KIK   Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung
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Jugendkriminalität

Prof. Dr. Wolfgang Heinz
Universität Konstanz 1

Vortrag, gehalten auf dem 4. Deutsch-Chinesischen Kolloquium
zu kriminologischen und strafrechtlichen Fragen
am 6. und 7. Juli 2000 in Berlin.

I. Jugendkriminalität - Voraussetzungen eines adäquaten Zugangs

1. Jugendkriminalität als kriminologischer Forschungsgegenstand

Jugendkriminalität ist einer der bevorzugten Gegenstände der Kriminologie in der Bundesrepublik Deutschland. 2 Die Gründe für dieses Interesse an Jugendkriminalität und Jugendgerichtsbarkeit sind vielschichtig. Von Einfluss dürfte sein, dass Jugendkriminalität allgemein als Gradmesser von Grundbefindlichkeit und Lage der Jugend sowie als "Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse" 3 gilt. Forschungsstimulierend dürfte ferner die Annahme sein, bei Jugendlichen besser und leichter als bei Erwachsenen soziale Auffälligkeiten beschreiben und erklären sowie ihnen gegensteuern zu können. Motiv dürfte des weiteren die Befürchtung einer jeden Elterngeneration sein, "Jugendkriminalität von heute" sei die "Erwachsenenkriminalität von morgen". Zu den wesentlichen Antrieben jugendkriminologischer Forschung zählt schließlich der immer wieder von neuem als Problem empfundene Generationenkonflikt. Klagen über die nicht angepasste, auffällige, randalierende und rebellierende Jugend sind so alt wie die Menschheit. Das Thema lässt sich verfolgen von den ältesten uns vorliegenden Schriften 4 über die Kirchenväter 5 und die Klassiker europäischer Literatur bis in die Gegenwart. Auch heute noch dürfte für viele die inzwischen 400 Jahre alte Klage des alten Schäfers in Shakespeares "Wintermärchen" gut nachvollziehbar sein: "Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: Denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen."6

Ebenfalls nicht neu ist, dass dieses Thema, Moden vergleichbar, für eine gewisse Zeit die Diskussion beherrscht, um sodann anderen Themen Platz zu machen. In den 50er Jahren wurde die "randalierende Jugend" 7, wurden "Rowdytum und Vandalismus"8 thematisiert. In den 70er Jahren wurde auf "Besorgnis erregende" und "alarmierende" Anstiege der Jugendkriminalität hingewiesen 9. Der Rückgang der absoluten Zahlen polizeilich ermittelter und gerichtlich verurteilter Jugendlicher Mitte der 80er Jahre provozierte sodann die Frage nach den Konsequenzen schwindender Kriminalität 10 und strafrechtlicher Überkapazitäten 11. Seit den frühen 90er Jahren stehen dagegen wiederum der "drastische" Anstieg der Jugendkriminalität und deren "neue Dimension"12 zur Diskussion.

Hinter den Analysen und Bewertungen stehen in aller Regel unterschiedliche Deutungsmuster und kriminalpolitische Interessen. "Eine linke Position etwa vermag im Anstieg der Verbrechensziffern die Zunahme gesellschaftlicher Spannungen zu entdecken, die selbst wiederum in nicht bewältigter gesellschaftlicher Ungleichheit ihre Ursache hat. Für Konservative spiegelt die wachsende Kriminalität dagegen den politisch zu verantwortenden Verlust von angestammten Bindungen, die Abkehr von vermeintlich Stabilität gewährleistenden Traditionen des Familienlebens, die durch Reformen bedingte Aushöhlung überkommener Sozialisationsinstanzen wie Schule und Kirche, einen Verfall des ererbten politischen und gesellschaftlichen Wertgefüges schlechthin."13. Die Spannbreite der Auffassungen über die "richtige" gesellschaftliche Reaktion auf Jugendkriminalität könnte dementsprechend auch kaum gegensätzlicher sein. Zugrunde liegen dem unterschiedliche Vorstellungen über die Problemlösungskapazität des Strafrechts. Während die einen das Strafrecht zur Lösung gesellschaftlicher Probleme für geeignet halten und deshalb für mehr und härtere Strafen plädieren14, sehen die anderen in dieser Forderung nur ein Kurieren an Symptomen mit falschen, unzulänglichen, ja kontraproduktiven Mitteln und einen Verzicht auf den ernsthaften Versuch zur Abhilfe durch eine Verbesserung der Lebenslagen junger Menschen15. Neu an der gegenwärtigen Diskussion ist freilich, dass in Bezug auf die gesellschaftliche Reaktion auf Jugendkriminalität mehr denn je ein Umdenken und Umlenken in der Kriminalpolitik, eine Kurskorrektur 16 - weg von der Repression hin zu mehr Prävention und Sozialpolitik -, gefordert wird17. Die Einlösung der Forderung "Prävention vor Repression" steht deutlicher und nachdrücklicher als zuvor auf der Tagesordnung, insbesondere hat das Thema "Kriminalprävention auf kommunaler Ebene" Hochkonjunktur 18.

Auch in der vergleichenden Kriminologie ist Jugendkriminalität schon seit langem Gegenstand besonderen wissenschaftlichen Interesses. Die vergleichende Analyse gilt als Ersatz für das in den Sozial- und Humanwissenschaften seltene Feldexperiment19 . Fragen von "Jugend, Kriminalität und Recht" finden sich deshalb auch immer wieder auf den Programmen internationaler Fachtagungen.

2. Methodische Probleme des intra- und des interkulturellen Kriminalitätsvergleichs

Die methodischen Schwierigkeiten sowohl des intra- als auch des interkulturellen Kriminalitätsvergleichs sind nicht zu verkennen. Sie wurzeln vor allem in der Notwendigkeit, nicht nur die "Kriminalität", sondern auch die Verbrechenskontrolle und die Erkenntnismittel für Kriminalität in den kriminologischen Bezugsrahmen einzubeziehen.

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