KIK   Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung
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III. Umfang, Struktur und Entwicklung der "registrierten Jugendkriminalität"

1. Die Begriffe "Jugend", "Kriminalität" und strafrechtliche Sozialkontrolle

Wer zur "Jugend" zählt und was als "Kriminalität" bezeichnet wird, ist interkulturell verschieden und dem intra- wie interkulturellen Wandel unterworfen. Weder gibt es, weltweit gesehen, "ein einziges Jahr des Lebens, das in jedem Rechtssystem dem Jugendalter zugerechnet würde" 76, noch gibt es auch nur zwei Verhaltensweisen, die immer und überall als kriminell bewertet worden sind. Erst der jeweilige Bezugsrahmen, sei es ein strafrechtlicher, ein pädagogischer, ein soziologischer, ein kriminologischer usw., erlaubt die Eingrenzung der jeweils gemeinten Phänomene 77.

Im strafrechtlichen Bezugsrahmen der Bundesrepublik Deutschland wird mit "Jugend" die Altersgruppe der zur Zeit der Tat 14- bis unter 18jährigen bezeichnet. In das Jugendstrafrecht als Sonderstrafrecht für junge Menschen sind ferner die Heranwachsenden einbezogen, d.h. die zur Zeit der Tat 18 aber noch keine 21 Jahre alten Personen. Zum Vergleich und um entwicklungspsychologischen und soziologischen Fragestellungen besser gerecht zu werden, wird die Kriminalität junger Menschen freilich nicht lediglich der Erwachsenenkriminalität (über 21jährige Personen) gegenübergestellt, sondern es werden auch die straftatbestandsmäßigen Handlungen weiterer Altersgruppen unterschieden, insbesondere einerseits die Delinquenz von Kindern (unter 14Jährige), andererseits die Kriminalität von Jungerwachsenen (21- bis unter 25Jährige) und von Vollerwachsenen (über 25Jährige).

"Kriminalität" meint in diesem Bezugsrahmen die Summe der strafrechtlich missbilligten Handlungen. Das Strafrecht bestimmt also, was als Rechtsbruch zu gelten hat, d.h. es legt Umfang und Inhalt der als Rechtsbruch anzusehenden Teilmenge des abweichenden Verhaltens fest. Ferner bestimmt das Jugendstrafrecht die Altersgrenzen, die für diese Gruppen als altersadäquat geltenden Reaktionsweisen sowie das förmliche Verfahren, in dem auf strafbare Taten reagiert wird. Gegenständlich wird häufig die Begrenzung auf strafbares Verhalten aufgegeben zugunsten einer Einbeziehung von (norm-)abweichendem Verhalten, das als symptomatisch für eine gestörte Entwicklung betrachtet wird, wie z.B. Schuleschwänzen, Alkoholmissbrauch, Weglaufen von zu Hause. Um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen, wird im Folgenden auf die sog. "Kinderdelinquenz" nur am Rande eingegangen; die (nicht straftatbestandsmäßige) Jugenddelinquenz wird nicht behandelt werden.

Bei zeitlichen Längsschnittbetrachtungen und bei internationalen Vergleichen ist zu beachten, dass der Inhalt der Begriffe "Jugend", "Strafmündigkeit" 78 und "Kriminalität" national unterschiedlich und überdies dem Wandel unterworfen ist. In Deutschland wurden z.B. die 12 bis unter 14jährigen Personen erst 1923 mit Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes aus dem Strafrecht herausgenommen. Dem Wandel unterworfen ist aber auch die durch das Strafrecht erfolgende Festlegung dessen, was "strafbar" ist. Obwohl sich in Deutschland der Kernbestand des strafbaren Unrechts nur langsam oder geringfügig verändert hat, sind "in den letzten einhundert Jahren erhebliche Wandlungen in Inhalt und Umfang des kriminalisierten Verhaltensbereichs nicht zu übersehen. Man schätzt, dass sich die Zahl der mit Kriminalsanktionen bewerteten Rechtsnormen vermehrfacht hat."79 . Hinzu kommt, dass Änderungen sozialer, wirtschaftlicher oder technischer Art zu neuen Kriminalitätsformen führen, von Straßenverkehrskriminalität über Ladendiebstahl bis hin zu Videopiraterie und Raubkopien von Software.

In der Bundesrepublik Deutschland bilden jugendstrafrechtliche Sozialkontrolle, Jugendhilfe und Jugendschutz das System formeller Jugendsozialkontrolle, das wiederum auf der informellen Sozialkontrolle - Familie, Kindergarten, Schule, Altersgruppe, Ausbildungsstätte etc. - aufbaut. Aufgabe der Träger jugendstrafrechtlicher Sozialkontrolle - Jugendpolizei, Jugendstaatsanwaltschaft, Jugendgericht, Jugend(gerichts)hilfe, Bewährungshilfe und Jugendstrafvollzug - ist es, mit den Mitteln jugendstrafrechtlicher Hilfen und Kontrollen zur Wahrung von Konformität beizutragen. Jugendkriminalität und Jugendgerichtsbarkeit stehen folglich nicht isoliert für sich, sondern sind in den übergeordneten Gesamtzusammenhang von Gesellschaft, Sozialisation und Sozialkontrolle eingebettet.

2. Verfügbare Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken

Grundlage für die folgende Darstellung der "registrierten" Jugendkriminalität sind die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), die Staatsanwaltschaftsstatistik (StA-Statistik) sowie die Strafverfolgungsstatistik (StVStat). Bei Abschluss des Manuskripts lagen vor für das Berichtsjahr 2000 die Polizeiliche Kriminalstatistik, für das Berichtsjahr 1999 die StVStat, für 1998 die StA-Statistik (ohne Ergebnisse für Hamburg und Schleswig-Holstein).

In regionaler Hinsicht liegen zwar die Ergebnisse der PKS und der StA-Statistik für die Bundesrepublik vor, die Ergebnisse der StVStat aber nur für die alten Länder (seit 1995 mit Gesamtberlin). Da die StVStat in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt noch nicht geführt wird80, veröffentlicht das Statistische Bundesamt derzeit, von einigen Eckwerten (seit 1997) abgesehen, die Ergebnisse der StVStat lediglich für die alten Bundesländer einschließlich Gesamtberlin. Die Daten für die alten Länder schließen bis zur deutschen Einigung West-Berlin ein. Die Daten Ostberlins wurden in der ersten Hälfte der 90er Jahre in die Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken für die alten Länder integriert. In der PKS erfolgte dies ab dem Berichtsjahr 1991, in der StA-Statistik ab 1993, in der StVStat ab 1995. Der Zeitreihenvergleich ist allerdings durch diese zeitlich versetzte Einbeziehung Ost-Berlins kaum beeinträchtigt. Im Folgenden werden überdies - bei Gegenüberstellung von TVBZ und VBZ - ab 1991 die Ergebnisse für die alten Länder einschließlich Gesamtberlin dargestellt. Hierfür wurden die intern vorliegenden Daten der StVStat für Ost-Berlin mit einbezogen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Vergleich von TVBZ und VBZ für jeweils gleiche Gebiete erfolgt.

Zeitreihenvergleiche setzen Vergleichbarkeit der Daten voraus. Der Längsschnittvergleich der Ergebnisse der PKS ist allerdings nur eingeschränkt möglich:

Hinsichtlich der Fallzählung wird deshalb die Darstellung auf die Zeit seit 1963 beschränkt, hinsichtlich Tatverdächtiger oder Verurteilter auf die Zeit ab 1984.

3. Valide Messgrößen als Voraussetzung zur Messung von "registrierter" Jugendkriminalität

Am häufigsten als Tatverdächtige und als Verurteilte registriert werden die Vollerwachsenen, was wegen deren größeren Anzahl in der Wohnbevölkerung erwartbar ist (vgl. Übersicht 2).

Übersicht 2: Bevölkerung, Tatverdächtige und Verurteilte nach Altersgruppen
Alte Länder mit Gesamtberlin, 1999 (Tatverdächtige und Verurteilte jeweils ohne Straftaten im Straßenverkehr)
  Bevölkerung in % Tatver-
dächtige
in % Verurteilte in %
Jugendliche 2.499.366 4,8 220.720 13,2 45.328 8,3
14 bis unter 16 1.247.000 2,4 104.215 6,2 17.794 3,3
16 bis unter 18 1.252.366 2,4 116.505 6,9 27.534 5,0
Heranwachsende 1.766.924 3,4 182.784 10,9 55.303 10,1
Jungerwachsene 2.404.334 4,6 201.741 12,0 88.436 16,2
Vollerwachsene 45.232.726 87,1 1.073.046 63,9 356.377 65,3
25 bis unter 30 4.258.859 8,2 219.404 13,1 90.437 16,6
30 bis unter 40 10.359.759 20,0 385.464 23,0 138.959 25,5
40 bis unter 50 8.364.638 16,1 232.408 13,8 73.790 13,5
50 bis unter 60 7.914.112 15,2 138.751 8,3 37.378 6,9
60 und älter 14.335.360 27,6 97.019 5,8 15.813 2,9
insgesamt 51.903.350 100 1.678.291 100 545.444 100

Datenquelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1999, Tab. 20 (alte Länder);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgungsstatistik 1999.

Im zeitlichen Längsschnittvergleich wie im Vergleich verschiedener, z.B. nach Alter, Geschlecht oder Delikt differenzierter Tätergruppen, erst recht natürlich im interkulturellen Vergleich, sind absolute Zahlen nicht aussagekräftig. Erforderlich ist deren Standardisierung; diese erfolgt üblicherweise durch Berechnung der sog. Tatverdächtigen- bzw. Verurteiltenbelastungszahl (TVBZ bzw. VBZ), d.h. der auf 100.000 der (z.B. alters- oder geschlechtsgleichen) Wohnbevölkerung bezogenen Zahl der Tatverdächtigen/Verurteilten. Freilich setzt dies voraus, dass die Bezugsgröße, hier: die zur Wohnbevölkerung gemeldeten Personen, hinreichend genau bekannt ist. Unvermeidlich und hinnehmbar sind Fehler, die sich dadurch ergeben, dass es sich um fortgeschriebene Bevölkerungszahlen handelt, d.h. um solche, die seit der jeweils letzten Volkszählung fortgerechnet worden sind. Weitaus problematischer sind indes systematische Unterschätzungen der Bezugsgröße hinsichtlich einzelner Bevölkerungsgruppen. Dies ist insbesondere bei Migrationen regelmäßig der Fall. So werden derzeit in Deutschland Nichtdeutsche nur teilweise zur Wohnbevölkerung erfasst; nicht erfasst sind:

Da die Zahl der amtlich nicht gemeldeten Nichtdeutschen unbekannt, jedoch vermutlich groß ist83, können valide Belastungszahlen lediglich für die Teilgruppe der deutschen Tatverdächtigen und Verurteilten berechnet werden 84. Entsprechende Daten liegen ab 1984 vor85. Die im Folgenden mitgeteilten TVBZ bzw. VBZ beziehen sich dementsprechend immer nur auf die Deutschen. Selbst für die Teilgruppe der ausländischen Tatverdächtigen, die zur Wohnbevölkerung gemeldet sind, lassen sich nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes keine validen Belastungszahlen berechnen86.

4. Umfang, Struktur und Entwicklung der "registrierten" Jugendkriminalität

4.1 Umfang der "registrierten" Kriminalität junger Menschen

Wie Schaubild 787 zeigt, beträgt die Kriminalitätsbelastung bei jungen Menschen ein Mehrfaches der Belastung der Vollerwachsenen. Eine derartige Überrepräsentation junger Menschen sowohl unter den Tatverdächtigen als auch unter den Verurteilten ist seit langem zu verzeichnen. Seit Führung einer amtlichen Kriminalstatistik für Deutschland - seit 1882 - ist die Altersverteilung der Verurteilten durch eine ausgeprägte "Linksschiefe" gekennzeichnet. Die Kriminalitätsbelastung steigt vom 14. Lebensjahr an zunächst recht steil an, erreicht bei den Heranwachsenden und Jungerwachsenen ihren Gipfel, fällt danach relativ stark wieder ab und läuft ab dem 35. Lebensjahr allmählich aus (vgl. Schaubild 8) 88. Diese höhere Belastung junger Menschen wird auch durch Dunkelfelduntersuchungen in Form von Täterbefragungen bestätigt. Die Spitze der Kriminalitätsbelastung ist hierbei sogar gegenüber den Daten der amtlichen Statistiken vorverlagert89 .

Belastungszahlen für Deutsche, nach Geschlecht
und Altersgruppe, 1999

Wegen Verbrechen und Vergehen Verurteilte
nach Altersgruppen
1896/95, 1901, 1911: Strafmündige ab 12 Jahren, 1928 und später: ab 14 Jahre.

Der Vergleich der TVBZ und der VBZ (Schaubild 7) verdeutlicht nicht nur, dass junge Menschen im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil deutlich überrepräsentiert sind. Der Vergleich zeigt auch, dass die Belastung, gemessen anhand der VBZ, deutlich niedriger ist als die Belastung gemessen an TVBZ, dass die Unterschiede zwischen den Altersgruppen weniger stark ausgeprägt sind und sich die Belastungsspitzen von den heranwachsenden Tatverdächtigen zu den jungerwachsenen Verurteilten verschieben. Diese Verschiebung ist Folge einer differentiellen Entkriminalisierung durch Staatsanwaltschaft oder Gericht (vgl. Schaubild 9)90. So kamen 1999 auf 100 tatverdächtige deutsche Jugendliche lediglich 20 Verurteilte, bei Jungerwachsenen betrug die Relation hingegen 100:46 91. Da die StA-Statistik jedoch weder eine Delikts- noch eine Altersdifferenzierung enthält, kann nicht festgestellt werden, ob diese Entkriminalisierung darauf beruht, dass

Verurteilte in % der Tatverdächtigen (Deutsche),
nach Altersgruppen, 1999

Erst durch diese auf prozessualem Wege, durch Verfahrenseinstellungen, erfolgende Entkriminalisierungsleistung lässt sich der Anteil der strafrechtlich Vorbelasteten in Grenzen halten. Zum Beispiel waren von sämtlichen männlichen Jugendlichen des Geburtsjahrgangs 1961 am Ende des 18. Lebensjahres 14,5% wegen einer Verfahrenseinstellung oder wegen einer Verurteilung im Bundeszentralregister eingetragen, beim Geburtsjahrgang 1967 waren es bereits 17,2%92 . Durch vermehrte Verfahrenseinstellungen konnte aber die Prävalenzrate der formell Sanktionierten auf gleichem Niveau gehalten werden (vgl. Übersicht 3). Dennoch ist der Anteil der Verurteilten relativ hoch; nach begründeten Schätzungen dürfte der Anteil der am Ende des 25. Lebensjahres informell 93 oder formell 94 sanktionierten Männer bei über 50% liegen95.

Übersicht 3: Prävalenzraten bei männlichen und weiblichen Jugendlichen der Geburtsjahrgänge 1961 und 1967 am Ende des Jugendalters
Bundeszentralregisterdaten
  Jahrgang 1961 Jahrgang 1967 Veränderung
% (relativ)
männl. weibl. männl. weibl. männl. weibl.
Bevölkerungszahl 511.700 487.800 523.300 496.500 + 2,3% + 1,8%
mindestens eine Registrierung1) 74.339 16.260 90.206 25.661 + 21,3% + 57,8%
Prävalenz formell und informell Sanktionierter2) 14,5% 3,3% 17,2% 5,2% + 18,6% + 57,6%
Prävalenz formell Sanktionierter3) 7,9% 1,4% 7,7% 1,3% - 2,5% - 7,1%

1)
Im Zentral- oder im Erziehungsregister eingetragene Verurteilte (einschließlich § 27 JGG) und Personen, die ausschließlich wegen einer Verfahrenseinstellung gem. §§ 45, 47 JGG eingetragen sind.
2)
Die Prävalenzrate formell und informell Sanktionierter bezeichnet den Anteil der formell (durch Verurteilung, einschl. § 27 JGG) oder informell (gem. §§ 45, 47 JGG) Sanktionierten an der altersgleichen Bevölkerung.
3)
Die Prävalenzrate formell Sanktionierter bezeichnet den Anteil der formell (durch Verurteilung, einschl. § 27 JGG) Sanktionierten an der altersgleichen Bevölkerung.

Quelle:Heinz, Wolfgang; Spiess, Gerhard; Storz, Renate: Prävalenz und Inzidenz strafrechtlicher Sanktionierung im Jugendalter, in: Kaiser, G.; Kury, H.; Albrecht, H.-J, (Hrsg.): Kriminologische Forschung in den 80er Jahren. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Bd. 35/2. Freiburg i.Br. 1988, 647, 648.

4.2 Struktur der "registrierten" Jugendkriminalität

Relativiert wird diese Überrepräsentation junger Menschen unter den Tatverdächtigen wie unter den Verurteilten, wenn Art und Schwere der verübten Delikte betrachtet werden96 . Bei den von Jugendlichen typischerweise verübten Delikten handelt es sich um leichtere Delikte 97. Sowohl nach der PKS (vgl. Schaubild 10)98 als auch nach der StVStat dominieren bei Jugendkriminalität die Eigentums- und Vermögensdelikte, ausweislich der StVStat auch die Verkehrsdelikte. Als neue deliktische Erscheinungsform ist seit einigen Jahren zunehmend stärker die Rauschgiftdelinquenz in den Vordergrund getreten, vor allem bei den Heranwachsenden und den Jungerwachsenen. Einen überproportionalen Anteil der Tatverdächtigen bzw. Verurteilten stellen junge Menschen allerdings auch bei Gewaltkriminalität, insbesondere bei Körperverletzung und bei Raub.

Tatverdächtigen-Belastungszahlen nach Delikts-
und Altersgruppen, 1999

Jugendliche und Heranwachsende werden demnach besonders häufig wegen Delikten registriert bzw. verurteilt, die entweder von der sozialen Lage und den Zugangschancen bestimmt (Fahren ohne Führerschein bzw. unbefugter Fahrzeuggebrauch) oder durch Bereicherungs-, Gewalt- und Aggressionselemente ausgezeichnet sind (Diebstahl, Raub, Erpressung). Das Deliktsspektrum erweitert sich erst mit zunehmendem Alter.

Bei registrierter Kriminalität junger Menschen handelt es sich überwiegend um Delikte, die - im Vergleich zur Erwachsenenkriminalität - weniger schwer sind 99. Erwachsene, nicht Jugendliche, sind die typischen Täter der Wirtschaftskriminalität, der Umweltkriminalität, des Drogen-, Waffen- und Menschenhandels und weiterer Spielarten der Organisierten Kriminalität, der Korruption und der Bestechlichkeit, von Gewalt in der Familie, des Versicherungsbetrugs und der Steuerhinterziehung.

4.3 Entwicklung der "registrierten" Jugendkriminalität

4.3.1 Überblick

Weniger wegen ihres Ausmaßes - Jugend ist die Zeit des Umbruchs und des höchsten Aktivitätsgrades - als vielmehr wegen ihres Anstieges wird Jugendkriminalität als Problem empfunden. Den Daten der PKS zufolge ist die "registrierte" Kriminalität der (deutschen) Jugendlichen, der Heranwachsenden und der Jungerwachsenen nicht nur wesentlich höher als die der Erwachsenen, sondern sie ist, nach einigen Jahren der Konstanz (bis 1988), in den letzten Jahren deutlich angestiegen105. Der Anstieg der polizeilich registrierten Gesamtkriminalität wird fast ausschließlich von jungen Menschen (unter 25 Jahren) getragen.

Diese anhand der Daten der PKS ablesbare Entwicklung wird indes durch die Daten der VBZ106 nur teilweise bestätigt (vgl. Übersicht 4).

Übersicht 4:Veränderungen der Belastungszahlen (TVBZ, VBZ)
Straftaten insgesamt (ohne Straßenverkehr) 1984-1999
Bundesrepublik Deutschland, alte Länder (seit 1991 mit Gesamtberlin)
  Jugendliche Heranwachsende Jungerwachsene Vollerwachsene
  TVBZ VBZ TVBZ VBZ TVBZ VBZ TVBZ VBZ
1984 3.658,8 1.355,9 4.201,4 1.812,2 3.535,4 1.776,1 1.562,6 609,9
1999 6.648,2 1.360,8 6.821,7 2.159,2 4.904,4 2.275,4 1.691,2 572,0
%-Veränd.                
TVBZ +81,7   +62,4%   +38,7%   +8,2%  
VBZ   +0,4%   +19,1%   +28,1%   -6,2%

Datenquellen: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1984, 1999, Tab. 40 (jeweils alte Länder);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgungsstatistik 1984, 1999,
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung nach Alter und Geschlecht (Tab. B 15).

Die vergleichende Gegenüberstellung zeigt (vgl. Schaubilder 11-16)107

Deutsche Tatverdächtige und Verurteilte,
nach Altersgruppen, Straftaten insgesamt (ohne Verkehrsdelikte)

  1. Die TVBZ der Jugendlichen, der Heranwachsenden, der Jungerwachsenen und der Vollerwachsenen waren - bei Straftaten insgesamt (ohne Vergehen im Straßenverkehr) - bis Mitte der 80er Jahre entweder weitgehend konstant oder sogar leicht rückläufig. Sie sind gegen Ende der 80er Jahre deutlich gestiegen, und zwar vor allem die der Jugendlichen, der Heranwachsenden und - etwas abgeschwächt - auch der Jungerwachsenen.
  2. Ein strukturell damit nur teilweise übereinstimmendes Bild zeigen die VBZ. Denn die VBZ sind Ende der 80er Jahre noch zurückgegangen und erst gegen Mitte der 90er Jahre angestiegen, wobei die Anstiege bei weitem nicht so ausgeprägt waren wie bei den TVBZ. Insbesondere liegen - im Unterschied zu den TVBZ - die VBZ bei Mord/Totschlag (vgl. Schaubild 12)108 sowie bei (einfachem und schwerem) Diebstahl (vgl. Schaubilder 15 und 16) (Jungerwachsene ausgenommen) bei allen Altersgruppen, bei Männern wie bei Frauen, unter dem Niveau von 1984. Zugenommen haben die VBZ dagegen bei Raub/Erpressung (ausgenommen männliche Jung- und Vollerwachsene) sowie bei gefährlicher/schwerer Körperverletzung (männliche Vollerwachsene ausgenommen) (vgl. Schaubilder 13 und 14).

    Deutsche Tatverdächtige und Verurteilte,
nach Altersgruppen, Mord und Totschlag (einschl. Versuch)

    Deutsche Tatverdächtige und Verurteilte,
nach Altersgruppen, Gefährliche und schwere Körperverletzung

    Deutsche Tatverdächtige und Verurteilte,
nach Altersgruppen, Raub, räub. Erpressung (§sect;§ 249-256, 316a StGB

    Deutsche Tatverdächtige und Verurteilte,
nach Altersgruppen, Schwerer Diebstahl

    Deutsche Tatverdächtige und Verurteilte,
nach Altersgruppen, Einfacher Diebstahl

  3. Mit Ausnahme von gefährlicher und schwerer Körperverletzung sind im letzten bzw. in den letzten beiden Jahren die TVBZ und die VBZ bei fast allen Delikts-, Alters- und Geschlechtsgruppen zurückgegangen.
  4. Auch wenn die VBZ bei Mord/Totschlag sowie bei (einfachem und schwerem) Diebstahl 1999 noch unter dem Niveau von 1984 liegen, so besteht - allerdings nur der Struktur nach - insoweit Übereinstimmung in der Entwicklung von TVBZ und VBZ dahingehend, dass auch die VBZ Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre bei sämtlichen Straftatengruppen angestiegen sind, wenngleich deutlich abgeschwächt gegenüber den TVBZ.
  5. Die nach VBZ gemessene Belastung liegt allerdings um ein Mehrfaches unter jener nach TVBZ. Dies gilt insbesondere auch bei schweren Formen der Gewaltkriminalität. Auf einen wegen Mordes/Totschlages verurteilten männlichen Jugendlichen kamen 1999 4,7 tatverdächtige Jugendliche, bei Raub/Erpressung lautet die Relation 1:2,8, bei gefährlicher/schwerer Körperverletzung 1:3,9.
  6. Die Anstiege der TVBZ sind - gemessen über die Häufigkeitszahlen - weitaus stärker als die der VBZ, und zwar auch bei zeitversetzter Betrachtung.
  7. Der Vergleich der Relationen männlich : weiblich zu den beiden Messzeitpunkten 1984 und 1999 (vgl. Übersicht 5) zeigt, dass sich die Belastungsunterschiede überwiegend entweder verringert haben oder aber auf gleichem Niveau geblieben sind 109. Die Anstiegsraten bei den Frauen sind damit überwiegend höher oder zumindest in gleichem Masse gestiegen wie die der Männer. Dies ändert aber nichts daran, dass Frauen weiterhin deutlich unterrepräsentiert sind, insbesondere im Bereich der schweren Kriminalitätsformen.

Übersicht 5: Straftaten insgesamt (ohne Straßenverkehr) 1984 und1999
Bundesrepublik Deutschland, alte Länder (seit 1991 mit Gesamtberlin)
Straftaten insgesamt (ohne Straßenverkehr) Relation TV/VU
1. Zeile: männl.
2. Zeile: weibl.
  Männlich Weiblich Relation m/w
1984 1999 %Ver. 1984 1999 %Ver. 1984 1999 1984 1999
Jugendliche
TVBZ 5489,3 9447,8 +72,1 1743,3 3709,8 +112,8 3,1 2,5 2,5 4,2
VBZ 2239,9 2250,8 +0,5 430,9 426,7 -1,0 5,2 5,3 4,0 8,7
Heranwachsende
TVBZ 6709,9 10751,5 +60,2 1573,8 2771,9 +76,1 4,3 3,9 2,2 2,9
VBZ 3075,2 3651,9 +18,8 489,1 620,9 +26,9 6,3 5,9 3,2 4,5
Jungerwachsene
TVBZ 5532,8 7732,6 +39,8 1443,3 2033,7 +40,9 3,8 3,8 1,9 2,1
VBZ 2879,6 3721,4 +29,2 620,3 807,7 +30,2 4,6 4,6 2,3 2,5
Vollerwachsene
TVBZ 2521,9 2672,9 +6,0 765,8 812,8 +6,1 3,3 3,3 2,5 2,8
VBZ 1017,3 951,2 -6,5 271,5 232,7 -14,3 3,7 4,1 2,8 3,5

Datenquellen: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1984, 1999, Tab. 40 (jeweils alte Länder);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgungsstatistik 1984, 1999,
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung nach Alter und Geschlecht (Tab. B 15).

  1. Die TVBZ sind nicht nur weitaus höher als die VBZ, sie weisen auch deutlich stärkere Anstiege auf. Diese Schere, d.h. die Differenz zwischen TVBZ und VBZ, ist bei allen in den Vergleich einbezogenen Straftatengruppen 1999 deutlich größer als noch 1984, und zwar trotz der Anstiege der VBZ. Dies wird daran erkennbar, dass die Relation zwischen TVBZ/VBZ 1999 bei fast allen Alters- und allen Deliktsgruppen der Gewaltkriminalität deutlich größer ist als noch 1984. In den letzten zwei bzw. drei Jahren haben sich freilich die Abstände zwischen TVBZ und VBZ wieder etwas verringert, und zwar insbesondere bei den jüngeren Altersgruppen.

    Dieser Befund einer immer stärker werdenden Auseinanderentwicklung von TVBZ und VBZ ist erklärungsbedürftig 110. Für Eigentumsdelikte liegt die Vermutung nahe, diese Diskrepanz sei Folge der Zunahme von Verfahrenseinstellungen. Bei den gravierenden Deliktsformen, insbesondere bei Gewaltkriminalität, dürfte dies freilich keine hinreichende Erklärung sein. Allein mit vermehrter Einstellung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren lässt sich dieser Befund in diesem Ausmaß jedenfalls nicht erklären, denn auch bei Jungerwachsenen und Vollerwachsenen öffnet sich diese Schere, und zwar in teilweise noch stärkerem Maße als bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Als Erklärung kommen vor allem folgende Möglichkeiten in Betracht:

    • Zunahme vor allem im Bereich der minder schweren Delikte, die vermehrt aus Opportunitätsgründen eingestellt werden, deshalb also nicht zur Verurteilung gelangen111. Anhaltspunkte für diese Annahme liefert eine vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) zum Anstieg der Jugendgewalt in Hannover durchgeführte Aktenanalyse, bei der die Strafverfahrensakten von unter 21jährigen Beschuldigten von Raub- und qualifizierten Körperverletzungsdelikten der Jahre 1993 und 1996 ausgewertet wurden. Diese Untersuchung ergab, dass es 1996 gegenüber 1993 zu einem (relativen) Rückgang der schweren Tatfolgen (gemessen über Schadenssummen, Schwere der Verletzungen), der Schwere der Tatdurchführung (gemessen über Einsatz/Mitführen einer Waffe) und der Vorbelastung der Angeklagten mit früheren Verfahren gekommen war112. Wenn es zu einer Zunahme vor allem leichterer Formen der Gewaltkriminalität gekommen sein sollte, dann wäre zu erwarten, dass diese minder schweren Fälle vermehrt aus Opportunitätsgründen eingestellt werden, also nicht zur Verurteilung gelangen. Mangels deliktsspezifischer Differenzierung der StA-Statistik lässt sich diese These anhand der amtlichen Statistiken indes nicht prüfen.
    • Als Erklärung könnte ferner eine Änderung der polizeilichen Verdachtsschöpfung und Bewertung in Betracht kommen mit der Folge, dass bekannt gewordene Fälle eher als "gravierender" eingestuft werden. Die Erfassung in der PKS tendiert zur "Überschätzung". Es ist nicht auszuschließen, dass sich auch insoweit über die Zeit hinweg Änderungen ergeben haben

Diese Auseinanderentwicklung von TVBZ und VBZ ändert freilich nichts daran, dass die Kriminalitätsbelastung junger Menschen, gemessen an Hellfelddaten, gestiegen ist. Dies ist zunächst eine Herausforderung an die Justiz, und zwar sowohl was den Umgang mit den Straftätern als auch mit den Opfern angeht. Dies ist ferner eine Herausforderung an die Kriminalpolitik, der es obliegt, Bedingungen dafür zu schaffen, dass (nicht nur) jungen Menschen ein Leben ohne Straftaten nicht nur ermöglicht wird, sondern auch Anreize dafür geschaffen werden.

Ob und inwieweit dieser Anstieg der "registrierten" Kriminalität eine Entsprechung in der "Kriminalitätswirklichkeit" hat, oder ob es sich um eine Verschiebung der Grenze zwischen Hellfeld- und Dunkelfeld handelt, lässt sich mangels repräsentativer, periodischer Täterbefragungen nicht klären113 . Lediglich für einige Opfergruppen, z.B. Schüler, lässt sich empirisch einigermaßen begründet sagen, dass die Kriminalität auch im Dunkelfeld zugenommen hat, dass der Anstieg der berichteten Viktimisierungserfahrungen indes geringer ist als der Anstieg der registrierten Kriminalität114 . Den gegenwärtigen Forschungsstand fasste Kreuzer dementsprechend folgendermaßen zusammen: "In erster Linie die erwähnten amtlichen Datenquellen lassen auf einen kontinuierlichen Anstieg der Jugendkriminalität in den Nachkriegsjahren schließen. Nach der Dunkelfeldforschung erscheint dies allenfalls in Ansätzen belegbar ... Bei aller Fragwürdigkeit internationaler Kriminalitätsvergleiche fällt doch auf, dass ziemlich übereinstimmend zumindest im Langzeitvergleich über steigende registrierte Jugendkriminalität berichtet wird. ... Nach Delinquenzbefragungen scheinen sich geringere Anstiege abzuzeichnen."115

4.3.2 Entwicklung der Gewaltkriminalität

4.3.2.1 Die quantitative Dimension von Gewaltkriminalität innerhalb der Gesamtkriminalität

Gewaltkriminalität ist in Deutschland kein quantitatives Problem. 1999 entfielen auf Gewaltkriminalität 3,0% aller polizeilich registrierten Fälle (ohne Straßenverkehrskriminalität) (vgl. Schaubild 17). Freilich hängen quantitative wie qualitative Betrachtung entscheidend ab von der Definition von "Gewalt" und von "Gewaltkriminalität"116 . Der auf Gewaltkriminalität entfallende Anteil wäre deutlich höher, würden nicht nur, wie derzeit, schwere Gewaltdelikte erfasst, sondern auch die (regelmäßig) minder schweren Formen, wie einfache Körperverletzung (4,0%), Sachbeschädigung (10,4%), Nötigung (0,6%) oder Freiheitsberaubung (0,1%), wobei freilich die Tatbestandsverwirklichung dieser Delikte, insbesondere bei der Sachbeschädigung, nicht notwendigerweise die Anwendung von Gewalt voraussetzt.

Entwicklung der Gesamthäufigkeitszahl
polizeilich registrierter Fälle insgesamt und Gewaltkriminalität; 1963-1998 (Westdeutschland + Berlin

Gewaltkriminalität ist primär ein qualitatives Problem, denn gewogen ergibt sich ein anderes Bild als gezählt: Numerisch zählt in der Statistik ein Mord ebensoviel wie ein Ladendiebstahl.

Innerhalb der heterogenen Sammelgruppe "Gewaltkriminalität" werden deren Umfang und Entwicklung in quantitativer Hinsicht von (gefährlicher und schwerer) Körperverletzung und Raub bestimmt. Auf diese beiden Deliktsgruppen entfielen 1999 94,2% aller registrierten Fälle von "Gewaltkriminalität"117 . Unter den Raubdelikten dominieren die Raubüberfälle auf Straßen, Wegen und Plätzen (1999: 45,0%); vom Schaden (genauer: der Beute) her gesehen, handelt es sich überwiegend um Kleinräubereien: Bei 37,3% sämtlicher vollendeter Raubdelikte wurden 1999 bis zu 100 DM erbeutet, bei weiteren 45,4% zwischen 100 und 1000 DM118 .

Der Anstieg der polizeilich registrierten "Gewaltkriminalität" beruht auf der Zunahme bei (gefährlicher und schwerer) Körperverletzung sowie bei Raub. Andere Kriminalitätsformen, insbesondere Mord/Totschlag, blieben - jeweils gemessen in Häufigkeitszahlen, also bezogen auf 100.000 Einwohner - seit Anfang der 80er Jahre konstant oder entwickelten sich, wie Vergewaltigung119, rückläufig (vgl. Schaubild 18). Eine weitere Relativierung ergibt sich durch den hohen Anteil nur versuchter Delikte. 1999 betrug der Anteil der Versuche bei den Tötungsdelikten 64,7%, bei Vergewaltigung 24,2%, bei Raubdelikten 19,4% sowie bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung 7,3%120.

Entwicklung der Häufigkeitszahl polizeilich
registrierter Gewaltkriminalität; 1963-2000 (Westdeutschland + Berlin)

4.3.2.2 Gewaltkriminalität junger Menschen - die quantitative Dimension

Besondere Aufmerksamkeit wurde der Jugendkriminalität in den letzten Jahren unter dem Gesichtspunkt sowohl einer Zunahme als auch einer qualitativen Veränderung der Jugendgewalt geschenkt 121. Hierbei wird freilich oft übersehen, dass vor allem öffentlich sichtbare Gewalt angezeigt und polizeilich registriert wird, andere Formen der Gewalt, wie Gewalttaten im familiären Bereich - Kindesmisshandlung, sexueller Missbrauch und sonstige Formen der Gewalt in der Familie - und in bestimmten Gruppen - Rotlichtmilieu, Organisierte Kriminalität - überwiegend im Dunkelfeld bleiben. Junge Menschen verüben Delikte häufiger im öffentlichen Raum und sind schon deshalb im Vergleich zu Erwachsenen unter den Tatverdächtigen systematisch überrepräsentiert.

Unter den polizeilich registrierten Tatverdächtigen der Gewaltkriminalität sind junge Menschen überrepräsentiert (vgl. Übersicht 6):

Übersicht 6: Deutsche Tatverdächtige nach Alter, Geschlecht und Deliktsgruppen
Bundesrepublik Deutschland (alte Länder einschließlich Gesamtberlin) 1999

TVBZ insgesamt (jeweils Deutsche)
  Jugendliche Heranwach-
sende
Jung-
erwachsene
Voll-
erwachsene
Insgesamt 6.648,2 6.821,7 4.904,4 1.691,2
Mord/Totschlag 3,5 7,1 5,6 3,0
Raub/räub. Erpressung 270,6 198,4 97,1 16,9
Gef./schwere Körperverletzung 577,2 588,1 355,8 78,7
Summe TVBZ Gewaltdelikte 851,2 793,5 458,5 98,6
Anteil TVBZ Gewaltdelikte
an TVBZ insgesamt
12,8 11,6 9,3 5,8

TVBZ männlich (jeweils Deutsche)
  Jugendliche Heranwach-
sende
Jung-
erwachsene
Voll-
erwachsene
Insgesamt 9.447,8 10.751,5 7.732,6 2.672,9
Mord/Totschlag 6,2 12,2 9,4 5,2
Raub/räub. Erpressung 459,0 362,1 175,5 31,4
Gef./schwere Körperverletzung 940,0 1.062,6 644,9 141,2
Summe TVBZ Gewaltdelikte 1.405,2 1.436,9 829,8 177,8
Anteil TVBZ Gewaltdelikte
an TVBZ insgesamt
14,9 13,4 10,7 6,7

TVBZ weiblich (jeweils Deutsche)
  Jugendliche Heranwach-
sende
Jung-
erwachsene
Voll-
erwachsene
Insgesamt 3.709,8 2.771,9 2.033,7 812,8
Mord/Totschlag 0,6 1,8 1,8 0,9
Raub/räub. Erpressung 72,8 29,7 17,6 4,0
Gef./schwere Körperverletzung 196,3 99,1 62,3 22,8
Summe TVBZ Gewaltdelikte 269,7 130,5 81,7 27,7
Anteil TVBZ Gewaltdelikte
an TVBZ insgesamt
7,3 4,7 4,0 3,4

Datenquellen: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1984, 1999, Tab. 40 (jeweils alte Länder);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgungsstatistik 1984, 1999,
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung nach Alter und Geschlecht (Tab. B 15).

Die nähere Analyse zeigt indes, dass es sich bei Gewaltkriminalität junger Menschen zu rd. zwei Dritteln um (vor allem) "gefährliche" Körperverletzung handelt, ein Delikt also, das nicht notwendigerweise mit schweren Verletzungen einhergeht. Denn dieses Delikt umfasst neben der Begehung "mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" vor allem auch die "gemeinschaftliche" Begehung, also auch die jugendtypische Konstellation bei Raufhändeln unter Gruppen ("gemeinschaftlich") Jugendlicher auf dem Schulhof oder in der Freizeit, die sich im Regelfall gerade nicht durch die von der Tatbestandsbezeichnung suggerierte besonders gefährliche Tatintention oder -ausführung auszeichnet.

Hinzu kommt ferner, dass die polizeiliche Einschätzung des Gewaltdelikts nicht sonderlich stabil ist. Denn wie der Vergleich mit den VBZ zeigt, wird

Übersicht 7:Deutsche Tatverdächtige nach Alter bei Gewaltkriminalität
(Relation Tatverdächtige/Verurteilte - je 100.000 der deutschen Wohnbevölkerung - 1984/1999)
Bundesrepublik Deutschland (alte Länder einschließlich Gesamtberlin) 1999
Deliktsgruppe
1984 vs. 1999
Jugendliche Heranwach-
sende
Jung-
erwachsene
Voll-
erwachsene
TVBZ/VBZ TVBZ/VBZ TVBZ/VBZ TVBZ/VBZ
Mord/Totschlag  
1984 3,3 3,2 2,9 3,6
1999 4,8 4,0 2,5 3,8
Raub/räub. Erpressung  
1984 2,1 2,3 2,4 3,6
1999 2,9 2,9 2,8 3,6
Gef./schwere Körperverletzung  
1984 3,2 3,2 3,7 5,6
1999 4,1 4,2 5,0 7,0

Datenquellen: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1984, 1999, Tab. 40 (jeweils alte Länder);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgungsstatistik 1984, 1999,
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung nach Alter und Geschlecht (Tab. B 15).

4.3.2.3 Gewaltkriminalität junger Menschen - die qualitative Dimension

Hinsichtlich der Qualität der von jugendlichen Tatverdächtigen verübten "Gewaltkriminalität" enthalten die Kriminalstatistiken keine Informationen. Weiterführende Informationen können nur auf methodisch anderem Wege gewonnen werden. In einer Aktenanalyse stellte z.B. die Kriminologische Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei bei einer Stichprobe (200 von 395 Tatverdächtigen) der 1995 in München polizeilich wegen Gewaltkriminalität registrierten jugendlichen Tatverdächtigen fest, dass die Gewaltdelikte Jugendlicher insgesamt schwerer waren als die der Kinder 124. Dennoch ist beachtlich - obwohl die Analyse auf "Gewaltkriminalität" i.S. der PKS beschränkt war, also durch die Nichtberücksichtigung der sog. "einfachen" Körperverletzung" gem. § 223 StGB eine Verschiebung der Gewaltstraftaten zu den schwereren Delikte hin erfolgt war -, dass schwere Verletzungen die Ausnahme waren: Kein Opfer wurde getötet; nur ein kleiner Teil der Opfer (8,5%) erlitt Verletzungen, die einen längeren Krankenhausaufenthalt nach sich zogen; ein Drittel benötigte eine ambulante ärztliche Versorgung; physisch unverletzt blieb ein Viertel der Opfer. Allerdings wurde auch festgestellt: "Das 'Treten mit Schuhen oder Stiefeln' spielt bei Gewaltdelikten Jugendlicher eine wichtige Rolle. Auf beinahe jedes vierte Opfer wurde 'eingetreten', wobei in der Aktenanalyse nur die Fälle unter diese Kategorie gezählt wurden, bei denen es zu Tritten gegen den Oberkörper oder den Kopf des Opfers kam oder ein bereits am Boden liegendes Opfer weiter mit Tritten misshandelt wurde". 125

Ergebnisse der vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) zum Anstieg der Jugendgewalt in Hannover durchgeführten Aktenanalyse, bei der die Strafverfahrensakten von unter 21jährigen Beschuldigten von Raub- und qualifizierten Körperverletzungsdelikten der Jahre 1990, 1993 und 1996 ausgewertet wurden, bestätigen ebenfalls nicht die These, schwere Formen der Gewaltkriminalität hätten zugenommen. Denn danach kam es 1996 gegenüber 1993 zu einem (relativen) Rückgang der schweren Tatfolgen - gemessen über Schadenssummen, Schwere der Verletzungen -, der Schwere der Tatdurchführung - gemessen über Einsatz/Mitführen einer Waffe - und der Vorbelastung der Angeklagten mit früheren Verfahren122.

Dieser Befund, wonach die Zunahme polizeilich registrierter Gewaltkriminalität vor allem auf einer Zunahme der minder schweren Formen beruht, könnte eine Teilerklärung für die festgestellte, immer stärker werdenden Auseinanderentwicklung von TVBZ und VBZ sein. Wenn es zu einer Zunahme vor allem leichterer Formen der Gewaltkriminalität gekommen sein sollte, dann wäre eine Zunahme divertierender Entscheidungen auch in diesem Bereich denkbar, was - zumindest teilweise - erklären könnte, weshalb sich die Schere zwischen TVBZ und VBZ immer weiter öffnet. Als weitere Erklärung kommt freilich auch eine Änderung der polizeilichen Verdachtsschöpfung und Bewertung in Betracht. Dies ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Generalstaatsanwalt a.D. von Schleswig-Holstein wies kürzlich aufgrund seiner Erfahrungen darauf hin, dass "Anforderungen aus der Öffentlichkeit und der Politik" zu zunehmenden Überbewertungen geführt haben könnten. "Das Zündeln im Keller eines Mietshauses, in dem auch Ausländer wohnen, ist z.T. ohne weiteres als Mordversuch eingestuft worden, um ja nicht den Eindruck einer ausländerfeindlichen Einstellung aufkommen zu lassen. Ich kenne einen Fall, wo es anschließend eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit gegeben hat." 123

4.4 Kriminalität jugendlicher Zuwanderer

4.4.1. Jugendliche Zuwanderer ohne deutschen Pass

Die Staatsangehörigkeit ist weder ein kriminogener noch ein kriminoresistenter Faktor. Deshalb ist eine Unterteilung der Bevölkerung in Deutsche und Nicht-Deutsche kriminologisch nicht sinnvoll. Strafrechtliche Auffälligkeit kann dagegen eine Folge sein von Integrationsproblemen, defizitären Lebenslagen und sozialen Situationen, die einhergehen mit kulturellen, wirtschaftlichen, sprachlichen usw. Barrieren sowie mit unterschiedlichem Wahrnehmungs- und Kontrollverhalten126. Deshalb wird - wie im Sicherheitsbericht der Bundesregierung 127 - auf die Begriffskombination Ausländerkriminalität verzichtet, durch den die Staatsangehörigkeit in den Mittelpunkt gerückt wird; stattdessen wird von Zuwandererkriminalität gesprochen, also auf die mit einem zeitlich begrenzten bzw. einem unsicheren Aufenthaltsstatus sowie mit schwierigen Lebenssituationen verbundenen Probleme abgestellt. Dadurch soll auch deutlich werden, dass diese Probleme einerseits auch bei Zuwanderern mit deutscher Staatsangehörigkeit auftreten können, z.B. bei Aussiedlern oder Zuwanderern der zweiten oder dritten Generation, die inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, andererseits aber bei integrierten Zuwanderern relativ bedeutungslos sind. Die verschiedenen Zuwanderergruppen in der Bundesrepublik Deutschland unterscheiden sich sehr deutlich hinsichtlich der Problemlagen - voll integrierte "Gastarbeiter", Zuwanderer, die hier aufgewachsen und integriert sind, deutschstämmige Aussiedler aus Osteuropa, Flüchtlinge/Asylbewerber aus ost- und südosteuropäischen Staaten einerseits, aus Staaten der Dritten Welt andererseits 128. In den amtlichen Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken wird freilich nicht nach Problemlagen unterschieden, sondern nach dem äußeren Merkmal der Staatsangehörigkeit. Insofern muss im Folgenden zwar danach unterschieden werden, es sollte aber die - aus kriminologischer Sicht bestehende - Unzulänglichkeit beachtet werden.

Aufgrund der PKS ist sowohl von einer überproportional höheren Belastung als auch von einem überproportionalen Anstieg mit polizeilich registrierter Kriminalität von Nichtdeutschen im Vergleich mit Deutschen auszugehen129. Eine Reihe von Verzerrungsfaktoren130 beeinflussen indes das statistische Bild zuungunsten der Nichtdeutschen:

Allerdings gibt es auch Verzerrungsfaktoren, die zugunsten Nichtdeutscher wirken, insbesondere dürfte das Ermittlungsrisiko für - zumindest für Teilgruppen von - Nichtdeutsche(n) wegen der Schwierigkeit der Polizei, Zugang zu bestimmten ethnischen Gruppen zu finden, wegen landsmannschaftlicher Solidarität, wegen sprachlicher Barrieren und wegen eines höheren Anteils "untergetauchter" Personen geringer sein als für Deutsche.

Die danach erforderliche Differenzierung ist nur hinsichtlich eines Teils dieser Verzerrungsfaktoren und nur bei einer Auswertung der - auf Bundesebene nicht vorliegenden - Rohdatensätze möglich. Unter dieser Einschränkung stellten z.B. Steffen u.a. 132 bei ihren Sonderauswertungen der Polizeilichen Kriminalstatistik Bayern fest, dass (vgl. Übersicht 8 für 1999):

Übersicht 8: Deutsche und nichtdeutsche Tatverdächtige
Auswirkungen von statistischen Kontrollfaktoren auf die Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen (Bevölkerung, Tatverdächtige und Tatverdächtigenbelastungszahl jeweils für das Alter ab 8 Jahren)
Bayern 1999
Analyseeinheit Deutsche
ab 8 Jahren
Nicht-
deutsche
ab 8 Jahren
Anteil Nicht-
deutsche
in %
Relation
TVBZ
Deutsche/
Nicht-
deutsche
Bevölkerung 31.12.1998 (ab 8 Jahren) 10.033.176 999.973 9,08  
Ermittelte Tatverdächtige
TVBZ
210.249
2.096
102.697
10.270
32,82 1 : 4,9
Melderechtlich erfasste Tatverdächtige
TVBZ
191.998
1.914
51.049
5.105
21,00 1 : 2,7
Melderechtlich erfasste Tatverdächtige
ohne Ausl-/Asylverfahrensgesetz
TVBZ

190.688
1.901

46.156
4.616
19,49

1 : 2,4
Nur männliche, melderechtlich erfasste
Tatverdächtige ohne Ausl-/AsylverfahrensG
TVBZ

141.145
2.930

36.306
6.748

20,46
 


1 : 2,3
Nur männliche, melderechtlich erfasste Tatverdächtige ohne Ausl-/AsylverfahrensG
Darunter:
       
14 bis unter 18jährige Tatverdächtige
TVBZ
18.884
7.910
3.895
15.123
17,10
1 : 1,9
18 bis unter 21jährige Tatverdächtige
TVBZ
14.979
8.770
4.056
16.287
21,30
1 : 1,9
21 bis unter 24jährigeTatverdächtige
TVBZ
12.915
5.755
5.421
12.240
29,54
1 : 2,1

Quelle: Sonderauswertung durch die Kriminologische Forschungsgruppe im Bayerischen Landeskriminalamt.

Dieses Ergebnis wird durch andere Untersuchungen im Wesentlichen bestätigt133. Eine auf Baden-Württemberg beschränkte Studie zur jugendlichen Gewaltkriminalität kam z.B., ebenfalls bei Kontrolle der zuvor erwähnten Verzerrungsfaktoren, zu dem Ergebnis, dass der "Anteil der ausländischen Kinder und Jugendlichen, der wegen einer Gewalttat bei der Polizei auffällig wird, um ca. das 3fache höher ist als der entsprechende Anteil der altersgleichen Deutschen". 134

Der Vergleich der Daten von PKS und StVStat zeigt (vgl. Übersicht 9):

Übersicht 9: Verurteilungsraten von deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen
Strafmündige Tatverdächtige und Verurteilte nach Staatsangehörigkeit, Straftaten insgesamt (ohne Straftaten im Straßenverkehr)
Bundesrepublik Deutschland 1987 - 1999 (PKS ab 1991, StVStat ab 1995 mit Gesamtberlin)
  Deutsche Nichtdeutsche
Strafmündige
Tatverdächtige
Verurteilte Verurteil-
tenrate
Strafmündige
Tatverdächtige
Verurteilte Verurteil-
tenrate
1987 992.769 365.588 36,8 242.882 72.023 29,7
1988 991.278 366.827 37,0 270.985 79.043 29,2
1989 996.183 351.409 35,3 318.684 85.423 26,8
1990 1.011.425 340.034 33,6 363.998 93.648 25,7
1991 1.015.335 327.337 32,2 386.212 105.325 27,3
1992 1.024.686 322.713 31,5 488.014 128.301 26,3
1993 1.024.746 327.116 31,9 587.233 171.648 29,2
1994 1.050.657 332.367 31,6 511.061 169.019 33,1
1995 1.090.015 341.574 31,3 504.479 156.361 31,0
1996 1.125.844 351.847 31,3 517.315 159.971 30,9
1997 1.162.587 365.226 31,4 524.899 165.085 31,5
1998 1.197.677 388.939 32,5 519.574 165.188 31,8
1999 1.175.437 387.479 33,0 502.854 157.965 31,4

Datenquelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1987 - 1999, Tab. 40 und 50 (jeweils alte Länder);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgungsstatistik 1987 - 1999.

Als Ergebnis der bisherigen Forschung kann festgehalten werden:

Die Beurteilung der Bedeutung der amtlich registrierten Kriminalität von Nichtdeutschen ist dementsprechend umstritten. Während einige Forscher vermuten, bei Kontrolle aller statistischen Verzerrungsfaktoren würde sich keine höhere Belastung ergeben, die Mehrfachbelastung sei ein Artefakt der Statistik141 , geht die Mehrzahl der Kriminologen von einer tatsächlich bestehenden höheren Belastung (zumindest einiger Gruppen) von Nichtdeutschen aus, die, so jedenfalls viele Autoren, durch eine intensivere Kontrolldichte überlagert werde142 . Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wird darauf hingewiesen, dass die tatsächlich registrierte Belastung eher geringer ist, als dies bei Berücksichtigung der bekannten Risikomerkmale zu erwarten wäre, denn schließlich seien jugendliche Ausländer nicht nur Jugendliche, sondern auch Ausländer mit zusätzlichen Belastungen, defizitären Lebenslagen, Diskriminierungen, Ängsten usw. 143 Eine eindeutige empirische Klärung all dieser Fragen steht noch aus; soweit ersichtlich wurden bislang in keiner Untersuchung sämtliche Verzerrungsfaktoren, insbesondere hinsichtlich der sozialen Lage und der sozialen Kontrolle, methodisch einwandfrei berücksichtigt.

Studien zur selbstberichteten Delinquenz von Zuwanderern sind selten. Im Ersten Periodischen Sicherheitsbericht wird festgestellt: "In drei Studien144 wurden repräsentative Stichproben junger Menschen gefragt, wie häufig sie Delikte wie Diebstahl, Raub, Körperverletzung, Drogengebrauch und weitere Formen der Jugendkriminalität im Vorjahr begangen haben. Unter den deutschen Befragten waren prozentual mehr Täter als unter den nichtdeutschen; deren Prävalenz (d.h. der Anteil von Tätern an der Gesamtgruppe) war also geringer als bei den deutschen Gleichaltrigen. In zwei neueren Studien145 die schwerpunktmäßig Gewaltdelikte (Körperverletzung und Raub) untersuchten, wiesen die nichtdeutschen Zuwanderer dagegen eine höhere Prävalenz auf."146

4.4.2. Jugendliche Zuwanderer mit deutschem Pass

In den Statistiken sind derzeit Aussiedler, also Personen deutscher Staatsangehörigkeit, die in den letzten Jahren vor allem aus osteuropäischen Staaten zugewandert sind, nicht gesondert ausgewiesen. Über ihre Kriminalitätsbelastung lässt sich demnach derzeit noch keine auf Kriminalstatistiken gestützte Aussage machen. Örtlich oder regional beschränkte Untersuchungen lieferten ein zunächst uneinheitliches Bild. Inzwischen liegen umfassendere Befunde vor. "Die bislang umfangreichste Analyse mit entsprechend gewonnenen Daten wurde von der Kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei im Landeskriminalamt Bayern durchgeführt und durch verschiedene weitere Primärerhebungen in ausgewählten Städten bzw. Regionen Bayerns ergänzt. Danach ergab sich durchweg, dass sich die Spätaussiedler als Gesamtgruppe in keiner Hinsicht bedeutsam von den "sonstigen Deutschen" in Umfang und Struktur der registrierten Kriminalität unterscheiden147 was Detailunterschiede bezüglich einzelner Deliktstypen nicht ausschließt."148 Eine vor allem nach Altersgruppen differenzierte Analyse der Kriminologischen Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts Freiburg i.Br. i.Br.149 zeigt allerdings, dass sich die Straftatenproblematik auf junge männliche Spätaussiedler der "letzten Welle" ab Mitte der neunziger Jahre konzentriert. "Im Rahmen des dortigen Projekts einer das ganze Land Baden-Württemberg erfassenden Verlaufsstudie mehrerer Geburtskohorten konnten nach aufwändigen Identifizierungsmaßnahmen die jungen Spätaussiedler der Geburtsjahrgänge 1970, 1973, 1975 und 1978 für die polizeilichen Registrierungsjahrgänge 1984 bis 1996 getrennt von den übrigen Tatverdächtigen erfasst werden. Dabei war es u.a. möglich, was sonst kaum zu realisieren ist, den Altersverlauf der Angehörigen jedes Geburtsjahrgangs und den zeitlichen Verlauf der polizeilichen Registrierung unabhängig voneinander zu berechnen. Das im Einzelnen detailliert belegte Ergebnis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Während sich die Prävalenzraten, d. h. die auf die Personengruppen bezogenen Auffälligkeiten, der Aussiedler in der zweiten Hälfte der 80er Jahre nur wenig von denjenigen der sonstigen Deutschen unterschieden, gab es in der ersten Hälfte der 90er Jahre einen deutlichen Anstieg. Er ging überwiegend auf die seit 1991 zugezogenen jungen Spätaussiedler zurück, und innerhalb dieser Gruppe wiederum besonders auf diejenigen jungen männlichen Personen, die aus der ehemaligen Sowjetunion kamen."150 Auch bei der Aussiedlerkriminalität wird deutlich, dass nicht die Staatsangehörigkeit "kriminell" werden lässt, sondern dass hierfür insbesondere ungelöste Integrationsprobleme von Bedeutung sind151

4.5 Jugendkriminalität nach dem Geschlecht der jungen Menschen

Es gibt kein Merkmal, das so stark hinsichtlich registrierte Straffälligkeit unterscheidet wie das Merkmal "Geschlecht". Die Kriminalitätsbelastung der Männer ist um ein Mehrfaches höher als das der jeweiligen weiblichen Altersgenossen; Frauen sind als Täterinnen unterrepräsentiert (vgl. Schaubild 7)152 Der Frauenanteil wird auf jeder Stufe des Strafverfahrens und mit der Zunahme der Eingriffsintensität der Sanktionen immer kleiner (vgl. Übersicht 10). Obgleich der Frauenanteil - jeweils früheres Bundesgebiet - an der strafmündigen Wohnbevölkerung 1999 51,7% betrug, belief sich der Anteil der weiblichen strafmündigen Tatverdächtigen nur auf 23,4%. Lediglich 18,4% der Verurteilten und nur noch 7,5% der zu stationären Sanktionen Verurteilten waren Frauen. Und noch einmal geringer war der Frauenanteil unter den Abgeurteilten mit vorangegangener Untersuchungshaft sowie unter den Gefangenen am 31.3.1999. Unter den in Sicherungsverwahrung befindlichen Personen befand sich 1999 keine Frau. Dieser Befund einer insgesamt deutlich geringeren Belastung von Frauen mit "registrierter" Kriminalität gilt international153 und lässt sich seit Führung amtlicher Statistiken belegen. Der Vergleich mit den Daten für 1984154 zeigt im Übrigen, dass - jedenfalls auf der Ebene der Gesamtzahlen und im hier zugrunde gelegten 15-Jahres-Zeitraum - das Geschlechterverhältnis weitgehend unverändert geblieben ist.

Übersicht 10: Tatverdächtige, Verurteilte sowie Strafgefangene und Sicherungsverwahrte 1999 (mit Vergleich für 1984) nach Geschlecht.
Früheres Bundesgebiet 155
 
männlich

weiblich
%-Anteil
weiblich
Vergleich
1984
Strafmündige Wohnbevölkerung (1.1.1999) 27.340.424 29.276.861 51,7 52,8
Strafmündige Tatverdächtige (ohne Verk.) 1.286.207 392.084 23,4 23,6
Verurteilte (ohne Verk.) 445.217 100.227 18,4 19,9
Darunter:
zu stationären Sanktionen Verurteilte (o. Verk.)

54.623

4.422

7,5

6,6
Untersuchungsgefangene 35.885 2.757 7,1 6,6
Strafgefangene (31.3.) 48.064 2.277 4,5 3,4
Sicherungsverwahrte (31.3.) 206 0 0,0 0,5

Datenquellen: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 2000 für die Bundesrepublik Deutschland.
Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1984, 1999.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 10, Reihe 3: Strafverfolgung 1984; Strafverfolgung 1999 (Arbeitsunterlage);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 10, Reihe 4: Strafvollzug 1984;
Fachserie 10, Reihe 4.1: Strafvollzug - Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen am 31.3.1999.

Auch nach Ergebnissen von Täterbefragungen ist die Delinquenzbelastung von Mädchen und Frauen wesentlich geringer als die ihrer männlichen Altersgenossen. Sie ist freilich nicht so gering, wie dies nach den Kriminalstatistiken zu sein scheint (vgl. Übersicht 11). Das Verhältnis beträgt in den einzelnen Untersuchungen zwischen 1:1,3 bis 1:3156 . Bei einigen Delikten, wie Beförderungserschleichung oder Ladendiebstahl, gleichen sich die Belastungen der Geschlechter fast völlig157 Wird freilich berücksichtigt, dass diese Ergebnisse aus Befragungen junger Menschen stammen, dann ist der strukturelle Unterschied zur Hellfeldkriminalität nicht sonderlich groß. Denn von den wegen Ladendiebstahls registrierten jugendlichen Tatverdächtigen waren 43% weiblich, bei Beförderungserschleichung waren es 31%. Mit steigender Häufigkeit und Schwere der erfragten Delikte nimmt dagegen der Geschlechterabstand wieder zu.158 Mit Gewalt assoziierte Delikte finden sich fast nur bei Jungen.

Übersicht 11: Selbstberichtete Straftaten aus ausgewählten deutschen Forschungen
(Bandbreite bejahter Delinquenz pro Delikt)
  Männliche Befragte Weibliche Befragte
Einfacher Diebstahl 20% - 86% 21% - 74%
Nur Ladendiebstahl 18% - 46% 12% - 38%
Diebstahl am Arbeitsplatz 54% - 55%  
Fahrzeugdiebstahl 1% - 8%  
schwerer Diebstahl (meist Einbruch) 4% - 6% 1%
Gewaltsame Wegnahme von Sachen (Raub) 1% - 27% 5% - 10%
Sachbeschädigung 17% - 68% 7% - 41%
Körperverletzung (auch Schlägerei) 5% - 45% 10% - 13%
Unterschriftsfälschung 21% - 33% 16% - 28%
Zechprellerei 9% - 25% 18%
Leistungserschleichung (meist Schwarzfahren) 54% - 97% 21% - 89%

Quelle: Sessar, Klaus: Kriminologische Erkenntnisse zur Entwicklung und zum Verlauf von Jugendkriminalität und Folgerungen für die Kriminalpolitik, in: Dünkel. Frieder; Kalmthout, Anton van; Schüler-Springorum, Horst (Hrsg.): Entwicklungstendenzen und Reformstrategien im Jugendstrafrecht im europäischen Vergleich, Mönchengladbach 1997, 74.

Ein weiteres, ebenfalls gesichertes Ergebnis der Kriminologie ist die Altersabhängigkeit der Kriminalität, die sowohl bei Männern wie bei Frauen besteht (vgl. Schaubild 7). Allerdings liegen die Belastungsgipfel von Frauen und Männern nur bei den Verurteilten in derselben Altersgruppe, nämlich jener der Jungerwachsenen (21 bis unter 25jährige); bei den weiblichen Tatverdächtigen liegt der Belastungsgipfel bei den Jugendlichen (14 bis unter 18jährige), bei den männlichen Tatverdächtigen hingegen bei den Heranwachsenden (18 bis unter 21jährige). Diese Verschiebung der Belastungsgipfel ist bei den Frauen deutlich stärker ausgeprägt als bei den Männern.

Dass die Spitzenbelastungen bei den Tatverdächtigen und Verurteilten in verschiedenen Altersgruppen liegen, ist Folge justizieller Selektionsprozesse. Auf 100 polizeilich ermittelte Tatverdächtige kamen 1999 bei den Männern 35 Verurteilte, bei den Frauen dagegen nur 26. Dies dürfte weniger die Folge eines "Frauenbonus" 159 sein, sondern davon, dass die von Frauen verübten Delikte regelmäßig weniger schwer sind als die der männlichen Altersgenossen160 . Es gibt so gut wie keine frauentypischen Straftaten, d.h. Straftaten, bei denen Frauen - im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil - überrepräsentiert sind. Nach der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs161 und der Aufhebung des auf die Frau als Täterin zugeschnittenen Straftatbestands der "Kindestötung" 162 sind nur noch ganz wenige Delikte frauentypisch. Deutlich höhere Anteile finden sich nur bei Delikten, die mit der klassischen Frauenrolle, der Erziehungsaufgabe 163, sowie mit der Ehe, hier: Scheinehe, zusammenhängen. Ansonsten ist der Anteil von weiblichen Tatverdächtigen bei leichten Delikten eher über-, bei schweren Delikten eher unterdurchschnittlich hoch (vgl. Übersicht 12). Mit relativ wenigen Deliktsgruppen, insbesondere mit einfachem Diebstahl, namentlich Ladendiebstahl, kann ein sehr großer Anteil der gesamten weiblichen Kriminalität erfasst werden.

Übersicht 12: Anteil weiblicher Tatverdächtiger (bezogen auf Tatverdächtige insgesamt der jeweiligen Deliktsgruppe bzw. auf weibliche Tatverdächtige der jeweiligen Altersgruppe) nach Alter bei ausgewählten Straftaten
Bundesrepublik Deutschland 1999
  Straftaten
insgesamt
Einfacher
Diebstahl
(3***)
Ladendieb
stahl
(326*)
Schwerer
Diebstahl
(4***)
Gewaltkri-
minalität
(8920)
1. Spalte
bez. auf Tat-
verdächtige insg.
2. Spalte
bez. auf weibl. Tat-
verdächtige
% insg. % weibl % insg. % weibl % insg. % weibl % insg. % weibl % insg. %
weibl
Kinder (unter 14 J.) 30,2 100 38,3 78,3 41,7 73,2 12,2 3,5 16,5 3,9
Jugendliche (14 b.u.18 J.) 25,2 100 35,8 59,4 42,9 53,5 7,6 3,9 14,0 7,0
Heranwachsende (18 b.u.21 J.) 18,5 100 26,4 35,1 32,6 28,1 6,0 3,6 7,1 4,4
Jungerwachsene (21 b.u.25 J.) 19,1 100 26,9 29,1 32,0 23,3 6,3 2,6 6,9 3,2
Vollerwachsene (25 und älter) 23,8 100 36,3 36,4 39,9 31,4 10,6 1,6 12,7 3,0
Alle Altersgruppen 23,3 100 34,8 42,5 39,6 37,1 8,5 2,3 11,6 3,8

Datenquelle: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1999.

In der kriminologischen Literatur wird von einem "bemerkenswerten Anstieg der weiblichen Kriminalität" 164 bzw. von einer "prozentual stärkeren Zunahme der Frauenkriminalität" 165 ausgegangen. Wie aus Übersicht 13 hervorgeht, hat die Kriminalitätsbelastung zugenommen, allerdings delikts-, alters- und geschlechtsspezifisch unterschiedlich stark.

Übersicht 13: Tatverdächtigenbelastungszahlen 1984/1999 für deutsche Jugendliche/Heranwachsende und für Erwachsene, nach Geschlecht und für ausgewählte Deliktsgruppen
Früheres Bundesgebiet
SZ Straftat Jahr 14 bis unter 21 Jahre 21 Jahr und älter
männl.
TVBZ
weibl.
TVBZ
% w
/insg.
männl.
TVBZ
weibl.
TVBZ
% w
/insg.
---- Straftaten insgesamt 1984 6037,2 1667,3 21,6 2818,2 819,8 22,5
---- Straftaten insgesamt 1999 9994,9 3312,1 24,9 2944,6 871,0 22,8
  %-Veränderung der TVBZ   65,6 98,7   4,5 6,3  
  Differenz TVBZ 1984-1999   3957,7 1644,8   126,4 51,3  
3*** Einf. Diebstahl (§§ 242, 247, 248a-c) 1984 2171,4 970,3 30,9 666,6 402,9 37,7
3*** Einf. Diebstahl (§§ 242, 247, 248a-c) 1999 3000,6 1716,7 36,4 606,4 315,9 34,3
  1999: %-Anteil an Straftaten insg.   30,0 51,8   20,6 36,3  
  Differenz TVBZ 1984-1999   829,2 746,4   -60,1 -87,0  
4*** Schwerer Diebstahl (§§ 243-244a) 1984 1583,3 101,3 6,0 233,2 18,3 7,3
4*** Schwerer Diebstahl (§§ 243-244a) 1999 1348,6 114,6 7,8 132,9 14,5 9,9
  1999: %-Anteil an Straftaten insg.   13,5 3,5   4,5 1,7  
  Differenz TVBZ 1984-1999   -234,7 13,4   -100,3 -3,7  
2100
6100
Raub, Erpressung, räub. Erpr., räub. Angriff auf Kraftf. (§§ 249-256, 316a)
1984

176,0

16,3

8,5

45,7

4,9

9,7
2100
6100
Raub, Erpressung, räub. Erpr. , räub. Angriff auf Kraftf. (§§ 249-256, 316a)
1999

418,3

54,5

11,5

39,1

4,6

10,6
  %-Anteil an Straftaten insg.   4,2 1,6   1,3 0,5  
  Differenz TVBZ 1984-1999   242,3 38,2   -6,6 -0,3  
2210
2220
Gefährliche/schwere Körperverl. und Körperverl. mit Todesfolge (§§ 223a, 224, 225, 226, 227, 229)
1984

455,2

41,5

8,4

177,2

20,0

10,1
2210
2220
Gefährliche/schwere Körperverl. und Körperverl. mit Todesfolge (§§ 224, 226, 227, 231)
1999

991,4

155,1

13,5

168,3

24,7

12,8
  1999: %-Anteil an Straftaten insg.   9,9 4,7   5,7 2,8  
  Differenz TVBZ 1984-1999   536,2 113,6   -8,9 4,7  

Datenquellen: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1984 und 1999.

Wie diese Befunde sowohl einer Unterrepräsentierung der Frauen als auch des Anstiegs (auf der Ebene der PKS) zu erklären sind, ist umstritten. Biologische, psychologische, sozialisations- und rollentheoretische, klassenanalytische, feministisch-sozialstrukturelle und konstruktivistische Ansätze 167 konkurrieren miteinander etwas zu erklären, dessen Existenz empirisch noch nicht hinlänglich gesichert ist. Sie sind und bleiben Spekulationen, solange das geschlechtsspezifische Dunkelfeld nicht besser als bisher aufgeklärt ist. Einer Überfülle an Vermutungen und Spekulationen steht ein zu geringes Maß an empirisch gesicherten Daten gegenüber.

4.6 Kinderdelinquenz

"Die polizeilichen Daten zur Kinderdelinquenz sind mit besonderer Vorsicht zu interpretieren. Kinder begehen weit überwiegend bagatellhafte Eigentumsdelikte, deren Aufdeckung in erheblichem Maße von der Kontrolldichte abhängig ist. In Anbetracht des niedrigen Ausgangsniveaus kindlicher Delinquenz können bereits geringe Zunahmen des Aufdeckungsrisikos oder der Anzeigehäufigkeit starke Anstiegsquoten auslösen, ohne dass dem entsprechende Veränderungen in der Wirklichkeit des Delinquenzgeschehens zugrunde liegen müssen."168 Von der Struktur her überwiegen bei tatverdächtigen Kindern noch wesentlich stärker als bei den jugendlichen Tatverdächtigen bagatellhafte Eigentumsdelikte, insbesondere Ladendiebstahl. 1999 wurde mehr als jeder zweite deutsche Tatverdächtige unter 14 Jahren wegen Ladendiebstahls registriert.

Die polizeilich "registrierte Kriminalität" der unter 14Jährigen ist gestiegen: die TVBZen für deutsche Kinder zwischen 1987 und 1999 um 90%. Die nach Altersgruppen differenzierte Analyse (vgl. Übersicht 14) zeigt, dass die TVBZ mit zunehmendem Alter nicht nur höher, sondern auch stärker angestiegen sind. Die höchsten prozentualen Anstiege weist die Gruppe der 12- bis unter 14jährigen Tatverdächtigen auf. Wie die Differenz der TVBZ 1999-1984 zeigt, ist dies freilich eine Folge der weitaus geringeren Ausgangsbasis. Denn die Belastung - pro 100.000 der altersgleichen Wohnbevölkerung - hat bei den Jugendlichen und Heranwachsenden deutlich stärker zugenommen.

Übersicht 14: Tatverdächtigenbelastungszahlen 1984 - 1999 für deutsche Tatverdächtige nach Altersgruppen
Bundesrepublik Deutschland, ab 1993 mit neuen Ländern
Jahr Tatverdächtigenbelastungszahlen
8 bis
unter 10
10 bis
unter 12
12 bis
unter 14
14 bis
unter 16
16 bis
unter 18
18 bis
unter 21
21 u. älter
Straftaten insgesamt
1987 552,4 1.027,5 1.945,5 3.189,1 3.714,2 4.227,9 1.780,8
1999 677,0 1.695,2 4.189,8 6.590,8 6.704,3 6.821,7 1.853,6
%-Veränd.
TVBZ 84-99
22,5 65,0 115,4 106,7 80,5 61,4 4,1
Differenz
TVBZ 99-84
124,6 667,7 2.244,4 3.401,7 2.990,0 2.593,8 72,8
Ladendiebstahl(326*)
1987 225,5 533,1 1.030,2 1.333,1 977,4 553,4 362,9
1999 311,3 980,5 2.414,8 2.682,7 1.617,5 991,6 345,2
%-Veränd.
38,1 83,9 134,4 101,2 65,5 79,2 -4,9
Differenz
TVBZ 99-84
85,8 447,4 1.384,6 1.349,6 640,1 438,2 -17,7
Sachbeschädigung (6740)
1987 128,8 159,2 259,3 430,9 555,9 503,5 106,5
1999 153,0 247,7 534,7 949,8 988,1 693,8 99,1
%-Veränd.
TVBZ 84-99
18,9 55,6 106,2 120,4 77,8 37,8 -7,0
Differenz
TVBZ 99-84
24,3 88,5 275,5 519,0 432,2 190,3 -7,5
Gewaltkriminalität (8920)
1987 8,8 20,7 58,6 170,1 309,8 405,7 113,6
1999 8,8 20,7 58,6 170,1 309,8 405,7 113,6
%-Veränd.
TVBZ 84-99
284,2 386,6 439,2 320,9 182,1 87,9 2,3
Differenz
TVBZ 99-84
24,9 80,0 257,4 545,9 564,1 356,8 2,7

Datenquellen: Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 1984 - 1999, Tab. 40.

Überproportional angestiegen sind vor allem Ladendiebstahlsdelikte sowie Sachbeschädigung. 71% der 8- bis unter 14jährigen wurden 1999 (auch) wegen Ladendiebstahls oder Sachbeschädigung als tatverdächtig registriert169 . Kinderdelinquenz ist also überwiegend Bagatellkriminalität. Ob die Anstiege bei diesen Kontrolldelikten auf Änderungen der Verhaltensmuster bei Kindern oder auf Änderungen der Kontrolldichte oder der Verdachtsstrategien beruhen, muss offen bleiben170.

Diebstahl, namentlich Ladendiebstahl, ist indes kein "Einstiegsdelikt"171 , denn, wie jüngst wieder die Kriminologische Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei (KFG) im Bayerischen Landeskriminalamt im Rahmen einer Kohortenuntersuchung polizeilich registrierter Jugendlicher festgestellt hat, lag der Schwerpunkt gerade der nur einmal auffälligen Jugendlichen beim Diebstahl. Zwei Drittel (66,9%) der im Alter von 14 oder 15 Jahren erstmals registrierten Jugendlichen, die in den folgenden fünf Jahren keinen weiteren Polizeikontakt hatten, waren wegen eines einfachen Diebstahls registriert. Je mehr Delikte ein Tatverdächtiger verübt hatte, um so seltener war das erste Delikt ein einfacher Diebstahl (27,6%)172.

Wegen Raub und räuberischer Erpressung wurden 1999 1,5% der 10- bis unter 12jährigen und 2,2% der 12- bis unter 14Jährigen polizeilich registriert; die entsprechenden Quoten bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung lauten 4,1% bzw. 5,3%. Entgegen vorherrschenden, "Gewaltkriminalität" mit "Schwerkriminalität" in Verbindung bringenden Annahmen, stellte die KFG in ihrer Analyse der Kinder- und Jugendkriminalität in München anhand einer Auswertung der Kriminalakten u.a. fest: "Die Gewaltdelikte von Kindern richteten sich ganz überwiegend gegen andere (gleichaltrige) Kinder ... . Nur ganz ausnahmsweise wurden Verletzungen vorsätzlich verursacht; auch ernsthafte Verletzungen waren selten. Waffen oder gefährliche Werkzeuge spielten kaum eine Rolle und wurden, wenn überhaupt, dann zum Drohen oder Imponieren gebraucht."173

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