Zu Besuch im Konstanzer Babysprachlabor: Mutter und Kind befinden sich in einer dreiseitigen Kabine, in der die Sprachstimuli abgespielt werden. Die Experimentleiterin beobachtet das Blickverhalten des Kindes über eine Kamera und kontrolliert das Experiment. Bild: Inka Reiter/Universität Konstanz

Wenn Erwachsene Babysprache sprechen

Babysprachlabor der Universität Konstanz an weltweiter Studie zu kindgerichteter Sprache beteiligt

Wenn Eltern mit ihren Babys sprechen, passen sie intuitiv ihre Sprache an. Sie sprechen langsamer, ihre Sätze sind kürzer, die Tonhöhen wechseln öfter und die Stimmqualität ist eine andere, als wenn sie mit Erwachsenen reden. Dass Babys auf diese sogenannte kindgerichtete Sprache aufmerksamer reagieren als auf Erwachsenensprache, ist seit einiger Zeit bekannt. Das Babysprachlabor der Universität Konstanz war nun an einer großangelegten Studie beteiligt, in der 67 Babysprachlabore weltweit die Wiederholbarkeit und damit Gültigkeit dieses Ergebnisses nachweisen. Die Reaktionsdaten der genau 2.329 Babys stehen im Sinne von Open Science anderen Forscherinnen und Forschern zur Verfügung und versprechen weitere wichtige Erkenntnisse zum menschlichen Spracherwerb. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Advances in Methods and Practices in Psychological Science (AMPPS) nachzulesen. 

Starke Präferenz für die die kindgerichtete Sprache

Um die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen mit dem „Many Babies“-Ansatz vergleichbar zu machen, wurden in allen 67 Laboren in 16 Ländern dieselben Sprachmaterialien verwendet, das heißt, amerikanisch-englische Äußerungen, die an Kinder beziehungsweise Erwachsene adressiert waren. Das Ergebnis der Studie ist eindeutig und bestätigt die Vorstudien: Kleinkinder zeigten eine Präferenz für die kindgerichtete Sprache: kürzere Äußerungen, langsamere und einfachere Sätze, ausladende Tonhöhenbewegungen, höhere Tonhöhen, Wechsel der Stimmqualität, indem zum Beispiel Hauchgeräusche zu hören sind, und überdeutliche Vokale. Dies gilt auch für die Kleinkinder in Ländern, in denen Amerikanisch-Englisch nicht Muttersprache ist.  

„Aus linguistischer Sicht ist es bemerkenswert, dass die Präferenz auch bei den Babys besteht, bei denen die Stimuli nicht-muttersprachlich sind. Somit ist für das Kind die kindgerichtete Sprache wesentlich interessanter als die an Erwachsene gerichtete, selbst wenn es sich um eine unbekannte Sprache handelt“, sagt Prof. Dr. Bettina Braun, Sprachwissenschaftlerin und Leiterin des Babysprachlabors an der Universität Konstanz. Auch die deutschen Kinder aus dem Konstanzer Babylab zeigten den Effekt, wobei er bei den amerikanischen Babys tatsächlich aber am stärksten ausgeprägt war. Außerdem reagierten im Allgemeinen ältere Kleinkinder stärker auf die Babysprache als jüngere.  

Durch den Multikooperationsansatz viele Forschungsfragen beantwortet

Die Studie des „ManyBabies Consortium“, in dem sich rund 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengetan haben, wurde mit Kleinkindern aus vier Altersgruppen durchgeführt: Mit Babys in einem Alter von drei bis sechs Monaten, von sechs bis neun Monaten, von neun bis zwölf Monaten und von zwölf bis fünfzehn Monaten. Das Konstanzer Babysprachlabor arbeitete mit der Gruppe der sechs- bis neunmonatigen Kinder. „Durch den Multikooperationsansatz konnten viele Forschungsfragen beantwortet werden, die ein Labor allein nicht stemmen kann“, sagt Dr. Katharina Zahner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe für Phonetik und Allgemeine Sprachwissenschaft von Bettina Braun. Beobachtet werden konnte nicht nur, wie sich der Babysprach-Effekt in den verschiedenen Altersgruppen verändert, sondern auch, welchen Einfluss die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden haben. Die Methode, bei der die Kinder auf dem Schoß ihrer Begleitperson sitzen und ihre Aufmerksamkeit signalisieren, indem sie den Kopf zum seitlich angebrachten Lautsprecher drehen, zeigte sich solchen Methoden überlegen, bei denen die frontalen Blickbewegungen der Kinder gemessen wurden.  

Viel möglich durch Open Science

Ein weiteres Ziel der Studie war ihre Nutzbarkeit unter den Bedingungen von Open Science. Dies bedeutet unter anderem, dass alle Daten im Rahmen des Netzwerkes, zum Beispiel für Nachfolgestudien, frei zur Verfügung stehen. Die Idee ist darüber hinaus, für nachfolgende Untersuchungen Kooperationspartner zu finden. „Es ist noch viel möglich“, sagt Bettina Braun. Auch Best Practice-Tipps für andere Labore: Im Konstanzer Babysprachlabor beispielsweise konnte die zeitlich befristete Position einer Baby Lab-Managerin eingerichtet werden, von der Kinder für Tests gesucht und Partner kontaktiert werden. Derzeit laufen hier hauptsächlich Untersuchungen mit Kindern, die mehrsprachig oder mit einem Dialekt aufwachsen.  

Der Vorteil des Babysprach-Effekts könnte in einer Stärkung des Aufmerksamkeitsmechanismus zwischen Kind und Eltern bestehen. Dass es förderlich für das Kind ist, wenn es merkt, „hier geht es um mich“, wie es Katharina Zahner ausdrückt, liegt nahe. So wird der Aufmerksamkeitsmechanismus zwischen Kind und Eltern gestärkt, was dem Spracherwerb zugutekommen kann.  

Faktenüberblick:

  • Originalveröffentlichung: The ManyBabies Consortium: Quantifying sources of variability in infancy research using the infant-directed speech preference”, Advances in Methods and Practices in Psychological Science (AMPPS), 16. März 2020 https://doi.org/10.1177/2515245919900809 
  • Studie zu kindgerichteter Sprache mit 2.329 Babys in 16 Ländern
  • The ManyBabies Consortium besteht aus rund 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von 67 Babysprachlaboren in Europa, Asien und Nordamerika.