Ungeboren – Geboren

Historische Forschung am werdenden Leben ist Thema der Kulturwissenschaft

Mit einem öffentlichen Vortrag aus der Wissenschaftsgeschichte startet das Kulturwissenschaftliche Kolleg des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz in sein neues akademisches Jahr. Prof. Dr. Caroline Arni wird am Donnerstag, 22. Oktober 2015, über eine vergangene Forschungspraxis an ungeborenem und geborenem Leben sprechen: „Un/Geboren. Eine historische Anthropologie der Entwicklungswissenschaften“. Caroline Arni, die an der Universität Basel Allgemeine Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts lehrt, ist eine von rund zwanzig neuen Gastwissenschaftlern („Fellows“), die bis zu ein Jahr lang am Kulturwissenschaftlichen Kolleg forschen werden. Die Veranstaltung, die um 17.00 Uhr in der Bischofsvilla am Seerhein (Otto-Adam-Straße 5) beginnt, steht allen Interessierten offen.

Pränatale Forschung boomt. In Studien ist etwa nachzulesen, wie sich Stress der werdenden Mutter auf den Embryo auswirkt. Oder Ratschläge werden gegeben, welche Musik sie hören sollte. Dabei profitiert die moderne Forschung von neuen Technologien, die in den vergangenen Jahrhunderten noch nicht zur Verfügung standen. Genau um jene Zeit vor der technologiebasierten Pränataldiagnostik geht es in dem wissenschaftsgeschichtlichen Projekt von Caroline Arni. Sie beleuchtet die Forschungspraxis von Physiologen und Psychologen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert Föten und Neugeborene beobachteten und mit ihnen Experimente machten.

Diese Forschung, sagt Caroline Arni, war angeleitet von der Idee der Entwicklung: „Die Zeit im Mutterleib wurde zur ersten Phase eines langen und langsamen Prozesses, der aus dem Keim einen Fötus, aus dem Fötus einen Säugling, aus dem Säugling ein Kind und aus dem Kind einen Erwachsenen machen wird.“ Dabei schien sich eine alte Frage gar nicht mehr zu stellen, die bis dahin Theologen und Gelehrte beschäftigt hatte, nämlich wann aus dem Keim ein Mensch wird. Eine Untersuchung der Forschungspraxis rund um die Geburt zeigt aber nach Caroline Arni, dass es genau darum ging: „Die Entwicklungsforscher wurden regelrecht heimgesucht von der Frage, was das Ungeborene im Verhältnis zum Geborenen ist.“ Die Historikerin untersucht in diesem Kontext nicht nur Ideen und Verfahren der damaligen Wissenschaft: „Mich interessiert im Moment vor allem, wie sich Wissenschaftler ihren Objekten zuwandten, in denen sie ihren eigenen Anfang zu ergründen versuchten.“

Caroline Arnis Vortrag ist gleichzeitig die Eröffnung des neuen akademischen Jahres im Kulturwissenschaftlichen Kolleg, zu dem der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ wieder zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeladen hat. Diese „Fellows“ kommen aus dem nationalen und internationalen Raum zusammen, um gemeinsam mit Konstanzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über das zentrale Thema des Exzellenzclusters, die kulturellen Grundlagen von Integration, zu forschen.

Weitere Informationen zum Kulturwissenschaftlichen Kolleg unter: www.exc16.de/cms/kolleg.html