Herz der Universität aus dem Rhythmus

Presseinformation Nr. 18 vom 9. Februar 2011

Der eingeschränkte Betrieb der Bibliothek der Universität Konstanz trifft insbesondere die geisteswissenschaftlichen Fächer

„Bibliothek des Jahres 2010“ der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, dreimal in Folge Platz eins im Bibliotheksindex BIX, Spitzenplätze in internationalen Rankings – die Bibliothek der Universität Konstanz gehört mit ihren Serviceleistungen und ihrer Ausstattung zu den Besten auf ihrem Gebiet. Seit am 5. November 2010 wegen Asbestfunden – mit Ausnahme des Buchbereichs N, ein separater Neubau – große Teile der Bibliothek geschlossen werden mussten, arbeiten Bibliotheks- und Universitätsleitung mit allen vorhandenen Möglichkeiten daran, die mit der Schließung verbundenen Ausfälle für den Forschungs- und Lehrbetrieb auszugleichen. Nachdem der Buchbereich J, ein Neubau aus dem Jahr 2003, Ende November wieder geöffnet werden konnte, ist seit Mitte Januar 2011 auch der Bestand von 1,5 Millionen Bänden der Bereiche G und S im Magazinbetrieb wieder ausleihbar, wobei zuvor Buch für Buch in einem Spezialverfahren gereinigt wird. Die vorsorgliche Reinigung aller 1,5 Millionen Bände wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres abgeschlossen sein.

Die beiden Bibliotheksbereiche selbst jedoch sind für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und die Studierenden nach wie vor nicht begeh- und nutzbar. Dies und längere Wartezeiten bei der Buchbereitstellung durch Reinigung und Magazinbetrieb bedeuten große Einschränkungen für eine moderne Freihandbibliothek wie die der Universität Konstanz. Den Studierenden fehlen außerdem die Arbeitsplätze in den Buchbereichen G und S, die drei Viertel der Bibliotheksfläche ausmachen. Obwohl die Anstrengungen des Krisenstabs der Universität nicht nachlassen, Ersatz zu schaffen, ist die Behelfssituation augenfällig. Betroffen von der eingeschränkten Bibliotheksnutzung sind neben einem kleineren naturwissenschaftlichen Anteil weite Teile der Sozialwissenschaften und vor allem die gesamte Geisteswissenschaftliche Sektion, ein Bereich, der an der Universität Konstanz traditionell sehr stark vertreten ist.

Aktuell arbeitet die Universität Konstanz in Abstimmung mit verschiedenen Ebenen und Beteiligten an einem Finanzierungskonzept für die anstehende Sanierung der Buchbereiche G und S.


Hinweis an die Redaktionen:

Im Folgenden haben wir für Sie Stimmen von Universitäts- und Bibliotheksleitung, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden der Universität Konstanz zusammengestellt:


Petra Hätscher, Direktorin der Bibliothek der Universität Konstanz:

„Die Universität Konstanz wird bei vielen assoziiert mit ihrer Bibliothek. Es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt, die immer wieder kommen, um die Bibliothek zu nutzen. Derzeit ist es mit der Bibliothek wie mit einem Hochgeschwindigkeitszug, der bei voller Fahrt stehen bleibt und dessen Ladung jetzt mit Handkarren in einen Dieselzug umgeladen werden muss. Ohne eine baldige Sanierung wird die Qualität der Literatur- und Informationsversorgung erheblichen Schaden nehmen.“


Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Rektor der Universität Konstanz:

„Wir versuchen, mit der Situation so vernünftig wie möglich umzugehen. Dennoch muss schnell eine Lösung gefunden werden, aufgrund der die Bibliothek wieder ihren erstklassigen Service anbieten kann. Die Universität Konstanz setzt auf Maßnahmen, die das Problem langfristig lösen und ausschließen, dass wir in ein paar Jahren vor erneuten Sanierungsarbeiten stehen.“


Prof. Dr. Rudolf Schlögl, Sprecher des Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“:

„Die Bibliothek ist für die Geistes- und Sozialwissenschaften das wichtigste Arbeitsinstrument. Sie ist so wichtig wie Labors oder teure Gerätschaften für die Naturwissenschaften. Daher stellt die derzeitige Situation in der Universitätsbibliothek eine Beeinträchtigung der Forschungsbedingungen auch im Exzellenzcluster 16 „Kulturelle Grundlagen von Integration“ dar. Das gilt für die Konstanzer Wissenschaftler, aber insbesondere für die in das Kulturwissenschaftliche Kolleg eingeladenen Gastwissenschaftler, die hier in Konstanz Forschungsaufenthalte verbringen und sich auf eine Zeit intensiven Forschens und Schreibens eingestellt haben. Sie haben alle die Einladung nach Konstanz unter anderem angenommen, weil die Bibliothek der Universität in den Geistes- und Sozialwissenschaften auch international einen hervorragenden Ruf genießt und für ihren Service und ihre umfangreichen Bestände bekannt ist. Auch jetzt muss man der Bibliothek ein hervorragendes Krisenmanagement bescheinigen, aber der Notbetrieb ist weit entfernt von dem, was Wissenschaftler an einer exzellenten Forschungsuniversität erwarten.“


Prof. Dr. Aleida Assmann, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, ausgezeichnet mit dem Max-Planck-Forschungspreis 2009:

„Die Architekten, die die Universität auf der Bibliothek errichteten und überall Durchblicke auf diesen fundamentalen Schatz einbauten, wussten um deren Funktion als Nährboden für alle weiteren Aktivitäten. Wir profitieren in Konstanz von einem hervorragenden Ausnahmezustand, der für uns zum Status quo geworden ist. Von dieser Ressource der Bibliothek in wichtigen Funktionen abgeschnitten zu sein, versetzt uns annähernd in den Zustand eines  Alzheimerpatienten, der sein Gedächtnis verloren hat. An der Universität Konstanz ist der Zugriff auf geistige Nahrung denkbar erschwert, die im Zentrum der Zirkulation von Ideen und der Schaffung neuen Wissens steht.“


Prof. Dr. Jürgen Osterhammel, Historiker und Gottfried Wilhelm Leibniz-Preisträger 2009:

„Die Bibliothek ist das Herz der Universität. Man benötigt sie täglich. Die Konstanzer Bibliothek mit ihrer Freihandaufstellung und ihren langen Öffnungszeiten ist ein Juwel in der deutschen Bibliothekslandschaft. Zwar tun Bibliotheks- und Universitätsleitung alles, um den Ausfall von drei Vierteln des Buchbestandes mit notwendig unvollkommenen Mitteln auszugleichen. Der Notbetrieb muss aber genau dies bleiben: eine Übergangslösung, die den gewohnten Service in keiner Weise ersetzen kann. Es müssen so schnell wie möglich, und zwar auf Dauer, wieder normale Zustände hergestellt werden.“


Jura-Student Dennis Junghans, AStA-Mitglied:

„Uns fehlen die Arbeitsplätze. Wir sind eine Campus-Universität, ich zum Beispiel wohne 40 Minuten von der Uni entfernt. Es rentiert sich nicht, während der Vorlesungen zum Arbeiten nach Hause zu gehen. Außerdem kommt man von solch einem Arbeitsplatz schnell an Literatur heran, die in Jura oft gar nicht ausleihbar ist. Jetzt brauche ich eine halbe Stunde, um einen Arbeitsplatz zu finden, wenn ich einen finde. Wir haben eine solch exzellente Universitätsbibliothek, dass der jetzige Zustand trotz aller Bemühungen einen schweren Niveauverlust bedeutet.“


Linguistik-Studentin Nadja Harm, AStA-Mitglied:

„Wir in der Linguistik sind größtenteils darauf angewiesen, dass die Bücher frei zugänglich bereit stehen. Wir hatten ein Seminar, das ein Buch behandelte, das nur einmal im Semesterapparat vorhanden war. Das Seminar ist zwei Wochen lang ausgefallen, bis die Literatur online gestellt werden konnte.“