Sofja Kovalevskaja-Preisträger

Sofja Kovalevskaja-Preisträger Dr. Angelo Di Bernardo von der Universität Cambridge plant ein neues Forschungszentrum auf dem Gebiet der supraleitenden Spintronik am Fachbereich Physik der Universität Konstanz zu etablieren

Ab dem 1. Oktober 2019 wird Sofja Kovalevskaja-Preisträger Dr. Angelo Di Bernardo mit seiner weltweit anerkannten Expertise zur Forschung auf dem Gebiet der supraleitenden Spintronik beitragen, die an der Universität Konstanz im Forschungsschwerpunkt Nano- und Materialwissenschaften betrieben wird. Di Bernardo, der zurzeit noch als Junior Research Fellow (St. John’s College) am Department of Materials Science and Metallurgy der Universität Cambridge forscht, ist einer von sechs Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern weltweit, die von der Alexander von Humboldt-Stiftung mit einem der diesjährigen Sofja Kovalevskaja-Preise ausgezeichnet werden.

Mit einer Fördersumme von bis zu 1,65 Millionen Euro ist der Sofja Kovalevskaja-Preis der höchstdotierte Forschungspreis für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in Deutschland. Er wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert und hat zum Ziel, international bereits anerkannten Forschungsnachwuchs nach Deutschland zu holen, um hier kreative und neue Forschungsansätze zu verfolgen. Erfolgreiche Kandidatinnen und Kandidaten dürfen ihre Promotion nicht mehr als sechs Jahre vor dem Zeitpunkt der Bewerbung abgeschlossen haben. Das Preisgeld können sie dazu verwenden, um bis zu fünf Jahre an einer deutschen Universität ihrer Wahl zu verbringen und dort an einem Forschungsprojekt zu arbeiten.

Für sein Forschungsvorhaben mit dem Titel „Superconducting Spintronics with Oxides and 2D Materials“ (Supraleitende Spintronik mit Oxiden und 2D-Materialien) wurden Angelo Di Bernardo die vollen 1,65 Millionen Euro bewilligt. Er möchte das Preisgeld nutzen, um an der Universität Konstanz ein national führendes Forschungszentrum auf dem Gebiet der supraleitenden Spintronik aufzubauen. Er wird eng mit Prof. Dr. Elke Scheer und Prof. Dr. Wolfgang Belzig vom Fachbereich Physik zusammenarbeiten, die zurzeit die Arbeitsgruppen „Mesoskopische Systeme“ und „Quantentransport“ leiten.

Supraleitende Spintronik

Angelo Di Bernardo erforscht unkonventionelle supraleitende Zustände, die an der Schnittstelle zwischen Supraleitern und anderen magnetischen oder nicht-magnetischen Materialien entstehen. Supraleiter sind spezielle Materialien, die Strom ohne Energieverlust leiten. Dazu müssen sie unter ihre sogenannte kritische Temperatur heruntergekühlt werden. Supraleitende Computer etwa könnten so genutzt werden, um den Energiebedarf von großen Datenzentren, die heute bereits für drei Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich sind, drastisch zu reduzieren.

„Ich beschäftige mich vorwiegend mit der Erforschung und Charakterisierung von physikalischen Phänomenen, die aus der Wechselwirkung zwischen Supraleitern und ferromagnetischen Materialien entstehen“, erklärt Di Bernardo. „Langfristig möchte ich so eine neue Art der Spin-Elektronik (Spintronik) mit niedrigem Energieverlust entwickeln.“ In der Spintronik werden Informationen über den Elektronenspin transportiert: „Der Spin eines Elektrons lässt sich mit dem Bild eines kleinen Magneten umschreiben, dessen ‚Nordpol‘ entweder nach ‚oben‘ oder nach ‚unten‘ zeigt. Mithilfe dieser zwei klar voneinander abgrenzbaren Spin-Zustände können die elementaren Informationen 1 und 0 in elektronischen Datenspeichern codiert werden. Das hat bereits tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung moderner Speicherbausteine gehabt, die unter anderem in Computern und Telefonen verbaut sind.“

Eine große Herausforderung bei der Nutzung bisheriger spintronischer Geräte liegt in den großen Stromstärken, die sie für den Betrieb benötigen. Dieses Problem lässt sich durch die Kombination von supraleitenden und ferromagnetischen Materialien lösen, so Di Bernardo: „Obwohl die auf Elektronenspin basierenden Prozessoren schneller arbeiten, als ladungsbasierte Äquivalente, die in Halbleiter-Transistoren verwendet werden, sind die elektrischen Leistungen, die spintronische Bauteile benötigen, um ein Vielfaches höher. Supraleiter können hier Abhilfe leisten, weil sie ohne Energieverlust arbeiten. Allerdings ist es nicht einfach, supraleitende Ströme in Ströme durch einen Ferromagneten umzuwandeln, vor allem, weil Elektronen in Supraleitern sogenannte Cooper-Paare mit entgegengesetzter Spin-Ausrichtung (Singulett-Zustand) bilden. Es sind diese Cooper-Paare, die den Strom verlustfrei leiten. Spin-Paare im Singulett-Zustand brechen jedoch leicht auseinander, wenn sie mit einem Ferromagneten in Kontakt gebracht werden, der aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften eine der beiden Spin-Ausrichtungen der anderen vorzieht. In den vergangenen Jahren ist es uns jedoch durch die Kombination von supraleitenden Materialien und Ferromagneten gelungen, zu zeigen, dass Spin-Paare im Singulett-Zustand in Triplett-Paare umgewandelt werden können, deren Spins gleichgerichtet sind. Diese Triplett-Paare können in einem Ferromagneten einen verlustfreien Strom über große Distanzen hinweg transportieren. Zudem können sie dazu genutzt werden, ähnlich wie die Einzelelektronen in herkömmlichen spintronischen Schaltungen, Informationen durch die Richtung ihrer Spins zu speichern, aber zusätzlich verlustfrei. Das heißt, dass sie sich für die Nutzung in energieeffizienten, spintronischen Bauelementen eignen.“ Das langfristige Zielt ist, Schaltkreise herzustellen, die ohne Energieverlust arbeiten und somit als Grundlage für eine neue Generation des Quantencomputings sowie für großangelegte Rechenanlagen dienen können.

Oxide und 2D-Materialien: Aufbruch in ein neues Zeitalter des Supercomputing

In Konstanz wird sich Di Bernardo auf die Herstellung und Verarbeitung von Materialien konzentrieren, die für supraleitende spintronische Schaltkreise benötigt werden. Prof. Dr. Elke Scheer erklärt dazu: „Dr. Di Bernardo spezialisiert sich bei der Herstellung supraleitend-ferromagnetischer Heterostrukturen auf unkonventionelle Materialien wie ultrapräzise Schichtsysteme. Die verschiedenen Verfahren, die er dafür verwendet, basieren auf physikalischer Gasphasenabscheidung und Nanofabrikation. Dazu zählen Laserverdampfung, Magnetronsputtern und Verfahren der schichtweisen Ablösung einzelner Lagen. In meiner Arbeitsgruppe waren wir bislang in der Lage, einfache Metalle zu erzeugen. Derzeit können wir allerdings keine Oxide oder zweidimensionale Heterostrukturen mit wesentlich komplexeren und neuen Funktionalitäten herstellen. Dr. Di Bernardos Forschung schließt hier eine Lücke.“ Laut Prof. Dr. Wolfgang Belzig, der auf dem Gebiet der theoretischen Festkörperphysik forscht, ist das präzise Design dieser Strukturen von grundlegender Bedeutung für ihre Nutzbarkeit: „Ein direkter Austausch mit theoretischen und numerischen Modellvorhersagen ist für die Herstellung solcher Bauelemente und Schaltkreise und das Verständnis ihrer physikalischen Eigenschaften unerlässlich.“

Aufbauend auf der international anerkannten Forschungsarbeit von Elke Scheer und ihrer Arbeitsgruppe sowie den hochmodernen Nanofabrikations- und Tieftemperatur-Anlagen, die ihm an der Universität Konstanz zur Verfügung stehen, plant Di Bernardo, sein Preisgeld teilweise auf die Einrichtung einer neuen Laserverdampfungsanlage zu verwenden, mit der sich dünne oxidische Schichtsysteme erzeugen lassen. Aus diesen Schichten werden dann Nanostrukturen hergestellt, um bestimmte elektronische Funktionen zu erzielen. „Indem wir die komplexe Vielfalt der physikalischen Eigenschaften von Oxiden und 2D-Materialien nutzen, werden wir in der Lage sein, Bauelemente mit einer viel größeren Bandbreite an Funktionen zu realisieren. In der nahen Zukunft könnte es sogar möglich werden, diese Elemente rein elektrisch zu steuern, was bislang noch nicht gelungen ist“, sagt Di Bernardo.

Bisher werden spintronische Schaltungen magnetisch betrieben und gesteuert, was die Miniaturisierung über einen bestimmten Punkt hinaus verhindert. Das liegt unter anderem daran, dass das verwendete magnetische Bauteil eine bestimmte Größe haben muss, damit ein einziges davon angesteuert werden kann, ohne dass es zu Auswirkungen auf andere kommt. „Spintronische Schaltungen elektrisch zu steuern würde einen riesigen Schritt nach vorne bedeuten, da sich das Ganze einfach und lokal umsetzen ließe: Wir brauchen nur einen Kontakt und Strom anzulegen, der das Gerät von 0 nach 1 und von 1 nach 0 schaltet“, erklärt Di Bernardo. „Wenn wir erfolgreich spintronische Schaltungen bauen können, die klein und energieeffizient genug sind, könnten wir einer ganz neuen Ära des Supercomputing entgegenblicken.“

Über Angelo Di Bernardo

Angelo Di Bernardo hat einen Master of Engineering (Biotechnik) von der Universität Neapel Federico II, einen Master of Science (Nanowissenschaft) von der Arizona State University und einen Masterabschluss sowie PhD in Nanowissenschaft von der Universität Cambridge.

Er wurde mit verschiedenen, hochkompetitiven Stipendien ausgezeichnet, unter anderem mit einem Fulbright Self-Placed Scholarship für Studierende aus Italien (2011/2012), das ihm das Masterstudium in Arizona ermöglichte, sowie mit einem Schiff Foundation-Stipendium (2012) der Universität Cambridge. In den Jahren 2016/2017 wurde er vom St. John’s College der Universität Cambridge als einer von fünf Junior Research Fellows ausgezeichnet. Di Bernardo hat für seine Arbeit auf dem Gebiet der supraleitenden Spintronik mehrere Preise gewonnen, darunter ein internationales IEEE Council on Superconductivity Graduate Study Fellowship (2015), den European Society for Applied Superconductivity Award (2017) und den Brian Pippard Prize (2018) des Institute of Physics.

Faktenübersicht:

  • Sofja Kovalevskaja-Preisträger Dr. Angelo Di Bernardo von der Universität Cambridge, ein Experte auf dem Gebiet der supraleitenden Spintronik, forscht ab dem 1. Oktober 2019 am Fachbereich Physik der Universität Konstanz
  • Verstärkung für den Forschungsschwerpunkt Nano- und Materialwissenschaften der Universität Konstanz auf dem Gebiet der supraleitenden Spintronik, insbesondere im Hinblick auf die Herstellung von supraleitend-ferromagnetischen Heterostrukturen und Materialien, die für spintronische Bauelemente und Schaltungen benötigt werden
  • Mit einem Preisgeld von bis zu 1,65 Millionen Euro ist der von der Alexander von Humboldt-Stiftung ausgelobte Sofja Kovalevskaja-Preis der höchstdotierte Forschungspreis für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in Deutschland
  • Fördersumme für Dr. Di Bernardos Forschungsvorhaben an der Universität Konstanz: 1,65 Millionen Euro
  • Förderdauer: Fünf Jahre