Alternativentwurf zum Abschlußbericht über die Forschungen zu Hans Robert Jauß

Autor: Prof. Dr. Wolfgang Schuller, Universität Konstanz

Die Universität Konstanz sah sich in der Vergangenheit mehrfach damit konfrontiert, dass einem ihrer bedeutendsten Professoren, Hans Robert Jauß (1921-1997), seine jugendliche Zugehörigkeit zur Waffen-SS vorgeworfen wurde; das geschah noch 2011 durch einen spektakulären Zeitungsartikel seines Schülers Hans Ulrich Gumbrecht. Die Universitätsleitung sah jedoch aus verschiedenen Gründen keine Veranlassung, der Vergangenheit von Jauß systematisch nachzugehen. Man war sich sicher, dass Jauß über die Zugehörigkeit zu dieser Truppe hinaus nichts Gravierendes vorzuwerfen war; die Angriffe gegen ihn boten keine substantiellen Hinweise auf Kriegsverbrechen.


Die Universität respektierte es, dass Jauß selbst mit dieser Vergangenheit so ernsthaft abgeschlossen hatte, dass er sie nicht zum Gegenstand öffentlicher Sühne und Reue machen wollte und wohl auch nicht konnte; vertuscht oder gar geleugnet hatte er sie allerdings nie. Objektiv wäre es freilich besser gewesen, er hätte, auch auf Grund seiner eigenen intensiven Forschungen zu Problemen des Erinnerns, zu einer Klärung beigetragen. Sein Schüler und Nachfolger Karlheinz Stierle hatte das in der Weise ausgedrückt, dass er in der Gedenkrede auf Jauß ausdrücklich erwähnte, Jauß habe sich „freiwillig zur Waffen-SS“ gemeldet, habe es aber durch sein Schweigen darüber „der darauffolgenden Generation nicht leicht gemacht“.

Ende 2013 wurde der Rektor Professor Ulrich Rüdiger durch Professor Albrecht Koschorke davon unterrichtet, dass der Konstanzer Rechtsanwalt Gerhard Zahner einen Archivfund gemacht habe, der Jauß erstmals in substantiierter Weise der Mitwirkung an einem Kriegsverbrechen beschuldigte; Zahner habe darüber ein Theaterstück geschrieben, das möglichst in der Universität aufgeführt werden solle. Anders als noch 2011 reagierte der Rektor dadurch, dass eine intensivere Untersuchung in Angriff genommen wurde. Es wurde geplant, durch einen auswärtigen Zeithistoriker eine Dokumentation anfertigen zu lassen, die dann durch eine ebenfalls externe Kommission ausgewiesener Forscher begutachtet und schließlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte.

Das geschah jedoch nicht. Es wurde vielmehr nur ein einzelner Militärhistoriker, Jens Westemeier, beauftragt, der im Mai 2015 seine Dokumentation veröffentlichte und in der Universität vorstellte; deren kritische Analyse steht noch aus. Dennoch war bereits einige Monate vor dem Vorliegen der

Dokumentation das Theaterstück in der Universität aufgeführt worden, dessen schwere Anschuldigungen auf unzureichender Forschung beruhten und durch die Dokumentation später widerlegt wurden. Dadurch musste der Eindruck entstehen, es komme der Universität darauf an, ihr Mitglied, den bedeutenden Gelehrten Hans Robert Jauß moralisch zu beschädigen. Sie bedauert die Entwicklung sehr, die zu diesem Eindruck geführt hatte.

Für das zukünftige Selbstverständnis der Universität darf nicht eine einzelne Person im Zentrum stehen, es sollte vielmehr darum gehen, die Gründung der Universität Konstanz insgesamt in ihre Zeit zu stellen. Die Universität nimmt diese Aufgabe ernst. Um sie durch Selbstbeschränkung praktikabel zu gestalten, sollte erwogen werden, in möglichster Transparenz und in Absprache mit anerkannten Forschungsinstitutionen der Gründungsgeneration biographisch gerecht zu werden – Gründungsausschuss, Gründungsrektor, die ersten acht Professoren, der Leitende Verwaltungsbeamte (zum Teil überlappend). Dabei müsste es sowohl auf das Verhalten im Nationalsozialismus und die Auseinandersetzung mit ihm als auch auf die Einflüsse der Zeit vorher sowie auf das Verhalten in der Nachkriegszeit ankommen.

Ein solches Vorhaben müsste in einer Weise verwirklicht werden, die der Kultur der offenen Kommunikation entspräche, auf die die Universität Konstanz mit Recht stolz gewesen war. Die Auseinandersetzung mit der Frühgeschichte der Universität würde dann nicht mehr in einem sterilen Schema von Belastung und Entlastung stattfinden, sondern wäre für tiefere Einsichten fruchtbar gemacht worden.