KIK   Konstanzer Inventar KriminalitÄtsentwicklung:
Heinz, Wolfgang: KriminalitÄt von Deutschen nach Alter und Geschlecht, Konstanz 1999
    
Internet-Publikation: <www.uni-konstanz.de/rtf/kik/deutsche.htm> Stand 7/1999 

Zitierweise: Heinz, Wolfgang: Kriminalität von Deutschen nach Alter und Geschlecht, Konstanz 1999
(Internet-Publikation: <www.uni-konstanz.de/rtf/kik/deutsche.htm>, Stand: 1.7.1999) 

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III. "Registrierte" Kriminalität von Deutschen nach Alter und Geschlecht im Spiegel von PKS und StVSt

1. Belastung der Tatverdächtigen/Verurteilten nach Geschlecht

Die vergleichende Gegenüberstellung von TVBZ und VBZ nach Geschlecht ergibt:

2. Die Entwicklung der Tatverdächtigen- und der Verurteiltenbelastungszahlen im zeitlichen Längsschnitt

Der seit 1984 mögliche, auf die alten Bundesländer beschränkte Vergleich der TVBZ von Deutschen mit den entsprechenden VBZ zeigt, und zwar sowohl für die Belastung insgesamt (Straftaten ohne Straftaten im Straßenverkehr) wie für einzelne Straftatengruppen (vgl. Tabellen 1-6, Schaubilder 3-8):

(1)
Die TVBZ der Jugendlichen, der Heranwachsenden, der Jungerwachsenen und der Vollerwachsenen waren bis Mitte der 80er Jahre entweder weitgehend konstant oder sogar leicht rückläufig. Sie sind gegen Ende der 80er Jahre deutlich gestiegen, und zwar vor allem die der Jugendlichen und der Heranwachsenden.
(2)
Lediglich bei Mord/Totschlag sowie bei schwerem Diebstahl sind die TVBZ im letzten Jahr wieder zurückgegangen. Die TVBZ der Jugendlichen sind bei Raub und einfachem Diebstahl höher als die der Heranwachsenden.
(3)
Ein strukturell damit nur teilweise übereinstimmendes Bild zeigen die VBZ. Denn im Unterschied zu den TVBZ liegen die VBZ bei Mord/Totschlag (weibliche Vollerwachsene ausgenommen) sowie bei einfachem Diebstahl (Jungerwachsene ausgenommen) bei allen Altersgruppen, bei Männern wie bei Frauen, unter dem Niveau von 1984. Zugenommen haben die VBZ lediglich bei Raub/Erpressung sowie bei gefährlicher/schwerer Körperverletzung (jeweils männliche Jung- und Vollerwachsene ausgenommen).
(4)
Übereinstimmung - allerdings nur der Struktur nach - besteht zwischen TVBZ und VBZ dagegen insoweit, als - zeitversetzt - auch die VBZ Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre bei sämtlichen Straftatengruppen angestiegen sind, wenngleich deutlich abgeschwächt gegenüber den TVBZ.
(5)
Die nach VBZ gemessene Belastung liegt um ein Mehrfaches unter jener nach TVBZ. Dies gilt insbesondere auch bei schweren Formen der Gewaltkriminalität. Auf einen wegen Mordes/Totschlages verurteilten männlichen Jugendlichen kamen 1997 3,8 tatverdächtige Jugendliche, bei Raub/Erpressung lautet die Relation 1:3,2, bei gefährlicher/schwerer Körperverletzung 1:4,3.
(6)
Die Anstiege der TVBZ sind - gemessen über die Häufigkeitszahlen - weitaus stärker als die der VBZ, und zwar auch bei zeitversetzter Betrachtung.
(7)
Die TVBZ sind nicht nur weitaus höher als die VBZ, sie weisen auch deutlich stÄrkere Anstiege auf. Diese Schere, d.h. die Differenz zwischen TVBZ und VBZ, hat sich bei allen in den Vergleich einbezogenen Straftatengruppen immer weiter geöffnet, und zwar trotz der Anstiege der VBZ. Die Anstiege der VBZ fallen weitaus geringer aus als die der TVBZ. Die Differenz zwischen TVBZ und VBZ wird von Jahr zu Jahr größer, und zwar auch dann, wenn die VBZ mit der TVBZ des Vorjahres verglichen werden. Dies wird daran erkennbar, daß die Relation zwischen TVBZ/VBZ 1997 bei fast allen Alters- und allen Deliktsgruppen der Gewaltkriminalität deutlich größer ist als 1984.

3. Versuche einer Interpretation der Befunde

Da die über die staatsanwaltschaftliche Einstellungspraxis informierende StA-Statistik keine Informationen zum Delikt enthält, ist angesichts des deshalb bestehenden statistischen Dunkelfeldes unklar, wie dieser auffallende Befund einer zunehmenden Auseinanderentwicklung von TVBZ und VBZ zu erklären ist. Allein mit vermehrter jugendstrafrechtlicher Diversion läßt sich dieser Befund jedenfalls nicht erklären, denn auch bei Jungerwachsenen und Vollerwachsenen öffnet sich diese Schere, und zwar in teilweise noch stärkerem Maße als bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Plausibel wäre dies nur, wenn die Zunahme der Gewaltkriminalität vor allem auf Fälle geringer Tatschwere zurückzuführen wäre. Erste Ergebnisse der vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) zum Anstieg der Jugendgewalt in Hannover durchgeführten Aktenanalyse, bei der die Strafverfahrensakten von unter 21jährigen Beschuldigten von Raub- und qualifizierten Körperverletzungsdelikten der Jahre 1990, 1993 und 1996 ausgewertet wurden, bestätigen diese Annahme. Denn danach kam es 1996 gegenüber 1993 zu einem (relativen) Rückgang der schweren Tatfolgen - gemessen über Schadenssummen, Schwere der Verletzungen -, der Schwere der Tatdurchführung - gemessen über Einsatz/Mitführen einer Waffe - und der Vorbelastung der Angeklagten mit früheren Verfahren (Pfeiffer u.a. 1998, S. 35 ff.).

Als Erklärung könnte ferner eine Änderung der polizeilichen Verdachtsschöpfung und Bewertung in Betracht kommen. Der Generalstaatsanwalt a.D. von Schleswig-Holstein weist jedenfalls aufgrund seiner Erfahrungen darauf hin, daß "Anforderungen aus der Öffentlichkeit und der Politik" zu einer entsprechenden Änderung geführt haben könnten. "Das Zündeln im Keller eines Mietshauses, in dem auch Ausländer wohnen, ist z.T. ohne weiteres als Mordversuch eingestuft worden, um ja nicht den Eindruck einer ausländerfeindlichen Einstellung aufkommen zu lassen. Ich kenne einen Fall, wo es anschließend eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit gegeben hat" (Ostendorf 1998, S. 182 f.).

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Letztes Update am 28.07.1999
Bearbeitet von: Martina Schulz