Gesetzgebung oder Rechtsprechung,
    • die Erfassungsgrundsätze für die Statistiken oder das Registrierverhalten der statistikführenden Stellen
    verändert haben. Der Schluss von einer Veränderung der "registrierten" Kriminalität auf eine entsprechende Veränderung der "Kriminalitätswirklichkeit" setzt deshalb voraus, dass alle anderen Einflussgrößen - außer der Kriminalitätswirklichkeit - im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Jedenfalls für längere Zeiträume ist hiervon nicht auszugehen, denn der Faktor, dem quantitativ die größte Bedeutung zukommt, die Anzeigebereitschaft, unterliegt in hohem Maße sozialem Wandel und spiegelt sich ändernde soziale (In-)Toleranz wider.
  6. Dass sich das Anzeigeverhalten (deliktsspezifisch unterschiedlich) geändert hat, dafür gibt es eine Fülle von Hinweisen, unklar ist dagegen das jeweilige Ausmaß. Umfassende empirische Untersuchungen dazu fehlen. Im Unterschied zu zahlreichen anderen Staaten wurden in der BRD bislang keine regelmäßigen, repräsentativen und landesweiten Dunkelfeldforschungen durchgeführt, mit denen Ausmaß und Richtung (insbesondere) des Wandels der Anzeigebereitschaft näher hätten bestimmt werden können. Aussagen zur Entwicklung der "Kriminalitätswirklichkeit" sind deshalb lediglich auf einer empirisch unzureichend gesicherten Plausibilitätsebene möglich, nicht aber auf einer Ebene empirisch begründeten Wissens. Es kann deshalb nur vermutet werden, dass jedenfalls ein Teil des Anstiegs registrierter Kriminalität auf Veränderungen der Kriminalitätswirklichkeit - und nicht bloß des Anzeigeverhaltens - beruht.
  7. Das Strafverfahren ist ein Prozess der Ausfilterung und der Umdefinition. Die vergleichende Gegenüberstellung von Polizeilicher Kriminalstatistik und Strafverfolgungsstatistik verdeutlicht dies. Nur jeder zweite polizeilich registrierte Fall kann durch Ermittlung eines Tatverdächtigen aufgeklärt werden; nur ein Drittel der von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen wird auch verurteilt. Diese Ausfilterung beruht in quantitativer Hinsicht vor allem auf der fehlenden Aufklärung sowie auf der Praxis der Staatsanwaltschaft, vermehrt Strafverfahren aufgrund von Opportunitätsvorschriften einzustellen. Vor allem bei jungen Menschen wird häufig von diesen Diversionsmöglichkeiten Gebraucht gemacht; derzeit dürfte bei zwei von drei jungen Straftätern das Strafverfahren eingestellt werden.
    Über die Umdefinitionsprozesse, faktisch: Herabstufungsprozesse, informieren die amtlichen Statistiken in Deutschland nicht. Aus Untersuchungen ist indes bekannt, dass insbesondere im Bereich der schweren Kriminalität die polizeiliche Ausgangsdefinition nicht besonders stabil ist; weniger als die Hälfte der Tatverdächtigen wird entsprechend dieser Ausgangsdefinition auch verurteilt. Im Lichte der späteren Verurteilung betrachtet, weist die Polizeiliche Kriminalstatistik eine Überbewertungstendenz auf.
  8. Für regionale Querschnitts- oder zeitliche Längsschnittvergleiche sind absolute Zahlen ungeeignet, weil sie mit demographischen Unterschieden/Veränderungen konfundiert sind. Vergleiche sollten deshalb auf Häufigkeitszahlen, also auf 100.000 der entsprechenden Bezugsgruppe, gestützt werden; in Abhängigkeit von der Fragestellung sind noch weitere Standardisierungen hinsichtlich der relevanten Bezugsgruppe erforderlich. Die Berechnung valider Häufigkeitszahlen setzt voraus, dass die Bezugsgröße hinreichend genau und differenziert genug bekannt ist. Daran fehlt es z.B. gegenwärtig in Deutschland hinsichtlich der nichtdeutschen Tatverdächtigen/Verurteilten. Da ein nicht unerheblicher Teil der im Bundesgebiet befindlichen Nichtdeutschen entweder nicht meldepflichtig ist oder sich illegal aufhält, ist die Bezugsgröße systematisch unterschätzt, die Kriminalitätsbelastung würde dementsprechend systematisch überschätzt werden. Valide Häufigkeitszahlen können deshalb für die nichtdeutschen Tatverdächtigen/Verurteilten nicht berechnet werden.
  9. Für die kriminalstatistische Analyse folgt aus diesen Einsichten, dass
    • erstens nicht nur eine Datenquelle, sondern möglichst verschiedene Datenquellen benutzt werden sollen,
    • zweitens möglichst lange Zeiträume untersucht werden sollen, weil für kurze Zeiträume Sonderentwicklungen das Bild verfälschen können,
    • drittens für regionale Querschnitts- oder für zeitliche Längsschnittvergleiche keine absoluten Zahlen verwendet werden sollen, sondern Häufigkeitszahlen (bezogen auf 100.000 der entsprechenden Bezugsgruppe).
  10. Registrierte Kriminalität ist überwiegend Eigentums- und Vermögenskriminalität. Gewaltkriminalität ist in Deutschland kein quantitatives, sondern ein qualitatives Problem. Umfang und Entwicklung der Gewaltkriminalität werden vor allem von (gefährlicher/schwerer) Körperverletzung sowie Raub bestimmt; andere Formen, wie Mord/Totschlag, Sexualmord oder Vergewaltigung, sind nicht gestiegen.
  11. Die Kriminalitätsbelastung weist deutliche alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Die registrierte Kriminalität junger Menschen ist deutlich höher als die registrierte Kriminalität der Vollerwachsenen. Diese Überrepräsentation junger Menschen ist seit dem Beginn statistischer Aufzeichnungen zu beobachten. Sie wird durch Dunkelfelduntersuchungen bestätigt. Das Ausmaß, mit dem junge Menschen höher als Erwachsene mit Kriminalität belastet sind, ist zu einem Teil das Ergebnis der systematischen Unterrepräsentierung von Erwachsenen infolge der geringeren Sichtbarkeit und Kontrollierbarkeit und grösseren Professionalität der von diesen verübten Delikte, zum anderen eine Folge der leichteren Überführbarkeit von jungen Menschen. Die vergleichende Gegenüberstellung von Tatverdächtigenbelastungszahlen und Verurteiltenbelastungszahlen zeigt, dass der Anteil der tatsächlich nicht Verurteilten unter den jugendlichen und heranwachsenden Tatverdächtigen weitaus höher ist als bei erwachsenen Tatverdächtigen. Dies dürfte vor allem eine Folge vermehrter Einstellungen von Strafverfahren sein, vor allem wegen der geringeren Deliktsschwere der von jungen Menschen verübten Straftaten.
  12. Hinsichtlich Ausmaß und Entwicklung der registrierten Kriminalität kommt dem Beitrag von jungen Frauen nur geringe Bedeutung zu. Die Tatverdächtigen- und die Verurteiltenbelastungszahlen von Frauen sind weitaus geringer als diejenigen der Männer. Die höchsten Belastungen unter den weiblichen Tatverdächtigen weisen die 18- bis unter 25jährigen auf.
  13. Relativiert wird diese Höherbelastung von jungen Menschen dadurch, dass es sich überwiegend um leichte Kriminalität handelt, die zumeist weniger schwer ist als die Kriminalität von Erwachsenen. Sowohl nach der Polizeilichen Kriminalstatistik als auch nach der Strafverfolgungsstatistik dominieren bei Jugendkriminalität die Eigentums- und Vermögensdelikte, darunter namentlich der Ladendiebstahl, ausweislich der Strafverfolgungsstatistik auch die Verkehrsdelikte. Das Deliktsspektrum erweitert sich erst mit zunehmendem Alter. Bei Straftaten, die typischerweise von Erwachsenen begangen werden, sind in der Regel weit höhere Schäden zu verzeichnen als bei den typischerweise von jungen Menschen verübten Eigentums- und Vermögensdelikten.
  14. Allerdings sind junge Menschen auch unter den wegen Gewaltkriminalität registrierten Tatverdächtigen überrepräsentiert. Bei "Gewaltkriminalität" junger Menschen handelt es sich zu rd. zwei Dritteln um (vor allem) "gefährliche" Körperverletzung, eine Deliktsgruppe, die - anders als die Bezeichnung suggeriert - nicht notwendigerweise mit schweren Verletzungen einhergeht. Denn dieses Delikt umfasst neben der Begehung "mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" vor allem auch die "gemeinschaftliche" Begehung, also auch die jugendtypische Konstellation bei Raufhändeln unter Gruppen Jugendlicher. Die vergleichende Gegenüberstellung von Tatverdächtigenbelastungszahlen und Verurteiltenbelastungszahlen zeigt ferner, dass tatsächlich nur ein geringer Teil der Tatverdächtigen dieser polizeilich so definierten Deliktsgruppe auch entsprechend verurteilt wird und dass sich die polizeiliche Bewertung (in zeitlicher Längsschnittbetrachtung) in immer geringer werdendem Maße durchsetzt. Ob die Zunahme der bei jungen Menschen polizeilich registrierten Gewaltkriminalität auch mit einer entsprechenden Zunahme schwerer Begehungsformen einhergeht, lässt sich den statistischen Daten nicht entnehmen. Eine neuere, freilich regional beschränkte Aktenanalyse kam hinsichtlich Raub- und qualifizierten Körperverletzungsdelikten zum Ergebnis, dass es in der Tat zu einer Zunahme der minder schweren Formen gekommen ist, dass also offenbar vermehrt auch in weniger gravierenden Fällen angezeigt wird. Damit ließe sich die vor allem bei Gewaltdelikten zu beobachtende Auseinanderentwicklung von Tatverdächtigenbelastungszahlen und Verurteiltenbelastungszahlen ebenfalls mit einer Zunahme von Diversion bei minder schweren Fällen erklären. Als weiteres Erklärungsangebot kommt freilich auch eine Änderung der polizeilichen Verdachtsschöpfung und Bewertung in Betracht.
  15. Die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigen einen deutlichen Anstieg der registrierten Kriminalität, und zwar von jungen Menschen Dieser Anstieg wird, jedenfalls was das Ausmaß angeht, durch die Daten der Strafverfolgungsstatistik so nicht bestätigt; die Schere zwischen den Tatverdächtigenbelastungszahlen und den Verurteiltenbelastungszahlen öffnete sich in erheblichem Umfang. Für Eigentumsdelikte liegt die Vermutung nahe, dass diese Diskrepanz die Folge vermehrter Verfahrenseinstellungen ist. Ob dies auf einer Zunahme minder schwerer Deliktsformen beruht oder auf einem Wandel in der Beurteilung dessen, was als minder schwer angesehen werden kann, lässt sich den Statistiken nicht entnehmen.
  16. Bei "naiver" Berechnung von Tatverdächtigenbelastungszahlen für die nichtdeutschen Tatverdächtigen durch die Bezugnahme auf die nichtdeutsche Wohnbevölkerung wird die Kriminalitätsbelastung der Ausländer systematisch überschätzt. Hinreichend genau lässt sich lediglich die Belastung der zur Wohnbevölkerung gemeldeten Tatverdächtigen ermitteln. Wie eine Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik für Bayern ergeben hat, ist die Kriminalitätsbelastung der Zuwanderer ohne deutschen Pass zwar deutlich niedriger als bei "naiver" Berechnung, aber immer noch höher als die Belastung der entsprechenden deutschen Vergleichsgruppe. Freilich sind hierbei nicht berücksichtigt Unterschiede, die insbesondere bestehen können hinsichtlich der Anzeigebereitschaft und Verfolgungsintensität sowie der Sozialstruktur (z.B. Beschäftigungsart, Arbeitslosenquote, Ausbildung, Einkommen, Wohnverhältnisse, soziale Integration). Viele der Statusmerkmale, die für die Gruppe der Nichtdeutschen charakteristisch sind, sind auch bei deutschen Gruppen mit enstsprechend ungünstigen Statusmerkmalen mit deutlich erhöhter Kriminalitätsbelastung verbunden.
  17. In den Statistiken sind derzeit Aussiedler, also Personen deutscher Staatsangehörigkeit, die in den letzten Jahren vor allem aus osteuropäischen Staaten zugewandert sind, nicht gesondert ausgewiesen. Über ihre Kriminalitätsbelastung lässt sich demnach derzeit noch keine, auf Kriminalstatistiken gestützte Aussage machen. Regional beschränkte Untersuchungen sowie Berichte von Praktikern deuten indes auf eine weit überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsbelastung hin, insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität. Sowohl bei der sog. Ausländer- wie bei der sog. Aussiedlerkriminalität wird deutlich, dass nicht die Staatsangehörigkeit "kriminell" werden lässt, sondern dass hierfür insbesondere ungelöste Integrationsprobleme von Bedeutung sind.
  18. Dunkelfelduntersuchungen zeigen übereinstimmend, dass Jugendkriminalität im Bagatell- und mittelschweren Bereich der Kriminalität weit verbreitet ("Ubiquität") ist, vor allem bei den jungen Männern. Nahezu jeder junge Mann verübt im Laufe seines Heranwachsens eine Straftat, zumeist im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte. Jugendkriminalität ist danach - im statistischen Sinne - "normal"; die Verübung schwerer oder zahlreicher Delikte ist freilich die Ausnahme, Intensivtäter sind nur eine kleine Minderheit. Die übliche Scheidung in Kriminelle und Nichtkriminelle muß deshalb aufgegeben werden zugunsten der Vorstellung eines Kontinuums, an dessen einem Ende die Mehrzahl der Jugendlichen mit wenigen und leichten Delikten steht, an dessen anderem Ende sich relativ wenige Jugendliche mit vielen und/oder schweren Delikten befinden. Nur ein ganz geringer Teil der von jungen Menschen verübten Straftaten wird überhaupt polizeilich bekannt, die Mehrzahl der Taten und der Täter verbleibt im Dunkelfeld. Es ist deshalb - im statistischen Sinne "anormal" - erwischt und strafrechtlich verfolgt zu werden. Speziell für solche Straftaten, an denen vor allem junge Menschen beteiligt sind, zeigen neue Untersuchungen, dass wahrscheinlich nicht mehr als 10% aller Delinquenten auch erwischt werden. Mit steigender Deliktsschwere und -häufigkeit wächst die Wahrscheinlichkeit polizeilicher Registrierung.
  19. Nach Hellfeld- wie nach Dunkelfelddaten sind jugendtypische Verfehlungen - im Regelfall - im Lebenslängsschnitt ein nicht häufig (Episode) oder allenfalls ein in einem zeitlich begrenzten Lebensabschnitt gehäuft auftretendes Ereignis (passageres Phänomen). Jugendkriminalität von heute ist also in der Regel nicht die Erwachsenenkriminalität von morgen. "Die Tatsache des überwiegend bagatellhaften und als vorübergehende Episode zu kennzeichnenden Charakters jugendlicher Delinquenz, die als entwicklungstypische Verhaltensweise ubiquitär und im statistischen Sinne normal sowie in den meisten Fällen auf einen begrenzten biographischen Übergangszeitraum beschränkt ist, hat in der jugendstrafrechtlichen Wissenschaft wie auch der Praxis weithin Anerkennung gefunden."211
  20. Eine kleine Gruppe jugendlicher Tatverdächtiger fällt durch die Häufigkeit der Straftatbegehung auf. Stellt man auf die Relation Taten : Täter ab, dann zeigt sich, dass auf eine kleine Gruppe von "mehrfach Auffälligen" eine sehr hohe Zahl von Delikten entfällt. In mehreren "Intensivtäter-Untersuchungen" wurde übereinstimmend festgestellt, dass jeweils zwischen 3% bis rd. 5% der Täter im Querschnitt eines Jahres über 30% der für die jeweils gesamte Altersgruppe bekannt gewordenen Straftaten auf sich vereinen. Eine neuere Untersuchung von 14- und 15jährigen Jugendlichen in Bayern hat ergeben, dass während eines Fünf-Jahres-Zeitraums 10% der Tatverdächtigen etwas mehr als 50% aller Straftaten dieser Gruppe verübt hatten.
  21. Die weitaus meisten jungen Menschen hören von selbst auf, Straftaten zu begehen, und zwar ohne Eingreifen von Polizei und Justiz. Strafrechtliche Auffälligkeit im Jugendalter ist deshalb für sich allein, aber auch in Verbindung mit sozialen Belastungsmerkmalen, kein brauchbares Indiz für eine drohende negative Entwicklung des Sozialisationsprozesses. Speziell für die Prognostizierbarkeit einer kriminellen Karriere gilt, dass nach dem derzeitigen Stand der Forschung diese weder hinsichtlich Ansatz noch Fortsetzung, geschweige denn Abbruch, mit hinreichend großer Treffsicherheit prognostizierbar ist; die Zahl der "falschen Positiven" ist unvertretbar hoch.
  22. Die Angst der Erwachsenen, Opfer von Gewaltkriminalität jüngerer Täter zu werden, ist zumeist unbegründet. Denn Tatverdächtige und Opfer gehören überwiegend derselben Altersgruppe an; die weit überwiegende Zahl sowohl der qualifizierten Körperverletzungen als auch des Raubes wird innerhalb von Gleichaltrigengruppen verübt. Wenn es eine Asymmetrie in der Gefährdungsstruktur gibt, dann derart, dass junge Menschen durch Übergriffe von Erwachsenen gefährdet sind. Die höchsten Opferraten, insbesondere im Bereich der Gewaltkriminalität, und die stärksten Anstiege finden sich regelmäßig bei jungen Menschen, namentlich bei männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden. Unter Berücksichtigung auch der familiären Gewalt sind junge Menschen weitaus häufiger Gewaltopfer als Gewalttäter. Nicht so sehr als Täter, sondern vor allem als Opfer verdienen sie deshalb unsere Aufmerksamkeit und unseren Schutz.

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