Lernen vor Ort als Bildungsreform

Presseinformation Nr. 58 vom 8. Juni 2015

Konstanzer Politikwissenschaftler untersuchten im Auftrag der OECD die Förderinitiative „Lernen vor Ort“


Prof. Dr. Marius Busemeyer

Wie gehen europäische Länder mit den Herausforderungen moderner komplexer Gesellschaften für ihre Bildungssysteme um und wie erfolgreich sind sie dabei? Mit dieser Frage im Hintergrund analysierten die beiden Konstanzer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Marius Busemeyer und Janis Vossiek im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Förderinitiative „Lernen vor Ort“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Ziel des OECD-Forschungsprojekts „Governing Complex Education Systems“ ist, aufgrund des Vergleiches verschiedener nationaler Programme transnationale Problemlösungen zu erarbeiten. Die Konstanzer Forscher konnten zeigen, dass die Förderinitiative der deutschen Bundesregierung insbesondere in der Einführung nachhaltiger Strukturen im Bereich Bildungsmonitoring erfolgreich war.

Die Förderinitiative „Lernen vor Ort“ wurde zwischen 2009 und 2014 in rund 40 Kommunen zum Aufbau eines kommunalen Bildungsmanagements durchgeführt. Das Programm konzentrierte sich insbesondere auf die Steuerung des Bildungssystems an seinen Schnittstellen – etwa beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, von dieser in eine weiterführende Schule oder in eine Lehre oder vom Arbeitsmarkt in die Weiterbildung. Die Frage lautete für die Konstanzer Forscher damit auch: Wie effektiv fördert das Programm die Zusammenarbeit zwischen Akteuren wie lokalen Verwaltungen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Bürgervereinen oder zivilgesellschaftlichen Stiftungen.

Die Studie stützt sich auf nahezu 90 Interviews mit Bildungsexperten auf nationaler Ebene und Akteuren auf lokaler Ebene. Die Haupterkenntnisse basieren auf fünf Fallstudien in Kommunen, die an der Förderinitiative teilgenommen haben. „Wir haben bei der Auswahl der Kommunen möglichst breit variiert, um zu schauen, ob das Programm trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen ähnliche Effekte entfaltet“, führt Janis Vossiek aus. So waren große Städte wie Leipzig und das Land Bremen mit dabei, gleichzeitig wurden auch Interviews in kleinen Gemeinden wie dem bayrischen Mühldorf am Inn geführt.

Ergebnisse der Konstanzer Untersuchung zeigen Erfolge der Förderstudie insbesondere im Bereich des Bildungsmonitorings als faktenbasierter Abbildung der lokalen Bildungslandschaft auf. So wurden beispielsweise regelmäßige Bildungsberichte eingeführt, die sowohl für politische Akteure als auch die Bevölkerung zugänglich sind. „Bildungsmonitoring war für viele der Kommunen eine ganz neue Aufgabe, die in der Lokalverwaltung verstetigt worden ist“, so Janis Vossiek. Hier  kann auf Basis der Ergebnisse der Konstanzer Politikwissenschaftler von einem nachhaltigen Effekt des Programms ausgegangen werden.

Die Studie konnte zwei Faktoren identifizieren, die entscheidend zum Erfolg des Programms beigetragen haben: Zum einen die Unterstützung der Förderinitiative durch die lokalpolitische Spitze. Dies trägt dazu bei, dass das Programm nicht nur von der Verwaltung, sondern auch von den zivilgesellschaftlichen Beteiligten wie Stiftungen, Elternverbände, Gewerkschaften und Arbeitgebern getragen wird. Zum anderen ist es gerade die breite Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure durch klare Kommunikation des Programms, die neben der Einführung konkreter Ziele und Projekte eine wichtige Rolle für dessen Erfolg spielen.

Als Schwäche des Programms wird gewertet, dass es die unterschiedlichen finanziellen Ressourcen der Kommunen nicht ausgleichen konnte. So verfügen größere Städte normalerweise über eigene statistische Kapazitäten, die für das Bildungsmonitoring genutzt werden können. Das gleiche gilt für unterschiedliche Ressourcen zur Bewältigung sozialer Herausforderungen wie der Integration lernschwacher Schüler ins Bildungssystem. Janis Vossiek abschließend zu der von der OECD beauftragten Untersuchung „Wir hoffen, dass wir mit den Ergebnissen Diskurse in der Entwicklung lokaler Bildungsreformen anstoßen und der politischen Debatte eine neue informative Grundlage liefern können.“