Aussichtsplattform auf Erdhügel mit winkender Frau, 1961 © Stiftung Berliner Mauer, Foto: privat

Die „Generation Mauerbau“ und ihr Umgang mit Krisen

An der Universität Konstanz wird ein multimediales Interviewprojekt zur Ost-West-Perspektive auf die jüngste deutsch-deutsche Geschichte mit 1961 Geborenen weitergeführt – Bewerbungen sind ab sofort möglich.

60 Jahre liegt der Mauerbau zurück. Die Menschen, die 1961 geboren wurden, haben die eine Hälfte ihres Lebens in einem geteilten, die andere Hälfte in einem wiedervereinten Deutschland verbracht. Die multimediale Interviewstudie „Generation Mauerbau“ geht den Erlebnissen im Osten und Westen nach und fragt insbesondere danach, wie die Menschen dieser Generation, die mit Krisen und gesellschaftlicher Transformation sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben, die pandemiebedingten Veränderungen der Jahre 2020 und 2021 erlebt haben. Juniorprofessorin Dr. Christiane Bertram von der Binational School of Education (BiSE) der Universität Konstanz sucht für die Studie Menschen des Jahrgangs 1961 mit ganz verschiedenen biografischen Hintergründen, auch mit Migrationshintergrund, die bis zum Mauerfall in Baden-Württemberg, Sachsen, West- oder Ost-Berlin gelebt haben. Interessierte Personen können sich ab sofort unter uni.kn/bertram/generation-mauerbau in eine Online-Datenbank eintragen.

Krisenerfahrene und krisenunerfahrene Gruppen
Die Jahre 2020 und 2021 haben die Menschen in ihren Grundfesten erschüttert. Geradezu symbolhaft ist, dass die „Generation Mauerbau“ 2021, auch im zweiten Corona-Jahr noch, den 60. Geburtstag unter Kontaktbeschränkungen planen und feiern muss. Während viele Menschen im Westen Deutschlands in der Corona-Krise erstmals erlebten, dass sich der eigene Alltag überraschend und einschneidend verändert, ist dies für die Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, keine ganz neue Erfahrung. Sie haben – mitten im Leben stehend – nach der Wiedervereinigung eine massive Transformation erlebt, die für viele eine vollkommene Neuorientierung im beruflichen und privaten Leben nach sich gezogen hat. „Wir fragen nach systematischen Unterschieden zwischen der krisenerfahrenen und krisenunerfahrenen Gruppe. Wie erleben die Menschen im Osten und Westen im Jahr 2021 die Corona-Krise, aber auch weitere Krisen wie die Klima- und Demokratiekrise?“, präzisiert Christiane Bertram.

Die Befragung der „Generation Mauerbau“ setzt die Interviewstudie der „Generation 1975 – Mit 14 ins neue Deutschland“ fort. Im Jahr 2019 hatte die Historikerin und Bildungswissenschaftlerin – gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur – gemeinsam mit den Partnerinstitutionen Stiftung Berliner Mauer und dem Archiv Deutsches Gedächtnis an der Fernuniversität Hagen bereits 26 Zeitzeug*innen der „Generation 1975“ zu ihren Erfahrungen in einem geteilten und wiedervereinigten Land befragt. Auch in der Folgestudie mit der „Generation Mauerbau“ sollen möglichst unterschiedliche Perspektiven auf die DDR und BRD und auf das wiedervereinigte Deutschland geworfen werden. „Wir suchen Personen möglichst aller sozialen und politischen Ausrichtungen, um die Gesellschaft im Ganzen abzubilden“, sagt Christiane Bertram.

Vermehrt sollen in der neuen Studie auch Menschen mit Migrationshintergrund zu Wort kommen. Da es eher unwahrscheinlich ist, dass Gastarbeiter*innen bzw. Vertragsarbeiter*innen, wie sie seinerzeit genannt wurden, 1961 direkt in West- oder Ostdeutschland geboren wurden, gilt hier ein erweitertes Kriterium: Diese Personengruppe sollte im Zeitraum zwischen 1975 und 1980 in die BRD bzw. DDR gekommen sein und bis 1989 in Baden-Württemberg, Sachsen, Ost- oder West-Berlin gelebt haben.

Interviews werden per Video dokumentiert
Auch in diesem Projekt werden die Interviews von den beiden Videokünstler*innen Ina Rommee und Stefan Krauss (KRRO Film GbR) geführt. Die Interviews, für die die beiden zu den Interview-Partner*innen nach Hause kommen, werden von September bis November 2021 mit Video aufgezeichnet. In einem ersten, lebensgeschichtlichen Teil erzählen die Studien-Teilnehmenden von ihren Erfahrungen vor und nach der Wiedervereinigung, in einem zweiten Teil werden gezielt Fragen nach den besagten Krisenerfahrungen gestellt.

Die Interviews werden wissenschaftlich ausgewertet und in der historisch-politischen Bildung innerhalb und außerhalb der Schule genutzt. Mit dem Material sollen – wie in der ersten Studie – öffentliche Videoinstallationen gestaltet werden, die zur gegenseitigen Wahrnehmung, zur Reflexion und zum Austausch einladen und öffentlichkeitswirksam präsentiert werden. Die Videoinstallationen mit der „Generation 1975“ sind noch bis 1. August 2021 im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart und bis Ende Oktober 2021 in Berlin in der Erinnerungsstätte der Stiftung Berliner Mauer „Notaufnahmelager Marienfelde“ zu sehen. Angedacht ist in beiden Häusern, auch die Videoinstallationen der Nachfolgestudie auszustellen.

Förderung
Die multimediale Interviewstudie wird im Rahmen des Projekts „Gemeinsinn. Was ihn bedroht und was wir für ihn tun können“ mit 50.000 Euro gefördert. Das Gemeinsinn-Projekt wiederum wird mit den Mitteln des Dr. K. H. Eberle-Preises finanziert, den Christiane Bertram gemeinsam mit Prof. Dr. Aleida Assmann und Prof. Dr. Jan Assmann im Jahr 2020 einwerben konnte.

Faktenübersicht:

  • Multimediales Interviewprojekt „Generation Mauerbau“
  • Videointerviews mit Zeitzeug*innen aus Baden-Württemberg, Ost- und Westberlin sowie Sachsen
  • Bewerbung möglich unter: uni.kn/bertram/generation-mauerbau
  • Kooperationsprojekt der Binational School of Education der Universität Konstanz, der Stiftung Berliner Mauer und des Archivs Deutsches Gedächtnis der Fernuniversität Hagen
  • Projektleiterin ist Juniorprofessorin Dr. Christiane Bertram an der Binational School of Education (BiSE) der Universität Konstanz
  • Videoinstallationen der Vorläuferstudie „Perspektiven der Generation 75 – Mit 14 ins neue Deutschland“ sind noch bis Oktober 2021 in der Erinnerungsstätte „Notaufnahmelager Marienfelde“  in Berlin und bis 1. August 2021 im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart zu sehen.
  • Gefördert mit 50.000 Euro im Rahmen des Projekts „Gemeinsinn. Was ihn bedroht und was wir für ihn tun können“, das mit den Mitteln des Dr. K. H. Eberle-Preises 2020 finanziert wird.