Zwei Polizisten stehen vor einer Haustür. Copyright:  Manuel Plewnia
Copyright: Manuel Plewnia

Krisenkommunikation für PolizistInnen

Konstanzer Kulturwissenschaftlerin hat in Kooperation mit polizeilichen Einrichtungen Kurs in verantwortlichem Überbringen von Todesnachrichten entwickelt

Der Blended-Learning-Kurs „Todesnachrichten verantwortungsvoll überbringen“ unterstützt PolizistInnen bei einer ihrer herausforderndsten Aufgaben. Die Lernanwendung ist das Ergebnis eines wissenschaftlichen Transferprojekts von Kirsten Mahlke, Professorin für Kulturtheorie und Kulturwissenschaftliche Methoden im Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz, und ihrer Mitarbeiterinnen. Er wurde in Kooperation mit polizeilichen Einrichtungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen entwickelt. Blended learning bedeutet, dass die didaktischen Vorteile des digitalen Lernens im Selbststudium kombiniert werden mit Gruppendiskussion und praktischem Training im Präsenzunterricht. Die Transferarbeit der Universität Konstanz ist in den Handlungsfeldern „Kommunizieren“, „Beraten“ und „Anwenden“ zusammengefasst.

„Es gibt keine schlimmere Nachricht zu übermitteln, als die vom unnatürlichen Tod eines Angehörigen“, beschreibt Projektleiterin Kirsten Mahlke eine Situation, die letztlich alle BürgerInnen und alle PolizistInnen einmal treffen kann. Doch auf die Aufgabe, eine solche Nachricht zu überbringen, fühlen sich die wenigsten von ihnen angemessen vorbereitet. In der Ausbildung angehender PolizistInnen in Baden-Württemberg beispielsweise behandeln nur ein paar Sitzungen den Umgang mit den Angehörigen von Menschen, die durch einen plötzlichen Unfall oder auch ein Gewaltverbrechen aus dem Leben gerissen werden. Dabei kommen in Deutschland mehr als 30.000 Menschen jährlich auf diese Weise zu Tode.

„Ziel unserer Lernanwendung ist, Polizistinnen und Polizisten für die Bedürfnisse von Angehörigen in einer solchen Situation zu sensibilisieren und auf die Krisenkommunikation nicht nur beim Klingeln an der Haustür bestmöglich vorzubereiten.“ Ein Versagen an dieser Stelle, so die Wissenschaftlerin, kann für die Angehörigen schwerwiegende, traumatisierende Folgen nach sich ziehen.

Keine bedauerlichen Einzelfälle

Wie eine vom Opferschutz der Polizeibehörde in Kleve durchgeführte Untersuchung und die publik gewordenen Beschwerden von Angehörigen nach Großschadensereignissen gezeigt haben, handelt es sich nicht um bedauerliche Einzelfälle. Dass Probleme in dieser Art von Krisenkommunikation nicht behoben werden, hängt mit Arbeitsstrukturen, Gewohnheiten, aber auch ungeprüften Vorannahmen in Polizeidienststellen zusammen. „Da eine polizeiinterne Qualitätskontrolle bislang nicht üblich ist, gehen Polizeibehörden oft davon aus, dass Todesnachrichten im eigenen Umfeld gut überbracht werden, so lange es keine Beschwerden von Seiten Angehöriger gibt. Doch beschweren sich traumatisierte Betroffene oft nur deshalb nicht, weil sie sich den Behörden gegenüber ohnmächtig fühlen“, gibt die Kulturwissenschaftlerin zu bedenken.

Sehr häufig begegnete sie in Gesprächen mit PolizistInnen auch der Meinung, dass Todesnachrichten zu überbringen eine eher psychosoziale Aufgabe sei, die von besonders empathiefähigen Personen übernommen werden sollte. Dagegen wendet Mahlke ein: „Es handelt sich dabei um eine genuin polizeiliche Aufgabe, die ureigentliche Polizeiverantwortung berührt: Gefahrenabwehr, Opferschutz und Ermittlungsarbeit. Und das Rüstzeug für die verantwortungsvolle Krisenkommunikation ist durchaus erlernbar.“ Nicht nur beim Überbringen der Nachricht, sondern auch in den Tagen danach geht es darum, den Angehörigen alle wichtigen Informationen zum Tod des Betroffenen mitzuteilen, ihnen Kontaktadressen für Nachfragen zu geben und sie über ihre Rechte aufzuklären. Außerdem kann allein die Polizei eine Türöffnerfunktion gegenüber Staatsanwaltschaft oder Gerichtsmedizin wahrnehmen, wenn beispielsweise die Angehörigen den Verstorbenen noch einmal sehen wollen, um Abschied von ihm zu nehmen.

Von der Berliner Landespolizei eingeladen

Die elektronische Lernanwendung wurde in Kooperation mit dem Opferschutz der Polizeibehörde in Kleve, der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung und Polizei in Duisburg, der Polizei in Stuttgart sowie der Abteilung Technik, Service und Logistik der Polizei Freiburg entwickelt. Sie verzahnt Lerneinheiten für den Präsenzunterricht im Rahmen der Aus-oder Weiterbildung mit Informationen und Checklisten, die jederzeit elektronisch abgerufen werden können. So bietet sie Know-how, das leicht zugänglich und in überschaubarer Zeit zu erlernen ist. „Wir freuen uns, dass die Lernanwendung in Baden-Württemberg eingeführt werden wird. Nun wollen wir sie auch an die entsprechenden Bedürfnisse in anderen Bundesländern anpassen“, erklärt Kirsten Mahlke. „Von der Berliner Landespolizei sind wir bereits eingeladen, den Blended-Learning-Kurs vorzustellen.“

Faktenübersicht:

  • Kooperations- und Transferprojekt  der Universität Konstanz „Todesnachrichten verantwortungsvoll überbringen“ der Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Kirsten Mahlke mit polizeilichen Einrichtungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen
  • Kooperationspartner: Opferschutz der Polizeibehörde in Kleve, Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung und Polizei in Duisburg, Polizei in Stuttgart, Abteilung Technik, Service und Logistik der Polizei Freiburg
  • Ergebnis: Blended-Learning-Kurs zur Krisenkommunikation für angehende PolizistInnen
  • Gefördert als ERC-Projekt des Europäischen Forschungsrates (European Research Council).

Presseinformation: Nr. 19/2019