Heilige Kriege - Zur politischen Theologie der Feindschaft

Veranstalter:
Graduiertenkolleg Repräsentation - Rhetorik - Wissen (Frankfurt/Oder)
Forschungsstelle Kulturtheorie und Theorie des politischen Imaginären (Konstanz)

Konzept und Organisation:
Dr. Eva Horn (Fakultät für Kulturwissenschaften, Universität Frankfurt/Oder)
PD Dr. Erhard Schüttpelz (Universität Konstanz)

Termin: 11.-14.11.2004

Veranstaltungsort
: Berlin

Tagungsprotokoll von Nacim Ghanbari und Martin Zillinger [pdf]


Das theologische Unbewußte des Politischen

Kriege und politische Konflikte werden für die Weltöffentlichkeit zunehmend in Termini religiöser und kultureller Differenzen formuliert. Auch wenn es evident sein mag, wer ein Interesse an einer solchen Fundamentalisierung von Feindschaft und Konflikten hat, stellt sich doch die Frage, ob sich in diesen Rhetoriken eine verborgene Struktur des modernen Politischen ausdrückt: Gibt es ein theologisches Unbewußtes im Zeitalter der säkularisierten Politik, das besonders in den modernen Kriegen manifest wird? Oder handelt es sich eher um den Versuch, durch eine religiöse Stilisierung Vorgänge zu steuern, die sich im weltweiten Zusammenprall von Egalität und Exklusion der politischen Kontrolle zu entziehen drohen?
Gern wird in der Rede über Gewalt und Krieg zwischen einer rhetorischen Legitimation und den wirklichen Ereignissen, zwischen einer symbolischen und einer realen Dimension unterschieden. Andererseits haben neuere Studien darauf hingewiesen, daß sich die religiös motivierten Terrorakte ihrer Form nach weltweit angleichen und als symbolische Statements für Anhänger, Gegner und Massenmedien inszeniert werden. Diese Verquickung von realen und symbolischen Vorbildern wird oft als eine rezente Entwicklung der Mediengesellschaft interpretiert - zu Recht? Gehört Krieg als kulturelle Praxis nicht vielmehr zu jenen Phänomenen, in denen Reales und Symbolisches von Anfang an nicht auseinandergehalten werden können?

Lokale und globale Strukturen religiöser Gewalt

In der Öffentlichkeit konzentriert sich die Frage nach den "Heiligen Kriegen" weitgehend auf die Genealogie und Gegenwart der drei monotheistischen Offenbarungsreligionen. Insbesondere "Kreuzzüge" und militärische Formen des "Jihad" werden einander wiederholt gegenübergestellt und nach ihren historischen Wechselwirkungen und Spiegelungen befragt. Die weltweite Ausdehnung und partielle Angleichung der Formen religiöser Gewalt verweist allerdings darauf, daß mittlerweile ein anderer Vergleichsrahmen gefordert ist, der die zugleich lokale Fokussierung und globale Ausbreitung dieser Form des Konflikts in den Blick nimmt. Die Bedingungen dieser 'Glokalisierung' können nur am spezifischen Fall analysiert werden, sei es in Afrika, Südostasien, im Nahen Osten oder in Nordamerika.
Wie lassen sich die spezifischen Kopplungen von Religion und Kriegführung angemessen beschreiben? Welche Traditionen der Verbindung von Krieg und Heiligkeit gibt es außerhalb der monotheistischen Religionen, außerhalb Europas, in der weltweiten Gegenwart? In welchem Bezug stehen diese Potentiale zum Anspruch eines staatlichen Gewaltmonopols? In welchem Maße bewirken sie eine Limitierung oder auch eine Entgrenzung von kriegerischer Gewalt?
Souveränität erscheint in einer ihrer heutigen Formen nicht mehr als territorial begründet, sondern im Zeichen der so genannten Globalisierung als ökonomisch-technologisch-polizeiliche Ordnungsmacht. Wie ist diese neue Form von Souveränität philosophisch und politisch zu definieren? Welche Formen der Kriegsführung entsprechen den neuen Entgrenzungen und Verortungen der Souveränität?

Heiligkeit und Kriegführung

So geläufig die Spiegelungen zwischen "Kreuzzügen" und "Jihad" geworden sind, so ungeklärt ist ihr Status, wenn nach der gemeinsamen Herkunft der drei Offenbarungsreligionen gefragt wurde. Muß der Terminus vom "Heiligen Krieg" grundsätzlich zur Disposition gestellt werden, oder verlangt er nach der Eingrenzung auf Kriege, die explizit im Namen eines Gottes und einer Heilsgeschichte (als Missionskriege, Eroberungen und Rückeroberungen) geführt worden sind? Was verbindet die Kriege "im Namen einer Heilsgeschichte" mit nicht-monotheistischen Religionen, mit millenaristischen Bewegungen und ihren militärischen Ausbruchsversuchen?
Eine anderer Schauplatz der „Heiligkeit“ von Kriegen ist die persönliche Heilssuche von Kriegern, die durch öffentliche Erlösungsversprechen ausgelöst oder unterstützt werden kann. Liegt in der perennierenden, aber dabei strittig bleibenden Figur eines kriegerischen "Märtyrers" ein disparat gemeinsames Erbe der drei Offenbarungsreligionen? Mit dieser Form der „Heiligkeit“ rücken alle jene literarischen und künstlerischen Formen in den Mittelpunkt, in denen der kollektive "Heilige Krieg" vor allem durch die individuelle "Heiligung des sich opfernden Kriegers" veranschaulicht und ästhetisiert, legitimiert und delegitimiert worden sind.

Säkularisierte Souveränität und politische Theologie

Wenn "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", so heißt dies, daß nichts 'über' dem Souverän zu denken sein soll. Der Feind erscheint daher als Angriff auf die Unantastbarkeit oder 'Heiligkeit' des Souveräns - und damit wird Krieg zur eigentlichen Erscheinungsform der Souveränität. Wurde diese Verknüpfung von Souveränität, Heiligkeit und Feindschaft in der Moderne abgelöst oder wirkt sie weiter?
Wie es scheint, hat gerade die durchgreifende Säkularisierung des Politischen die Dringlichkeit religiöser Konflikte heraufbeschworen. Welche Formen der Limitierung oder Perpetuierung stellen Menschenrechte und Völkerrecht für diese Struktur dar? Ist den politischen und kulturellen Absolutheitsansprüchen des Glaubens mit dem Ruf nach Rationalisierung und Debatte beizukommen?

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