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Thermospannung und Kontaktspannung

In einführenden Vorlesungen und Lehrbüchern (siehe aber [3]) wird als Ursache für die Entstehung einer Thermospannung meist die Temperaturabhängigkeit der Kontaktspannung zwischen zwei verschiedenen Metallen angegeben. Wird eine der beiden Lötstellen eines Thermoelements erwärmt, so herrscht an dieser eine andere Kontaktspannung als an der kälteren Lötstelle. Die Differenz der Kontaktspannungen ergibt nach dieser Vorstellung die Thermospannung. Wir setzen uns im folgenden mit dieser, wie sich zeigen wird, irrigen Vorstellung auseinander.

Die Ursache der Kontaktspannung zwischen zwei Metallen ist ihre unterschiedliche ``Austrittsarbeit'' $ W$, das ist die Energie, die mindestens aufgebracht werden muß, um ein Elektron vom Metall abzulösen. Das chemische Potential $ \mu$ der Leitungselektronen in einem Metall liegt um die Austrittsarbeit unter der Dissoziationsenergie (Abb. 6). Wählen wir letztere als Energienullpunkt für die Elektronen, so gilt

$\displaystyle \mu = - W.$ (5)

Die mittlere Besetzungszahl eines Einelektronenzustands $ \vec k$ mit der Energie $ \varepsilon_{\vec k}$ in einem Metall oder Halbleiter ist durch die Fermi-Verteilung

$\displaystyle n_{0}(\vec k) = \frac{1}{e^{(\varepsilon_{\vec k}-\mu)/k_B T}+1}$ (6)

gegeben. Bei Zimmertemperatur sind im wesentlichen Zustände mit Energien $ \varepsilon_{\vec k} < \mu$ besetzt, solche mit Energien $ \varepsilon_{\vec k} > \mu$ unbesetzt. Der Übergang von ``besetzt'' zu ``unbesetzt'' geschieht stetig in einem Energieintervall in der Umgebung des chemischen Potentials, dessen Breite ungefähr $ 2k_B T$ beträgt (Abb. 7). Für $ T \to 0$ wird der Übergang scharf. Man bezeichnet dann das chemische Potential auch als Fermi-Energie.

Abbildung 7: Die Bedeutung des chemischen Potentials für die Energieverteilung eines entarteten Elektronensystems.
\epsfbox {jaeckle_abb7.eps}

Stellt man einen Kontakt zwischen zwei Metallen $ A$ und $ B$ mit verschiedenen Austrittsarbeiten $ W_A$ und $ W_B$ her, treten Elektronen aus dem Metall mit der kleineren in jenes mit der größeren Austrittsarbeit über, wodurch eine elektrische Doppelschicht (Abb. 8) entsteht.

Abbildung 8: Elektrische Doppelschicht an der Grenzfläche zweier Metalle mit verschiedenen Austrittsarbeiten.
\epsfbox {jaeckle_abb8.eps}

Die elektrische Doppelschicht erzeugt an der Grenzfläche zwischen den beiden Metallen einen Sprung des elektrostatischen Potentials $ \varphi $, welcher den Unterschied der chemischen Potentiale $ \mu_A$ und $ \mu_B$ gerade kompensiert:

$\displaystyle -e (\varphi_A-\varphi_B) = -(\mu_A-\mu_B) = W_A-W_B.$ (7)

Hier bezeichnet $ (-e)$ die Elektronenladung. Die Potentialdifferenz $ \varphi_A-\varphi_B$ ist die Kontaktspannung. Ausgedrückt durch das elektrochemische Potential

$\displaystyle \varphi_{e-ch}= \varphi - \frac{\mu}{e}$ (8)

der Leitungselektronen, bedeutet (7) die Gleichheit dieses elektrochemischen Potentials in den beiden Leitern an der Kontaktstelle. Dies ist die allgemeine thermodynamische Gleichgewichtsbedingung für zwei Metalle in Kontakt. Da die Elektronen auf den beiden Seiten einer Kontaktstelle miteinander im thermodynamischen Gleichgewicht sind, können die auftretenden Kontaktspannungen -- genauer gesagt ihre Differenz -- keinen elektrischen Strom in Gang setzen. Daraus folgt unmittelbar, daß der in einem kurzgeschlossenen Thermoelement fließende Thermostrom nicht durch die aus der Temperaturdifferenz der Lötstellen resultierende Differenz der Kontaktspannungen erklärt werden kann.

Die fragliche Vorstellung, wonach die Thermospannung $ U$ eines Thermoelements aus dem Unterschied der Kontaktspannungen an den verschieden temperierten Lötstellen resultiert, läßt sich formulieren als

$\displaystyle '' U = \left( \varphi_A - \varphi_B\right)_{T_1} - \left( \varphi_A-\varphi_B \right)_{T_2} \, .''$ (9)

Tatsächlich mißt das in Abbildung 1 gezeichnete Voltmeter aber die Differenz des elektrochemischen Potentials zwischen seinen Eingängen $ a$ und $ b$:
$\displaystyle U$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \varphi_{e-ch} (b)-\varphi_{e-ch}(a)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle \varphi (b)- \varphi (a) - \frac{\mu(b)-\mu (a)}{e}\, .$ (10)

Hierin verschwindet der Beitrag der Differenz $ \mu(b)-\mu(a)$ der chemischen Potentiale, da die Voltmetereingänge $ a$ und $ b$ aus demselben Material bei derselben Temperatur bestehen. Somit ist die an einem Thermoelement gemessene Thermospannung $ U$ gleich der rein elektrostatischen Potentialdifferenz $ \varphi (b)-
\varphi (a)$ zwischen den zwei Voltmetereingängen!

Worin unterscheiden sich die beiden Ausdrücke (9) und (10)? Die gesamte Potentialdifferenz (10) läßt sich zerlegen in den Beitrag der Potentialsprünge an den zwei verschieden temperierten Lötstellen, welcher gerade durch die Differenz (9) der Kontaktspannungen gegeben ist, und die Summe der Potentialdifferenzen entlang der drei Leiterabschnitte zwischen $ a$ und $ b$. Die letztere Summe macht gerade den Unterschied zwischen (10) und (9) aus. Im Gegensatz zu (9) läßt sich der ganze Ausdruck (10) nicht auf die Temperaturabhängigkeit von Austrittsarbeiten zurückführen, sondern hängt von Transporteigenschaften der Ladungsträger ab. Infolgedessen kann die Thermospannung (10) -- im Gegensatz zur Kontaktspannung -- empfindlich durch Dotierung mit Fremdatomen und strukturelle Defekte der Leitermaterialien beeinflußt werden. Die Differenz (9) der Kontaktspannungen gibt im allgemeinen nur die richtige Größenordnung der Thermospannung an.


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Klaus Froboese
1999-01-15