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Historische Hermeneutik: Das Problem des "Verstehens"
und "Erklärens"
Als methodische Grundlage wichtiger Ansätze der historischen Forschung
auf der einen Seite, methodischer "Gegenpol" etwa für struktur-funktionalistische
oder systemtheoretisch fundierte Analysen auf der anderen Seite, bildet
das Thema "Historische Hermeneutik"
den Einstieg in die Beschäftigung mit verschiedenen Ansätzen
der historischen Forschung.
Als Bedingung, "Aufgabe" (vgl. Heidegger, zitiert
nach Gadamer, S. 251) und Grenze historischen Forschens und historischer
Erkenntnis soll dabei insbesondere der hermeneutische
Zirkel bewußt werden.
Unter dem Aspekt des "Methoden-Dualismus"
in der Hermeneutik (Lorenz, S. 91) ist darüber hinaus das Verhältnis
von "Erklären" und "Verstehen"
zu diskutieren. Während die "Erklärung" bestrebt ist,
mittels der Analyse einzelner Faktoren möglichst plausible Zusammenhänge
zwischen diesen herzustellen, stellt "Verstehen" die Bemühung
um eine ganzheitliche Deutung dar. Goertz betrachtet "Verstehen"
als einen Kommunikationsprozeß, in dem die Kluft zwischen dem "Eigenen"
(der eigenen Zeit) und dem "Anderen" (d.h. der Vergangenheit)
überwunden werden soll (Goertz, Umgang
mit Geschichte, S. 105-106).
Das Thema "Historische Hermeneutik" kann anhand
verschiedener Textauszüge behandelt werden. Je nach der verfügbaren
Anzahl von Sitzungen kann man dafür auf Droysen oder Gadamer zurückgreifen,
oder aber die zusammenfassende Darstellung der hermeneutischen Methode
in Chris Lorenz, "Konstruktion der Vergangenheit", als Grundlage
wählen.
Als auszugsweise Lektüre eignen sich
- Johann Gustav Droysen,
Grundriss der Historik, Kapitel "Interpretation", §§
37-44, und Kapitel "Topik", §§ 87-95
- Hans-Georg Gadamer,
Wahrheit und Methode, S. 199-205 und S. 250-256 (besser noch S. 250-269)
- Chris Lorenz, Konstruktion
der Vergangenheit, S. 89-134 bzw. 147 und S. 147-153. (Für ein
Kurzreferat eignen sich insbesondere S. 89-96, S. 127-134 und S. 147-153)
Lorenz geht ausführlich auf die hermeneutische Tradition
ein. Er zeigt deren Prämisse auf, daß die Vergangenheit eine
Bedeutung habe, die mittels hermeneutischer Interpretation erschlossen
werden könne, referiert im einzelnen die hermeneutische Methode nach
Droysen, erläutert unterschiedliche Varianten hermeneutischer Auffassung,
namentlich das intentionale, das teleologische und das narrative Erklärungsmodell,
und befaßt sich anschließend mit der Historisierung der Hermeneutik
bei Gadamer.
Eine Einführung in die Theoriediskussion zur Hermeneutik bietet daneben
auch Hans-Jürgen Goertz, Umgang mit Geschichte.
Eine Einführung in die Geschichtstheorie, Reinbek 1995.
Als Einstieg in die Diskussion zum Verhältnis von "Verstehen"
und "Erklären" in der Geschichtswissenschaft eignen sich
die Aufsätze von Ulrich Muhlack
und Thomas Welskopp zu diesen Themen
(siehe bibliogr. Angaben).
Die Texte können sowohl für die vorbereitende
Lektüre aller Kursteilnehmer mit anschließender Besprechung
bzw. Diskussion herangezogen werden als auch für die Ausarbeitung
eines studentischen Referats mit Thesenpapier und Diskussion.

Bibliographische Angaben
JOHANN GUSTAV DROYSEN, Grundriss der Historik (3. Auflage 1882), N.D.
Halle 1925 (Philosophie und Geisteswissenschaften, Neudrucke 1. Band);
kritische Ausgabe in: DERS., Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie
und Methodologie der Geschichte, hg. von Rudolf Hübner, München
6. Auflage 1971, S. 317-424.
HANS-GEORG GADAMER, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen
Hermeneutik, unveränderter Nachdruck der 3., erweiterten Auflage,
Tübingen 4. Auflage 1975.
CHRIS LORENZ, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in
die Geschichtstheorie, (Beiträge zur Geschichtskultur Band 13), Köln
1997.
ULRICH MUHLACK, Verstehen, in: H.-J. Goertz (Hg.), Geschichte. Ein Grundkurs,
Reinbek 1998, S. 99-131.
THOMAS WELSKOPP, Erklären, in: H.-J. Goertz (Hg.), Geschichte. Ein
Grundkurs, Reinbek 1998, S. 132-168.
HANS-JÜRGEN GOERTZ, Umgang mit Geschichte. Eine Einführung in
die Geschichtstheorie, Reinbek 1995 (hier insbes. Kapitel 8, "Historische
Hermeneutik - Verstehen", S. 105-117; und Kapitel 9 "Ursache
und Wirkung - Erklären", S. 118-129).
Aufsätze, die sich bei Bedarf
zu einer Vertiefung des Themas eignen, finden sich in:
KLAUS E. MÜLLER / JÖRN RÜSEN (HG.), Historische Sinnbildung.
Problemstellungen, Zeitkonzepte, Wahrnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien,
(rowohlts enzyklopädie), Reinbek 1997.

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