Copyright: Gerry Carter, Smithsonian Tropical Research Institute
Copyright: Gerry Carter, Smithsonian Tropical Research Institute

Sozialversicherung nach Art der Vampire

Biologen des Smithsonian Tropical Research Institute und der Universität Konstanz beobachten soziale Absicherungsstrategie unter Vampirfledermäusen

Vampirfledermäuse bauen ein Netzwerk aus verwandten und nicht-verwandten Artgenossen auf, die als Ersatz und Absicherung dienen, falls Familienmitglieder und Nahrungsspender verloren gehen. In einem Forschungsprojekt des Smithsonian Tropical Research Institute (STRI) in Panama unter Beteiligung der Universität Konstanz entdeckten Biologen diese Absicherungsstrategie von Fledermäusen, die sie als „social bet-hedging“ („sozialer Wetteinsatz“) beschreiben. Vampirfledermäuse füttern andere Mitglieder ihrer Gruppe, um ihre Chancen zu erhöhen, im Notfall von ihren Artgenossen gefüttert zu werden, falls sie selbst keine Nahrung finden können. Gemäß der „social bet-hedging“-Theorie schließt diese Überlebensstrategie als weiteres Element mit ein, eine möglichst große Anzahl potenzieller Nahrungsspender anzusammeln – selbst wenn das bedeutet, dass die Fledermäuse dafür mehr Nahrung an ihre Artgenossen abgeben müssen, als sie im Gegenzug erhalten.

 Das Forschungsteam um Dr. Gerry Carter (STRI) untersuchte über einen Zeitraum von vier Jahren soziale Interaktionen bei einer in Gefangenschaft lebenden Kolonie von etwa 30 markierten Gemeinen Vampiren (Desmodus rotundus). Auf Basis von Genuntersuchungen ermittelten die Forscher die Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere. Weibliche Vampirfledermäuse gehen starke soziale Beziehungen mit ihren Müttern und Töchtern ein, etwa bei der gegenseitigen Pflege oder wenn sie Mahlzeiten teilen. Für die Dauer einer 24-stündigen Fastenzeit separierte Carter einige weibliche Individuen von der Gruppe. Kurz bevor er sie wieder zurück ließ, entfernte er einen ihrer wichtigsten Nahrungsspender, meist die Mutter oder Tochter. Daraufhin untersuchte er, wie die Tiere mit den Veränderungen in ihrem sozialen Netzwerk umgingen.

Es stellte sich heraus, dass Weibchen, die zuvor mehr Freundschaften mit nicht-verwandten Artgenossen eingegangen waren, besser mit dem Verlust eines wichtigen Futterspenders umgingen. Sie erbeuteten mehr Nahrung als jene Weibchen, die sich zuvor nur für ihre nächsten Verwandten  – also nur für ihre Mutter oder eine ihrer Töchter – eingesetzt hatten. „Vampirfledermäuse, die zusätzlich nicht-verwandte Artgenossen füttern, haben davon zunächst keinen direkten Vorteil, wenn sie selbst hungrig sind“, schildert Carter. „Warum also tun sie es? Wir haben herausgefunden, dass sie im Fall des Verlusts eines wichtigen Nahrungsspenders dann besser abschneiden. Ihr soziales Nahrungsspendernetzwerk ist breiter aufgestellt und robuster.“

 Von deutscher Seite aus beteiligte sich Dr. Damien Farine (Universität Konstanz und Max-Planck-Institut für Ornithologie, Radolfzell) an dem Projekt. Farine trug zur Entwicklung des theoretischen Konzepts von „social bet-hedging“ bei Fledermäusen bei. Vergleichbar mit einer Börsenstrategie beschreibt „social bet-hedging“ das Kalkül, sich gegen Verluste in sehr kostspieligen, aber seltenen Ausnahmefällen abzusichern, auch wenn dafür gegenwärtige Profite geschmälert werden. „Im Fall der Aktienstrategie wird einem Börsencrash vorgebeugt. Im Fall der Vampirfledermäuse wird dem Risiko vorgebeugt, sich in einer Situation ganz ohne Nahrung und ohne bereitwilligen Nahrungsspender wiederzufinden und daher hungern oder gar verhungern zu müssen“, erklärt Damien Farine. „Die Hypothese vom ‚social bet-hedging‘ gibt neue Aufschlüsse darüber, warum Tiere soziale Gruppen bilden und pflegen“, betont Farine und zeigt Querverbindungen zu anderen Lebewesen auf: „Social bet-hedging“ kommt auch bei anderen Arten vor, einschließlich des Menschen. Farines Studien zeigen, dass Paviane, die einen nahen Verwandten an ein Raubtier verlieren, damit anfangen, sich um mehr Mitglieder ihrer Gruppe zu kümmern. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Menschen, die in unberechenbaren sozialen Verhältnissen leben, mehr Wert auf eine möglichst große Zahl an Freundschaften legen, als auf wenige intensive. „Es wäre besonders interessant herauszufinden, inwieweit partnerschaftliche oder freundschaftliche Netzwerke bei Menschen von der Entscheidung geprägt werden, in die Quantität oder in die Qualität von Beziehungen zu investieren“, schlussfolgern die Wissenschaftler.

Der Gemeine Vampir kommt in den amerikanischen Tropen und Subtropen vor, wo er sich zumeist von Vieh ernährt, insbesondere dort, wo die Wälder Weideland gewichen sind. Vampirfledermäuse leben gefährlich. Wenn sie nicht genug zu essen bekommen, dauert es nicht lange, bis sie verhungern. Ihre nahen Verwandten und Freunde schalten sich dann oft ein und teilen ihre Mahlzeiten. „Vampirfledermausweibchen pflanzen sich erst ab einem Alter von zwei Jahren fort. Ab diesem Zeitpunkt haben sie ein einziges Junges pro Jahr, so dass die Anzahl eng verwandter Weibchen pro Individuum eher gering ausfällt“, sagt Mitautor Gerald Wilkinson, Professor für Biologie an der Universität von Maryland. „Social bet-hedging“ beschreibt somit die Strategie, nicht „alles auf eine Karte zu setzen“ und nur eine kleine Anzahl sehr starker sozialer Beziehungen einzugehen, sondern eine größere Anzahl loser Beziehungen als soziale Absicherung zu pflegen.

Originalpublikation:

Carter, Gerald G, Damien R. Farine, Gerald S. Wilkinson. 2017. Social bet-hedging in vampire bats. Biology Letters.

DOI: http://dx.doi.org/10.1098/rsbl.2017.0112

Faktenübersicht:

  • Beteiligte Einrichtungen: Smithsonian Tropical Research Institute (Panama), Universität Konstanz, Max-Planck-Institut für Ornithologie, University of Oxford (Großbritannien), University of Maryland (USA)
  • Gefördert von: Die Studie wurde von der Ford Foundation und einem Zuschuss der U.S. National Science Foundation, der American Society of Mammalogists und der Animal Behavior Society finanziert.
  • Über das Smithsonian Tropical Research Institute (STRI): Das Smithsonian Tropical Research Institute mit Hauptsitz in Panama City, Panama, gehört zur Smithsonian Institution. Das Institut widmet sich der Erforschung der Tropen und ihrer Bedeutung für das menschliche Wohlergehen, bereitet Studierende auf die Forschung in den Tropen vor und fördert den Naturschutz, indem es die Öffentlichkeit über die Schönheit und Bedeutung tropischer Ökosysteme aufklärt.