Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die am Interviewprojekt „Perspektiven der Generation 75 – Mit 14 ins neue Deutschland“ beteiligt waren, das von Juniorprofessorin Dr. Christiane Bertram initiiert wurde. Bild: Stefan Krauss

Der Unterrichtsstoff heißt: gegenseitiges Zuhören

Ein Gemeinschaftsprojekt, an dem Prof. Dr. Christiane Bertram beteiligt ist, untersucht anhand der deutsch-deutschen Teilungsgeschichte den Einsatz von ZeitzeugInnen im Geschichtsunterricht und wendet sich an Lehrkräfte in Baden-Württemberg

Wie unterschiedlich wurde die Transformationszeit seit der Wiedervereinigung in Ost- und Westdeutschland erlebt? Wie können ZeitzeugInnen zu diesem Thema in den Geschichtsunterricht einbezogen werden, mit dem Ziel, das Geschichtswissen und die Geschichtskompetenz der SchülerInnen zu fördern? Diese zwei Fragestellungen sind Gegenstand der Studie „ZeiTra `89: ZeitzeugInnen zur Transformationszeit seit 1989“, die Lehrkräfte einlädt, sich mit ihren Klassen an der Untersuchung zu beteiligen. Angesprochen sind Geschichtslehrerinnen und -lehrer in Baden-Württemberg, die im laufenden Schuljahr 2021/2022 am achtjährigen Gymnasium (G8) eine 9. Klasse bzw. in einer neunjährigen Gymnasium (G9) eine 10. Klasse unterrichten. Anmeldungen sind bis zum 19. Dezember 2021 möglich. Das Gemeinschaftsprojekt von Juniorprofessorin Dr. Christiane Bertram der Universität Konstanz, dem „Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung“ der Universität Tübingen und dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.  

Bei der Feierstunde zur deutschen Einheit am 3. Oktober 2021 sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel davon, dass ihre Vergangenheit in der DDR – immerhin in ihrem Fall 35 Jahre – im Westen als „Ballast“, damit laut Duden als „unnütze Last, überflüssige Bürde“ bezeichnet worden sei. Sie beendete ihre Rede mit dem Aufruf zum Austausch zwischen Ost und West und zum gegenseitigen Respekt vor den jeweiligen Biografien und Erfahrungen. Das Kooperationsprojekt mit Beteiligung der Geschichtsdidaktikerin Christiane Bertram von der Binational School of Education (BiSE) der Universität Konstanz zielt genau in diese Richtung, indem es untersucht, wie bereits in der Schule der deutsch-deutsche Dialog eingeübt werden kann: „Wir wollen mit den Schülerinnen und Schülern diskutieren, wie unterschiedlich diese Zeit in Ost und West erlebt wurde und welche Auswirkungen das bis heute hat.“ Der Unterrichtsstoff heißt: gegenseitiges Zuhören.  

Analoger oder digitaler Auftritt der ZeitzeugInnen im Unterricht 
Umgesetzt wird dieses Unterrichtsziel mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die bereits bei dem vorangehenden von Christiane Bertram initiierten Interviewprojekt „Perspektiven der Generation 75 – Mit 14 ins neue Deutschland“ beteiligt waren. Die damals Interviewten aus Ost- und Westdeutschland werden entweder paarweise in den Unterricht kommen oder über ein vorgefertigtes Video mit zwei Perspektiven ihre Erfahrungen im geteilten und wiedervereinten Deutschland schildern. „Uns interessiert vor allem die Frage, welche der beiden Formen – die Live-Auftritte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen oder die Arbeit mit den Videos – für die Geschichtskompetenz der Schülerinnen und Schüler förderlicher ist“, sagt Christiane Bertram. 

Welches Potenzial steckt somit in der Arbeit mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, was lernen die Schülerinnen und Schüler dabei, sowohl was das Wissen als auch die Geschichtskompetenz betrifft? Letztere soll durch die Arbeit mit den Perspektiven und Argumenten der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erweitert werden und dem angemessenen Umgang mit Quellen zugutekommen. Schließlich wird es auch um die Frage gehen, welche Auswirkungen der Auftritt von ZeitzeugInnen auf die Motivation und das Interesse der SchülerInnen für das Thema hat. 

SchülerInnen werden befragt
Die Lehrkräfte, die sich mit ihren Klassen an der Studie beteiligen, erwartet eine fertig ausgearbeitet und wissenschaftlich fundierte Unterrichtseinheit zum Thema „Deutsche Einheit und Transformation nach 1989/90“. Für die Umsetzung erhalten sie eine wissenschaftlich unterstützte Fortbildung zum Thema sowie zur pädagogisch-psychologischen Forschung im Bereich Kompetenzerwerb im Geschichtsunterricht. In drei Doppelstunden wird der Unterricht mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der „Generation 1975“ vorbereitet, durchgeführt und ausgewertet. Um die Veränderungen bei den Lernenden zu erfassen, werden diese vorher und nachher zu ihrem historischen Wissen, zu ihrer historischen Kompetenz und ihrer Motivation sowie ihrem Interesse am Thema befragt.  

Die drei Doppelstunden im Rahmen der bis heute größten geschichtsdidaktischen Interventionsstudie im deutschsprachigen Raum werden im Juni 2022 nach den Pfingstferien durchgeführt werden, wenn normalerweise in der 9. Klasse (im G8-Zug) bzw. in der 10. Klasse (im G9-Zug) das Thema friedliche Revolution und Ende der DDR unterrichtet wird. „Wir können im Unterricht nicht mit der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 enden. Jetzt ist es notwendig, auch die 30 Jahre danach in den Blick zu nehmen. Die Auswirkungen erleben wir bis heute“, sagt die Historikerin Bertram.  

Faktenübersicht:

  • Interventionsstudie „ZeiTra '89: Lernen mit ZeitzeugInnen. Perspektiven auf die Transformation seit 1989“ untersucht den Einsatz von ZeitzeugInnen im Geschichtsunterricht
  • Studie wendet sich an Lehrkräfte in Baden-Württemberg, die im kommenden Schuljahr im achtjährigen Gymnasium (G8) eine 9. Klasse bzw. im neunjährigen Gymnasium (G9) eine 10. Klasse in Geschichte unterrichten
  • Beteiligung der Juniorprofessorin Dr. Christiane Bertram von der Binational School of Education (BiSE) der Universität Konstanz
  • Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
  • Kontakt: Carsten Arbeiter, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg, carsten.arbeiter@zsl-rsfr.de, +49 7531 8047432 oder über die Website der Arbeitsgruppe Bertram