KIK   Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung:
Heinz, Wolfgang: Kriminalität von Deutschen nach Alter und Geschlecht, Konstanz 1999
    
Internet-Publikation: <www.uni-konstanz.de/rtf/kik/deutsche.htm> Stand 7/1999 

Zitierweise: Heinz, Wolfgang: Kriminalität von Deutschen nach Alter und Geschlecht, Konstanz 1999
(Internet-Publikation: <www.uni-konstanz.de/rtf/kik/deutsche.htm>, Stand: 1.7.1999) 

[Zurück zur Übersicht] | [nächste Seite] | [Tabellen] | [Schaubilder] | [Glossar] | [Literaturliste]

I. Erkenntnismittel für Aussagen über Umfang, Struktur und Entwicklung der Kriminalität der Deutschen nach Alter und Geschlecht - Möglichkeiten und Grenzen

1. Die amtlichen Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken als Erkenntnismittel für "registrierte" Kriminalität

Als Erkenntnismittel für "registrierte" Kriminalität ("Taten" bzw. "Täter") stehen in der Bundesrepublik Deutschland die Polizeiliche Kriminalstatistik und fünf Strafrechtspflegestatistiken (Staatsanwaltschaftsstatistik, Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte, Strafverfolgungsstatistik, Bewährungshilfestatistik und Strafvollzugsstatistik) zur Verfügung. Da zwei der Strafrechtspflegestatistiken (StA-Statistik, Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte) reine Verfahrensstatistiken sind, die keine nach Alter und Geschlecht der betroffenen Personen gegliederte Angaben enthalten, scheiden sie als unmittelbare Erkenntnismittel für personenbezogene Analysen aus. Im Ergebnis gilt dasselbe für die Bewährungshilfe- und die Strafvollzugsstatistik, die sich nur auf kleine Untergruppen aus der Gesamtheit aller Verurteilten beziehen. Als Erkenntnismittel für Umfang, Struktur und Entwicklung der Kriminalität kommen deshalb vornehmlich die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) und die Strafverfolgungsstatistik (StVSt) in Betracht.

Dunkelfeldbefragungen (Täter- oder Opferbefragungen) kommt die Aufgabe zu, die amtlichen Statistiken zu ergänzen und ihre Ergebnisse zu kontrollieren. Regelmässige, an repräsentativen Stichproben durchgeführte Dunkelfeldbefragungen gibt es indes - im Unterschied zu einigen ausländischen Staaten (z.B. USA, England oder Niederlande) - in der Bundesrepublik (noch) nicht. Wie belangvoll die Ergebnisse solcher Befragungen sein kÖnnen, zeigt z.B. die vergleichende Gegenüberstellung von Daten des seit 1973 alljährlich durchgeführten US-amerikanischen National Crime Victimization Survey (NCVS) und des Uniform Crime Report (UCR) des FBI für den Zeitraum 1973-95. Schwere "Gewaltkriminalität" (Mord, Vergewaltigung, Raub und schwere Körperverletzung) ist nach den US-amerikanischen Opferdaten auf dem niedrigsten Stand seit 1973; 1998 liegt die Viktimisierungsrate um rd. 20% unter dem Wert von 1973. Nach den Daten des UCR ist Gewaltkriminalität zwar auch seit 1994 zurÜckgegangen; 1998 wurden jedoch 86% mehr registriert als 1973. *(Link auf die www-Seite) Gäbe es die Daten des NCVS nicht, würde vom UCR wahrscheinlich - und fälschlich - insgesamt auf einen deutlichen Anstieg der schweren "Gewaltkriminalität" geschlossen werden.

2. Inhalte der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistik

In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden die von der Polizei bearbeiteten rechtswidrigen (Straf-)Taten (einschliesslich der mit Strafe bedrohten Versuche), die sog. "Fälle", sowie die ermittelten Tatverdächtigen registriert. In der Strafverfolgungsstatistik (StVStat) werden alle Angeklagten nachgewiesen, gegen die rechtskräftig Strafbefehle erlassen wurden bzw. Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden sind (Abgeurteilte oder Verurteilte).

Beide Statistiken beschränken sich auf Straftaten (Verbrechen oder Vergehen); Ordnungswidrigkeiten, d.h. mit Geldbusse bedrohte Taten, werden nicht erfasst. PKS und StVStat unterscheiden sich hinsichtlich der Vollständigkeit, mit der Verbrechen und Vergehen erfasst werden. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass in der PKS die polizeilich registrierten Staatsschutz- (seit 1959) und Verkehrsdelikte (seit 1963) nicht enthalten sind.

3. Aussagemöglichkeiten und Aussagegrenzen amtlicher Kriminalstatistiken

3.1 "Registrierte" Kriminalität und "Kriminalitätswirklichkeit"

Sowohl die PKS als auch die StVSt informieren über die den Behörden bekanntgewordenen Fälle bzw. Personen. Sie informieren also nur über das "Hellfeld", d.h. über die den Behörden bekanntgewordenen Vorgänge und über die von den Behörden ermittelten Personen. Selbst in der Statistik, die der Tat zeitlich noch am nächsten und deshalb noch am wenigsten von den Entscheidungen anderer Instanzen beeinflusst ist, nämlich in der PKS, wird nur ein Teil aller Straftaten erfasst. Fast alles, was in der PKS als "registrierte" Kriminalität nachgewiesen wird, wird der Polizei durch Anzeigen bekannt; polizeiliche Kenntnisse über Eigentums- und Vermögenskriminalität beruhen z.B. zu über 90% auf Anzeigen Privater. Von den Opfern bzw. von Dritten werden indes nicht alle Straftaten überhaupt als solche wahrgenommen und bewertet; hiervon wiederum wird nur ein Teil angezeigt. Gestützt auf Ergebnisse von Opferbefragungen kann man davon ausgehen, dass im Schnitt weniger als die Hälfte der Straftaten auch angezeigt wird.

Die Anzeigeraten sind je nach Deliktstypus unterschiedlich hoch; vor allem die Schwere des erlittenen Schadens beeinflusst die Anzeigebereitschaft. Dies wiederum bedeutet, dass die "registrierte" Kriminalität zu den schwereren Deliktsformen hin verschoben ist; die "Kriminalitätswirklichkeit" wird also verzerrt dargestellt.

Umfang, Entwicklung und Struktur registrierter Kriminalität können deshalb (fast) als direkte Funktion des Anzeigeverhaltens betrachtet werden. Diese Einsicht hat insbesondere für Aussagen über die Entwicklung der "registrierten" Kriminalität bedeutsame Konsequenzen: Aufgrund der Daten amtlicher Statistiken auf die Entwicklung der "Kriminalitätswirklichkeit" zu schliessen, ist nur unter der Annahme möglich, sämtliche neben der Kriminalitätsentwicklung massgebenden Einflussgrössen auf registrierte Kriminalität seien im Vergleichszeitraum konstant geblieben. Veränderungen der "registrierten" Kriminalität können indes darauf beruhen, dass sich

verändert haben.

Von diesen Faktoren, die neben und unabhängig von der "Kriminalitätswirklichkeit" die statistischen Daten beeinflussen können, kommt einem möglichen Wandel der Anzeigebereitschaft herausragende Bedeutung zu. Dass die Anzeigebereitschaft über Jahrzehnte hinweg konstant geblieben ist, kann nicht angenommen werden. Deshalb wurde versucht, in Dunkelfeldforschungen festzustellen, wie sich im Bereich der von Privaten erlittenen Opfersituationen die Anzeigebereitschaft verändert hat. Ausländische Untersuchungen zeigen zum einen, dass sich die Anzeigebereitschaft im Zeitverlauf tatsächlich verändert, zum anderen, dass es erhebliche nationale Unterschiede gibt. Angesichts dessen sind ausländische Forschungsergebnisse auf deutsche Verhältnisse nicht übertragbar. Da für Deutschland derartige Untersuchungen fehlen, können für die hiesige Situation keine empirisch begründeten Feststellungen zur Entwicklung des Anzeigeverhaltens im allgemeinen und hinsichtlich einzelner Deliktsgruppen im speziellen getroffen werden. Der Schluss von der Entwicklung der "registrierten" auf die "wirkliche" Kriminalität ist lediglich auf einer empirisch ungesicherten Plausibilitätsebene möglich, nicht aber auf einer Ebene empirisch begründeten Wissens.

3.2 Unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung der "registrierten" Kriminalität in den amtlichen Kriminalstatistiken

3.2.1 Das Strafverfahren als Prozess differentieller Entkriminalisierung durch "Ausfilterung"

Kriminalstatistiken sind primär Arbeitsnachweise staatlicher Instanzen und damit "Nebenprodukte" ihrer Tätigkeit. In ihnen wird die im Strafverfahren erfolgende Selektion an einzelnen Punkten abgebildet. Die vergleichende Gegenüberstellung der absoluten Zahlen der wegen Verbrechen oder Vergehen - jeweils ohne Straftaten im Strassenverkehr - polizeilich registrierten Fälle, der ermittelten (strafmündigen) Tatverdächtigen, der deshalb Angeklagten* und Verurteilten (Schaubild 1 und 2) zeigt, dass gut zwei Drittel der von der Polizei als "tatverdächtig" registrierten Personen letztendlich nicht verurteilt werden. Dies beruht vor allem auf zwei Gründen:

3.2.2 Das Strafverfahren als Prozess differentieller Entkriminalisierung durch "Umdefinition"

Das Strafverfahren ist indes nicht nur ein Prozess der "Ausfilterung", sondern auch ein Prozess der "Umdefinition". Insbesondere im Bereich der Schwerkriminalität findet besonders häufig eine solche "Umdefinition" statt, und zwar regelmässig zu minder schweren Straftatbeständen hin. Im gegenwärtigen System der Statistiken ist dieser Prozess der "Umdefinition" nicht erkenn- und nicht messbar. Die statistischen Massen der jeweiligen Statistiken sind nicht miteinander verbunden, insbesondere ist der Output der einen Statistik nicht identisch mit dem Input der im Verfahrensgang zeitlich nachfolgenden Statistik. Bewertungsverschiebungen hinsichtlich der rechtlichen Wertung des Sachverhalts sind deshalb nicht erkennbar. Eine Verlaufsstatistik, die dies ermöglichen würde, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nicht.

Im gegenwärtigen System unserer Statistiken werden die Daten für die PKS und für die StVSt jeweils selbständig erhoben. In der PKS wird das Ergebnis der Beurteilung durch Polizeibeamte im Zeitpunkt der Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft ausgewiesen; die StVSt weist hingegen das Ergebnis der gerichtlichen Beurteilung am Ende des Verfahrens aus. Das statistische Bild der "registrierten" Kriminalität ist deshalb beeinflusst von der auf jeder Erfassungsebene nach je eigenen Massstäben erfolgenden Sachverhaltswahrnehmung und -bewertung. Bekannt ist, dass die Erfassung in der PKS zur Überschätzung tendiert, und zwar sowohl hinsichtlich der Zahl der "Taten" und der "Tatverdächtigen" als auch hinsichtlich der Schwere des Sachverhalts. Im Zweifel wird der als schwerer zu beurteilende Sachverhalt angenommen (Überbewertungstendenz). Diese Überbewertung wird, wenn sie im weiteren Fortgang des Verfahrens korrigiert wird, im statistischen Ausweis der PKS nicht zurückgenommen, und zwar weder im Fall der "Ausfilterung" noch im Fall der "Umdefinition". In den Kriminal- und Rechtspflegestatistiken werden demgemäss unterschiedlich bewertete "Realitäten" und damit eine je andere "Wirklichkeit" der "registrierten Kriminalität" sichtbar.

3.3 Folgerungen für die kriminalstatistische Analyse

Wenn das Strafverfahren ein Selektionsprozess ist, in dem es nicht "die" Wirklichkeit gilt, dann kann dies nur heissen, dass die "Wirklichkeit" einer Statistik nicht Vorrang vor der "Wirklichkeit" einer anderen Statistik haben kann und darf. Diese unterschiedlichen "Wirklichkeiten" müssen vielmehr durch vergleichende Gegenüberstellung einander konfrontiert und hierdurch gegenseitig kontrolliert werden. Hierbei gilt es auch, die "Entkriminalisierungsleistung" von Staatsanwaltschaft und Gericht trotz bejahten Tatverdachts in Fällen der Einstellung gem. §§ 153 ff. StPO, 45, 47 JGG, zu berücksichtigen.

3.4 Grenzen der vergleichenden Gegenüberstellung der Daten von PKS und StVSt - statistikimmanente Grenzen der Messung

3.4.1 Beschränkte Kompatibilität aufgrund unterschiedlicher Erfassungsgrundsätze und verschiedener Erfassungszeiträume

Diese Einsicht in die Notwendigkeit vergleichender GegenÜberstellung und Ergebniskontrolle lässt sich freilich wegen unterschiedlicher Erfassungsgrundsätze und verschiedener Erfassungszeiträume von PKS und StVSt nur begrenzt umsetzen. Hinsichtlich der Erfassungsgrundsätze besteht der wesentliche Unterschied darin, dass in der PKS ein Tatverdächtiger, werden ihm in einem Ermittlungsverfahren mehrere Fälle verschiedener Straftaten zugeordnet, für jede Untergruppe gesondert registriert wird, für die entsprechenden übergeordneten Straftatengruppen bzw. für die Gesamtzahl der Straftaten aber jeweils nur einmal. Es ist also nicht erkennbar, ob es sich bei dem bei gefährlicher Körperverletzung und bei dem bei Raub ausgewiesenen Tatverdächtigen um ein und dieselbe Person handelt oder um zwei verschiedene Personen. In der StVSt wird dagegen - entsprechend dem Prinzip der "Einheit der Person" - jede abgeurteilte Person nur einmal gezählt, es sei denn, ein und dieselbe Person wird in verschiedenen Strafverfahren abgeurteilt. Betrifft die Aburteilung verschiedenartige Straftaten, dann erfolgt eine Erfassung bei dem nach Art und Mass mit der abstrakt schwersten Strafe bedrohten Delikt. Gerade junge Menschen, die häufiger als ältere mit einem breiteren Deliktsspektrum auffällig werden, werden aufgrund dieser Zählweise in der PKS bei deliktsspezifischer Erfassung überrepräsentiert. Umgekehrt gilt für die StVSt, dass je leichter ein Delikt ist, umso grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ein deshalb Verurteilter in der StVSt nicht hier, sondern bei einem mitverwirklichten schwereren Delikt ausgewiesen wird.

Die Erfassungszeiträume - jeweils ein Kalenderjahr - stimmen in der PKS und der StVSt deshalb nicht überein, weil die Bezugspunkte unterschiedlich sind. In der PKS erfolgt die Erfassung nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen und vor Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft oder das Gericht. Für die StVSt werden die Daten nach Rechtskraft des Urteils bzw. des Strafbefehls oder nach sonstiger endgültiger Erledigung des Verfahrens durch das Gericht erfasst.

3.4.2 Regionale Grenzen bei vergleichender Gegenüberstellung der Statistiken

Analysen der Kriminalitätsentwicklung bei vergleichender Gegenüberstellung der Daten von PKS und StVSt sind derzeit nur für die alten Bundesländer - einschliesslich Berlin insgesamt - möglich. Denn nur für die alten Länder sind die Daten der StVSt verfügbar.

4. Grenzen kriminalstatistischer Aussagen aufgrund statistikimmanenter Grenzen

4.1. Grenzen aufgrund mangelnder Differenziertheit der erhobenen kriminalstatistischen Daten

Die Schwere der Taten wird in den Kriminalstatistiken nicht bzw. nur unvollständig zum Ausdruck gebracht, weil die Statistiken auf dem Prinzip numerischer Häufigkeitszählungen beruhen, also zählen statt wägen. Dies gilt insbesondere, wenn Deliktsgruppen gebildet werden, wie etwa "Gewaltkriminalität", in der ein Mord genausoviel zählt wie die zu einer Körperverletzung führende Rauferei zweier Schüler mit einem Dritten (gefährliche Körperverletzung gem. § 224 StGB), ein Bankraub mit Geiselnahme und mit einer Beute von 100.000 DM genausoviel wie ein Handtaschenraub oder wie die gewaltsame Wegnahme eines Fanabzeichens unter Schülern. Deshalb kann die in der Öffentlichkeit verbreitete Gleichsetzung von "Gewaltkriminalität" mit "erheblichen Verletzungen" durch kriminalstatistische Daten nicht gestützt werden, weil hierbei die Bandbreite der statistisch unter Raub oder unter gefährlicher Körperverletzung subsumierbaren Sachverhalte verkannt wird. (Nicht nur) Laien ist regelmässig nicht deutlich, dass die Deliktsgruppe "gefährliche Körperverletzung" neben der Begehung "mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" vor allem auch die "gemeinschaftliche" Begehung umfasst, dass sich in dieser Deliktsgruppe der PKS neben besonders brutalen und lebensbedrohlichen Begehungsformen undifferenziert auch die jugendtypische Konstellation bei Raufhändeln unter Gruppen ("gemeinschaftlich") Jugendlicher auf dem Schulhof oder in der Freizeit findet, die sich im Regelfall gerade nicht durch die von der Tatbestandsbezeichnung suggerierte besonders gefährliche Tatintention oder -ausführung auszeichnet.

Kriminologisch wichtige Informationen (z.B. Gruppendelinquenz, Straftatbegehung unter Alkoholeinfluss) werden entweder nicht erhoben oder können einzelnen Altersklassen nicht zugeordnet werden.

4.2 Grenzen der Aussagen wegen fehlender oder invalider statistischer Bezugsgrössen

Umfang und Struktur der registrierten Tätermengen werden beeinflusst durch Grösse, Zusammensetzung und Entwicklung der Bevölkerung. Demographische Veränderungen erfolgen nicht nur als Folge von Schwankungen der Geburtenraten, sondern auch durch Wanderungsbewegungen, insbesondere durch Zuwanderungen von Ausländern oder Aussiedlern. Diese Veränderungen werden in statistischer Hinsicht dadurch berücksichtigt, dass die absoluten Zahlen auf einen konstant gesetzten Bevölkerungsanteil bezogen werden. Dies geschieht durch Berechnung von Häufigkeitszahlen, der Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ) bzw. der Verurteiltenbelastungszahl (VBZ). Hierbei wird die Zahl der Tatverdächtigen bzw. der Verurteilten jeweils auf 100.000 der altersgleichen und/oder altersgleichen Wohnbevölkerung bezogen.

Eine Berechnung von TVBZ oder VBZ setzt voraus, dass die Bezugsgrösse, hier die zur Wohnbevölkerung gemeldeten Personen, hinreichend genau bekannt ist. Unvermeidlich und hinnehmbar sind hierbei Fehler, die sich dadurch ergeben, dass es sich um fortgeschriebene Bevölkerungszahlen handelt, d.h. um solche, die seit der jeweils letzten Volkszählung fortgerechnet worden sind. Weitaus problematischer sind indes systematische Unterschätzungen der Bezugsgrösse, weil in ihr nicht berücksichtigt sind

Diese Unterschätzung ist beachtlich. Nach den in der PKS veröffentlichten Daten (vgl. BKA [Hrsg.]: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997, S. 114) dürfte für 1997 der Anteil der im Bundesgebiet insgesamt melderechtlich nicht erfassten nichtdeutschen Tatverdächtigen zwischen 30% und 40% betragen ("illegaler" Aufenthalt: 21,8%; "Touristen/Durchreisende": 7,9%; "Sonstige", wie z.B. Flüchtlinge, nicht anerkannte Asylbewerber mit Duldung: 24,4%, von denen ein nicht näher bestimmbarer Teil melderechtlich ebenfalls nicht erfasst sein dürfte). Je stärker die altersgleiche Bezugsbevölkerung unterschätzt ist, um so höher ist die Überschätzung der Kriminalitätsbelastung.

Wenn, wie dies in den letzten Jahren geschehen ist, sowohl die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen als auch der Anteil der nicht bei den Einwohnerbehörden registrierten Ausländer zunimmt, dann führt dies zu einer systematischen, stetig stärker werdenden Überschätzung von nicht entsprechend differenzierten TVBZ; entsprechendes gilt für die VBZ.

Deshalb sind valide TVBZ bzw. VBZ für die nichtdeutschen Tatverdächtigen bzw. Verurteilten auf der Grundlage der veröffentlichten Daten der amtlichen Kriminal- und Rechtspflegestatistiken nicht ermittelbar. Sowohl Bundeskriminalamt als auch Statistisches Bundesamt teilen deshalb die Auffassung, dass valide Belastungszahlen für die nichtdeutschen Tatverdächtigen bzw. Verurteilten nicht errechnet werden können:

Selbst für die Teilgruppe der ausländischen Tatverdächtigen, die zur Wohnbevölkerung gemeldet sind, lassen sich nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes keine validen Belastungszahlen berechnen. "Die Volkszählung 1997 hat gezeigt, dass auch die Daten der gemeldeten ausländischen WohnbevÖlkerung (fortgeschriebene BevÖlkerungsstatistik) sehr unzuverlässig sind." (BKA [Hrsg.]: Polizeiliche Kriminalstatistik 1997, S. 103).

Valide Aussagen über die Entwicklung der registrierten Kriminalität sind deshalb lediglich für die die Teilgruppe der deutschen Tatverdächtigen und Verurteilten möglich, weil nur für diese Gruppen die Bezugsgrösse, die Wohnbevölkerung, mit hinreichender Genauigkeit bekannt ist. Deshalb werden im Folgenden lediglich die Daten der PKS und der StVSt für Deutsche nach Altersgruppen und Geschlecht einander vergleichend gegenübergestellt.

[Zurück zur Übersicht] | [nächste Seite] | [Tabellen] | [Schaubilder] | [Glossar] | [Literaturliste]


Letztes Update am 28.07.1999
Bearbeitet von Martina Schulz