Dr. Benedikt Hell

Dr. Benedikt Hell ist Beauftragter für Auswahl- und Orientierungsverfahren in der Studentischen Abteilung der Universität Konstanz und Lehrbeauftragter im Fachbereich Psychologie. Er hat in Bielefeld und Bonn Psychologie studiert und wurde 2003 an der Universität Hohenheim zum Dr. rer. soc. promoviert.

Neben seinen Arbeitsgebieten „Auswahl- und Orientierungsverfahren“ verfolgt er die folgenden Forschungsschwerpunkte: persönlichkeitspsychologische Grundlagen der Eignungsdiagnostik; Struktur und Messung beruflicher Interessen; Fairness von eignungsdiagnostischen Verfahren. Aktuell leitet er die Drittmittelprojekte „Genderfairness eignungsdiagnostischer Verfahren“, „Entwicklung eines landesweiten Orientierungstests“ und „Intensivtrainings zur Studienorientierung“.

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Welche Rolle spielen Tests in der Studienorientierung? Sind sie Allheilmittel oder Notnagel? Wie aussagekräftig sind sie, wo haben sie ihre Grenzen? Und was hat es mit Studierfähigkeitstests auf sich? Dr. Benedikt Hell ist Beauftragter für Auswahl- und Orientierungsverfahren in der Studentischen Abteilung der Universität Konstanz. "Im Gespräch" hat sich bei ihm nach Details erkundigt.

Herr Dr. Hell, Sie haben den Test was-studiere-ich.de mit entwickelt. Was erwartet die Testteilnehmer?

Bei was-studiere-ich.de handelt es sich um einen Orientierungstest, der die berufsbezogenen Interessen sowie die Stärken der Teilnehmer analysiert. Der Test ist kostenlos, und alle Testteilnehmer bekommen direkt im Anschluss an die Testdurchführung eine ausführliche Rückmeldung über passende Studiengänge und Berufe.

 

Was hat Sie auf die Idee gebracht einen solchen Test zu entwickeln?

Es gibt zwei Entwicklungen, die die Wahl eines Studienfachs für Schulabgänger schwieriger machen als in der Vergangenheit. Erstens wurde die Gymnasialzeit um ein Jahr verkürzt. Daher müssen sich die Schülerinnen und Schüler bereits ein Jahr früher entscheiden. Zweitens entwickeln die Hochschulen seit Einführung des Bachelor zunehmend spezialisierte Studienangebote, unter denen sich die Schulabgänger wenig vorstellen können. Dazu gehören z.B. Studiengänge wie Mikrosystemtechnik, Facility Management oder Wirtschaftsphysik. Die Schülerinnen und Schüler stehen also vor der schwierigen Aufgabe, sich in dem Dschungel an neuen Studienangeboten zurecht zu finden – und das ein Jahr früher als bisher. Die Hochschulen wiederum sind auf der Suche nach passenden Studierenden für ihre Studienangebote. Unser Test soll beiden Seiten helfen. Er funktioniert im Prinzip so ähnlich wie eine Partnerbörse: Die Ratsuchenden geben ihr persönliches Profil ein, die Hochschulen die Studiengangprofile, und der Computer vergleicht die Angaben miteinander.

 

Wird die persönliche Beratung in Zukunft dann durch Tests ersetzt?

Ganz sicher nicht! Es kommt darauf an, die Beratungsangebote sinnvoll miteinander zu vernetzen und die Stärken der jeweiligen Methoden zu kombinieren. Tests können z.B. als Vorbereitung für ein Beratungsgespräch bearbeitet werden oder können auch eine Initialzündung dafür sein, sich mit seiner beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen. Online-Tests zur Studienorientierung haben den großen Vorteil, dass sie über das Internet direkt bis an den Schreibtisch der Ratsuchenden transportiert werden. Wir holen die Zielgruppe also dort ab, wo sie sich viele Stunden des Tages ohnehin aufhält. Weiterhin können wir über unseren Online-Test viele Ratsuchende erreichen: was-studiere-ich.de wurde inzwischen von über 750 000 Ratsuchenden bearbeitet.

 

Ist die oft propagierte Menschenkenntnis heute nicht mehr gefragt?

Doch! Aber Studien- und Berufsberater bringen eine andere Art der Menschenkenntnis mit als der Computer. In einem Beratungsgespräch können Berater sehr detailliert und persönlich auf den jeweiligen Ratsuchenden eingehen. Dabei können Aspekte vertieft werden, die dem Computer mit seinen fest gefügten Kategorien verborgen bleiben. Ich denke dabei zum Beispiel an die individuelle Biografie der Ratsuchenden. Zudem werden in einem persönlichen Gespräch zusätzliche Kommunikationskanäle genutzt, die dem Computer verschlossen bleiben: Tonfall, Mimik, Körpersprache. Eine computerbasierte Beratung hat andere Vorteile: Wir können sehr viele Informationen mit unseren Tests erfragen und diese sehr komplexen Informationen mit unserer Studiengangsdatenbank abgleichen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass jeder Ratsuchende die gleichen Fragen gestellt bekommt. Anders als bei persönlichen Gesprächen werden Formulierungen oder die Auswahl der Fragen nicht durch Vorinformationen, wie zum Beispiel das Geschlecht oder die Herkunft der Ratsuchenden, beeinflusst.

 

Sie beschäftigen sich auch mit der Frage, ob Auswahlverfahren wie zum Beispiel Auswahlgespräche oder Studierfähigkeitstests sinnvoll sind. Hat die gute alte Abiturnote ausgedient?

Dieser spannenden Frage sind wir in einer Übersichtsarbeit nachgegangen. Wir haben alle Studien, die sich mit der Prognose des Studienerfolgs beschäftigen, zusammengetragen. Und siehe da: Die Abiturnote ist aussagekräftiger als Studierfähigkeitstests und Auswahlgespräche!

 

Sind Abiturnoten aus verschiedenen Bundesländern miteinander vergleichbar?

Tatsächlich unterscheiden sich die Bundesländer in ihren Notenniveaus. Die Spanne der Durchschnittsnoten - der Bundesländer, nicht der einzelnen Abiturienten – bewegt sich in einem relativ engen Korridor zwischen 2.3 und 2.6. Übrigens stimmt die weit verbreitete Ansicht, dass Bewerber aus den beiden südlichsten Bundesländern benachteiligt sind, nicht: Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Bayern erzielen die Abiturienten im Schnitt bessere Abiturnoten als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz. Und das Spannende dabei ist ja nun: Trotz dieser Unterschiede in den Notenniveaus hängt die Abiturnote eng mit dem Studienerfolg zusammen.

 

Oft starten schlechtere Abiturienten im Studium richtig durch. Heißt das, dass der Zusammenhang doch nicht so eng ist?

Der Zusammenhang zwischen Abiturnote und Studiennoten ist vergleichsweise eng, aber nicht so eng, dass ohne Fehler von dem einen auf das andere geschlossen werden kann. Das ist wie bei der Wettervorhersage: Selbst bei den zuverlässigsten Prognosen - die sind ja mittlerweile ziemlich gut - kann es auch schon mal regnen, wenn Sonnenschein angesagt war. Auf die Abiturnote bezogen: Bei 100 Personen kann man einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Abiturnote und Studiennote erkennen, aber es gibt immer einzelne Personen, die mit schlechten Abiturnoten gute Studienergebnisse erzielen oder mit guten Abiturnoten später im Studium schlecht abschneiden.

 

Manche Universitäten setzen seit neuestem auf Auswahlgespräche. Was halten Sie davon?

Wir haben in unseren Analysen herausgefunden, dass die Aussagekraft von Auswahlgesprächen sehr stark davon abhängt, wie sie geführt werden. Gespräche, die ins Blaue hinein geführt werden oder bei denen auf das viel zitierte Bauchgefühl gehört wird, sind praktisch wertlos. In diesen Fällen werden die Gesprächsergebnisse von vielfältigen Fehlereinflüssen wie der Herkunft der Bewerber oder den Stereotypen im Kopf des Auswählenden erheblich verzerrt. Auswahlgespräche werden erst dann aussagekräftig, wenn sie sich erstens ganz konkret auf die Studienanforderungen beziehen und wenn sie zweitens in standardisierter Form geführt werden. Das trifft übrigens nicht nur auf Auswahlgespräche an Universitäten zu, sondern auch auf Einstellungsgespräche in der Wirtschaft.

 

Und wie steht es um die Aussagekraft von Studierfähigkeitstests? Was können diese leisten?

Studierfähigkeitstests reichen in ihrer Prognosekraft nicht an die Abiturnote heran. Weiterhin spricht gegen diese Tests, dass deren Entwicklung recht aufwendig ist. Es entstehen Kosten für Bewerber und auch für die Hochschulen. Auf der anderen Seite steigern Studierfähigkeitstests die Chancengleichheit, da jeder Bewerber die gleichen Aufgaben zu bearbeiten hat. Zudem erhalten Abiturienten mit einem schlechten Abitur durch den Test eine zusätzliche Zulassungschance. Und nicht zuletzt kann die Aussagekraft von Zulassungsverfahren durch einen gemeinsamen Einsatz von Abiturnote und Tests gegenüber einer alleinigen Berücksichtigung der Abiturnote in einem gewissen Ausmaß gesteigert werden. Es stellt sich dann die Frage, ob Aufwand und Ertrag in einem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen. Das hängt von mehreren Faktoren ab: In Fächern, in denen ein Studienplatz sehr teuer ist, also zum Beispiel in Studiengängen mit enger Betreuungsrelation und viel Laborarbeit, rentiert sich ein Test eher als in Studiengängen, in denen ein Studienplatz recht günstig ist. Weiterhin wirkt sich die Strenge der Auswahl erheblich auf den Nutzen eines Tests aus.

 

Welche Rolle spielen Studierfähigkeitstests heute bei der Auswahl von Studienplatzbewerbern?

In den USA werden Studierfähigkeitstests weitflächig eingesetzt, im deutschsprachigen Raum hingegen herrscht eine gewisse Zurückhaltung gegenüber solchen Leistungstests. Der so genannte Medizinertest ist hierzulande sicher das bekannteste Verfahren. Dieser Test wurde in den 80er- und 90er-Jahren bei der Zulassung zu den medizinischen Studiengängen berücksichtigt und erlebt derzeit eine Renaissance, denn die medizinischen Fakultäten des Landes Baden-Württemberg setzen diesen Test seit neuestem wieder ein. Generell reiten die baden-württembergischen Hochschulen in dieser Frage vor beziehungsweise werden zum Vorreiten gezwungen: Ab dem Wintersemester 2011/2012, so lautet die gesetzliche Vorgabe, müssen die Hochschulen des Landes auf Tests oder Gespräche zur Auswahl setzen.

 

Was raten Sie Schülerinnen und Schülern, die vor der Frage stehen, was sie nach dem Abitur machen sollen?

Die Schülerinnen und Schüler sollten sich möglichst frühzeitig mit ihrer Studien- und Berufswahl auseinandersetzen, sich rechtzeitig informieren und auch die vielfältigen Informations- und Beratungsangebote nutzen. Die Zentralen Studienberatungsstellen und auch die Kollegen von der Bundesagentur bieten viele nützliche Hilfestellungen an. Aber auch die Schulen werden immer aktiver: Aktuell haben wir zusammen mit dem Kultus- und dem Wissenschaftsministerium ein Intensivtraining zur Studien- und Berufswahl entwickelt, das in den kommenden Monaten an vielen Schulen angeboten wird. Ich rate sehr dazu, solche Angebote wahrzunehmen.