Wer sich gegenwärtig mit Fragen der Phototheorie befaßt, stößt in einschlägigen Publikationen auf eine Fülle von Kommentaren, die Roland Barthes’ Helle Kammer seit ihrer nunmehr fast 40jährigen Rezeptionsgeschichte hervorgerufen hat. Nach wie vor gilt das schmale, zwischen Literatur und systematisch geschulter Reflexion angesiedelte Bändchen als der Beitrag, dem es vor dem Hintergrund kontroverser, bis auf die Anfänge der Phototheorie zurückreichender Debatten gelungen ist, der (analogen) Photographie den Status einer indexikalischen, durch materiale Übertragung zustande kommenden Aufzeichnung zu sichern. Diese Erfolgsgeschichte beruht allerdings zum größten Teil auf einer erkennbar selektiven Lektüre, die das Hauptanliegen der Hellen Kammer: die Etablierung einer ›neuen‹, dem Singulären wie dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit verpflichteten Wissenschaft, ausgeblendet hat. Die überfällige ›Nachlese‹ führt denn auch zu einem deutlich komplexeren Konzept, genauer gesagt: zu einer aisthesiologisch fundierten Ästhetik, die ihre wesentlichen Anregungen der aristotelisch geprägten, im Zeichen der ›Berührung‹ stehenden Sinnesphilosophie verdankt.
Whoever engages with the theory of photography nowadays, is confronted with a multitude of commentaries on Roland Barthes’ Camera Lucida and its long reception history. As ever, the short book, part literature, part systematic reflection, is regarded as a decisive contribution that, among tenacious controversies, has suceeded in securing (analogue) photography the status of an indexical inscription, effected by material transmission. However, the major cause of this success story has been a selective reading of Camera Lucida that ignores the book’s main goal, namely the foundation of a ›new‹ science that is indebted to the experience of the singular, but nevertheless generally binding. A revision is therefore overdue, and it leads to a conception that is considerably more complex; to be more precise, to an aisthesiologically grounded aesthetics that is indebted to an Aristotelian philosophy of tactility.