Drei HFSP-Stipendien vergeben

Forschungsprojekte von Dina Dechmann, Alex Jordan und Ariana Strandburg-Peshkin gehören zu den insgesamt 34 Vorhaben, die sich im internationalen Wettbewerb um eines der renommierten Human Frontiers Science Program-Stipendien durchsetzen konnten.

Drei Mitglieder des Exzellenzclusters “Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour” der Universität Konstanz erhalten Förderung aus einem der namhaftesten Fördertöpfe in der Wissenschaft: ein Stipendium des Human Frontiers Science Program (HFSP), das innovative, risikoreiche Forschungsprojekte unterstützt, die von internationalen Forscherteams durchgeführt werden. Dina Dechmann, Alex Jordan und Ariana Strandburg-Peshkin gehören unterschiedlichen Teams an und sind unter den 34 Gewinnerteams weltweit, die mit einem der angesehenen Stipendien mit einer Laufzeit von jeweils drei Jahren ausgezeichnet wurden.

Die Teams von Dechmann, Jordan und Strandburg-Peshkin wurden in einem strengen, einjährigen, globalen Auswahlverfahren aus einem Pool von 814 Projektanträgen ausgewählt, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehr als 60 Ländern eingereicht wurden. An die Konstanzer Forscherinnen und Forscher wurden zwei Program Grants und ein Young Investigator Grant vergeben, mit denen in Konstanz und darüber hinaus unter anderem Forschung zu folgenden Themen finanziert werden soll: zu einem seltenen Fall von saisonalem Gehirnschwund und damit verbundenem Neuwachstum bei einem winzigen Säugetier, zur Erschaffung optimaler Netzwerkstrukturen nach dem Vorbild von Pflanzengesellschaften, und zur Kommunikation und Koordination innerhalb von Tiergruppen.

Unter dem Oberthema “complex mechanisms of living organisms” (die komplexen Mechanismen lebender Organismen) werden die HFSP-Forschungsstipendien an Teams vergeben, die mit kreativen, interdisziplinären und innovativen Ansätzen Fragen der Grundlagenbiologie lösen möchten. Indem sie das Expertenwissen von Mitgliedern aus verschiedenen Kontinenten miteinander kombinieren, werden die HFSP-Teams zur Gewinnung neuer Erkenntnisse beitragen und gleichzeitig den intellektuellen Horizont einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler maßgeblich erweitern.

Saisonale Gehirnveränderungen bei Spitzmäusen

Sorex araneus mag die auf der Welt am Weitesten verbreitete Spitzmausart sein. Doch dieses winzige Säugetier hat eine seltene und verblüffende Fähigkeit, die ihm dabei hilft, die Kälte zu überleben: das Gehirn der Spitzmaus verkleinert sich im Winter und wächst dann erneut im Frühling.

Dina Dechmann, leitende Wissenschaftlerin in der Abteilung Tierwanderungen am Max-Planck-Institut für Ornithologie und maßgeblich beteiligte Wissenschaftlerin im entsprechenden HFSP-Projekt, wird die grundlegende Frage beantworten, wie es der Spitzmaus gelingt, ihr Gehirn sowie viele weitere Organe saisonal zu verkleinern, nur um sie dann nachwachsen zu lassen. Sie tut dies, um in den kargen Wintermonaten mit weniger Ressourcen auszukommen und dabei ihre Körperfunktionen aufrecht zu erhalten. Mit einem umkehrbaren Verlust von bis zu einem Viertel ihrer Hirnmasse stellt die Spitzmaus den extremsten bislang bekannten Fall von Hirnregeneration bei Säugetieren dar.

“Die Fähigkeit der gemeinen Spitzmaus, sich an den Winter anzupassen, macht sie zum perfekten System, um die dieser Adaptationsfähigkeit zugrundeliegenden Mechanismen zu erforschen und wertvolle Informationen über Geweberegeneration zu gewinnen”, sagt die Verhaltensökologin Dechmann, die sich mit den Auswirkungen saisonaler Veränderungen auf Tierbewegungen und -wanderungen bereits ausgiebig beschäftigt hat. “Im Schädel beispielsweise konnten wir bereits nachweisen, dass die Größenänderung von einem Mechanismus gesteuert wird, der bislang noch nicht in der Erforschung von Osteoporose oder in der Knochenrekonstruktion Beachtung gefunden hat.”

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Stony Brook (USA) und der Universität Aalborg (Dänemark) wird Dechmanns Team die biologischen, molekularen, biochemischen und genetischen Prozesse untersuchen, die dieser umkehrbaren Veränderung der Hirngröße zugrunde liegen. Damit erschaffen sie Wissen über neurologische Degeneration bei Säugetieren, das neue Ansätze für die Behandlung von degenerativen Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Alzheimer liefern könnte.

Neues Rüstzeug für die Erforschung von Koordination bei Tiergruppen

Fünf Forscherinnen und Forscher aus den Gebieten des Tierverhaltens, der Evolution und Ökologie, der Informatik und der quantitativen Biologie bündeln ihr Wissen, um zu erforschen, wie stimmliche Kommunikation die Koordination von Gruppen in Tiergesellschaften ermöglicht. Ariana Strandburg-Peshkin, maßgeblich beteiligte Wissenschaftlerin im HFSP-Projekt, erklärt, dass Erdmännchen, Nasenbären und Fleckenhyänen eine faszinierende Unbekannte bei der Erforschung kollektiven Tierverhaltens darstellen.

“Meistens stellt man sich unter koordiniertem Gruppenverhalten das Verhalten von Vogel- oder Fischschwärmen vor”, sagt Strandburg-Peshkin, die Gips-Schüle Nachwuchsgruppenleiterin der Forschungsgruppe “Animal Social Networks” und ein Research Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz ist. “In diesen klassischen Fällen treffen Tiere gemeinsam kurzfristige Entscheidungen, um zusammen zu bleiben. Viele Tiere bilden allerdings stabile soziale Gruppen, die sich über lange Zeiträume hinweg untereinander abstimmen und zusammenarbeiten, über verschiedene räumliche Größenordnungen hinweg und in unterschiedlichen Zusammenhängen.”

Um unter solch fordernden Bedingungen miteinander zurechtzukommen, nutzen Tiere oftmals hochentwickelte Signalsysteme wie stimmliche Kommunikation. Damit geben sie Informationen an die anderen Mitglieder der Gruppe weiter. Bislang wurde die Erforschung stimmlicher Kommunikation bei der Koordination von Gruppenbewegungen dadurch erschwert, dass sich nur unter größten Schwierigkeiten gleichzeitig Daten zu allen Mitgliedern sozialer Gruppen erheben lassen. Das Forscherteam mit Laboren in Deutschland, Australien, den Vereinigten Staaten und der Schweiz, das von Strandburg-Peshkin geleitet wird, wird nun hochmoderne Verfahren des maschinellen Lernens sowie GPS-Tracking-Technologien einsetzen, um die Bewegungen und Vokalisierungen aller Mitglieder einer Wildtiergruppe gleichzeitig und hochauflösend aufnehmen zu können. Dies soll zudem bei unterschiedlicher räumlicher Verteilung geschehen.

„Ein Schlüsselaspekt dieses Projektes ist, dass wir die tiefgreifenden biologischen Erkenntnisse und langfristigen Perspektiven, die die Verhaltensforschung vor Ort liefert, mit detaillierten Informationen zum zeitgleichen Verhalten multipler Individuen kombinieren können“, erklärt Strandburg-Peshkin. „Es ist eine besondere Freude und Ehre mit solch einem fantastischen Forschungsteam zusammen zu arbeiten, das unterschiedliche Ansätze beisteuern kann. Durch die Zusammenarbeit werden wir hoffentlich in der Lage sein, neue Erkenntnisse zu den Gemeinsamkeiten und wichtigen Unterschieden zu liefern, die die Art und Weise, wie Tiergruppen sich untereinander abstimmen, prägen.“

Sonnenblumen als Vorbild für das perfekte Netzwerk

Die Art und Weise, wie Netzwerke aufgebaut sind, kann den Informationsfluss massiv beeinflussen. Von der viralen Ausbreitung von Fake News über Stromausfälle bis hin zu Crowd Funding-Kampagnen – wie individuelle Systeme miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen wirkt sich auf viele Aspekte des modernen Lebens aus. Ein disziplinübergreifender Ansatz besteht darin, optimale Netzwerkstrukturen zu verstehen und zu entwerfen. Eine besondere Herausforderung für die Forschung ist es dabei, zu verstehen, wie Individuen innerhalb dieser Systeme sich gegenseitig beeinflussen.

Dieser Herausforderung stellt sich Alex Jordan, Leiter der Gruppe „Integrative Field Biology“ in der Abteilung Kollektives Verhalten des Max-Planck-Instituts für Ornithologie und der Universität Konstanz. Er arbeitet mit dem Informatiker Orit Peleg (University of Colorado Boulder) und der Pflanzenphysiologin Yasmine Meroz (Universität Tel Aviv) zusammen, um zu erforschen, wie Informationen in massiven Pflanzennetzwerken weitergeleitet werden. Das Ziel ist, Modelle optimaler Netzwerkstrukturen zu erstellen, die auf Gebieten wie der Informatik bis hin zum Transportwesen zum Einsatz kommen können. Vom HFSP hat das Team einen von nur neun 2019 Young Investigator Grants erhalten, die an Forscherinnen und Forscher verliehen werden, deren unabhängige Forschungsgruppe noch nicht länger als fünf Jahre etabliert ist und deren Promotion nicht länger als zehn Jahre zurück liegt.

Weil sie ihre Blätter und Blüten nach der Sonne ausrichten können und so das Sonnenlicht maximal ausnutzen können, werfen Sonnenblumen wiederum Schatten auf ihre sozialen Partner. Diese Pflanzen müssen sich dann ebenfalls bewegen, um dem Schatten zu entgehen. Das führt zu großen kaskadenartigen Netzwerkeffekten in diesen Pflanzengemeinschaften, die von Ursache und Reaktion geprägt sind.

„Ich beschäftige mich seit Langem damit, wie Tiere interagieren und sich innerhalb von sozialen Gruppen in ihrem Verhalten gegenseitig beeinflussen“, sagt Jordan. „Tiere sind unglaublich komplexe Lebewesen – sie interagieren durch visuelle Reize, Geräusche, Berührungen und Gerüche. Die Komplexität dieser gegenseitigen Beeinflussung, im Zusammenspiel mit der Tatsache, dass sich Tiere im Raum bewegen, bedeutet, dass es fast unmöglich ist, ein umfassendes Verständnis von sozialen Netzwerkinteraktionen in diesen Systemen zu erlangen.“

„Bei Sonnenblumen ist es im Gegensatz dazu aber möglich, jeden Aspekt der Interaktion zu messen und zu manipulieren – von reduzierter Photosynthese durch Schatten bis hin zur räumlichen Anordnung von Individuen. Wir können sogar ganz verhindern, dass Pflanzen sich als Reaktion auf Lichteinfall bewegen. Dies ermöglicht es uns, alle Informationen, die im System fließen, zu erfassen.“

Faktenübersicht:

  • Drei Konstanzer Forscherinnen und Forscher sind mit einem Forschungsstipendium des Human Frontiers Science Program (HFSP) ausgezeichnet worden: Dina Dechman (Program Grant), Ariana Strandburg-Peshkin (Program Grant) und Alex Jordan (Young Investigator Grant).
  • Auswahl unter 814 Projektanträgen, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus über 60 Ländern eingereicht wurden.
  • Jedes Teammitglied erhält durchschnittlich zwischen 110.000 und 125.000 Dollar pro Jahr für drei Jahre.
  • Alle drei Stipendiatinnen und Stipendiaten sind Mitglieder des neuen Exzellenzclusters „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ an der Universität Konstanz.